Kolumne: So findest du eine gute sexpositive Party - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Jessica Sigerist

Gründerin untamed.love

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24. September 2022 um 09:33

So findest du eine gute sexpositive Party

Die Saison der sexpositiven Partys hat begonnen. Unsere Kolumnistin Jessica Sigerist hat dazu einige Tipps bereit, worauf man bei der Wahl des richtigen Anlasses achten sollte und stellt klar: «An sexpositiven Partys gibt es weder die Garantie noch den Zwang, Sex zu haben. Es gibt lediglich die Möglichkeit dazu.»

Illustration: Artemisia Astolfi

Es ist wieder so weit. Das erste Laub fällt von den Bäumen, die Tage werden kürzer, die Nächte länger, die Menschen sehnen sich danach, enger zusammenzurücken. Bei meinen Freund:innen und mir kommt nun festliche Stimmung auf. Kisten voller Lametta werden von Dachböden geholt, Schmuck und Bänder aus Schubladen gekramt und entstaubt, das Glitzer-Arsenal wird auf Vollständigkeit geprüft. Wir legen eine festliche Playlist auf, während wir andächtig Harnesse mit Lederpflege behandeln, Latex-Bikinis von Hand waschen und liebevoll Netzstrümpfe entwirren. It’s this time of the year again: Die Saison der sexpositiven Partys beginnt. 

Üben sexpositive Partys auf dich eine Mischung aus Faszination und Unsicherheit auf? Mir ging es auch so, bevor ich sie selbst besser kennen gelernt habe. Daher möchte ich gleich zu Beginn mit dem häufigsten Missverständnis aufräumen: Sexpositive Partys sind keine Sex-Partys. Sexpositiv bedeutet nicht, dass Sex überall und ständig stattfindet. An einer sexpositiven Party haben Menschen mit all ihren Facetten Platz und eine davon ist ihre Sexualität. 

Vielleicht bedeutet das, dass du oben ohne rumlaufen kannst oder mit drei Leuten gleichzeitig rummachst, ohne schräg angeschaut zu werden. Vielleicht bedeutet das, dass du auf einen anonymen Gang Bang im Darkroom hoffst. Vielleicht möchtest du dich auch einfach an einem Ort aufhalten, wo jede Sexualität gleichwertig ist, ohne selber aktiv teilzuhaben. Das ist alles okay. An sexpositiven Partys gibt es weder die Garantie noch den Zwang, Sex zu haben. Es gibt lediglich die Möglichkeit dazu. 

Finde die passende sexpositive Party

Woher weisst du, ob du auf eine sexpositive Party passt, beziehungsweise die Party zu dir passt? Falls du Leute kennst, die schon an sexpositiven Partys waren, frag sie aus. Sie können dir erzählen, was dich erwartet und die Meinungen von Freund:innen sind meistens ziemlich hilfreich. Falls du noch keine sexpositive Bubble gefunden hast, schau dir die Website oder den Flyer der Party an. Die meisten Partys definieren keine Zielgruppe, aber du kannst darauf achten, wer angesprochen wird. 

Gibt es im Universum der Veranstaltenden nur Männer und Frauen? Dann wirst du dich als nicht-binäre Person auf der Party vermutlich nicht so wohl fühlen. Einlass nur für Paare? Tönt so ein bisschen nach Swinger-Vibes. Nennt sich die Party queer, aber auf den Bildern sind hauptsächlich schwule Männer zu sehen? Dann wirst du wohl vergeblich eine herzige Lesbe zum rummachen finden (Ja, ich spreche aus Erfahrung). 

«Nicht umsonst gibt es in der Community den Witz, dass das vierte L nach Leder, Lack und Latex für Langweilig steht.»

Kolumnistin Jessica Sigerist

Das absolut Schlimmste ist sogenanntes Gender Pricing. Wenn Frauen weniger Eintritt bezahlen als Männer (umgekehrt ist’s nie) ist das erstens sehr cis-heteronormativ. Zweitens bedeutet das, dass die Party Mühe hat, genügend Frauen anzuziehen und das ist in der Regel kein gutes Zeichen.

Weshalb ein Dresscode helfen kann

Viele sexpositive Partys haben einen Dresscode und das ist aus zwei Gründen hilfreich: Erstens verhindert dieser, dass Leute in Strassenkleidung anwesend sind oder Männer, die meinen Jeans und oben ohne sei ein Outfit. Beide trüben nämlich die magische Atmosphäre. Der zweite Vorteil eines Dresscodes ist, dass er dir eine ungefähre Idee geben kann, wie du dich anziehen sollst und wie die Atmosphäre auf der Party sein wird. 

«Dass ich an sexpositiven Partys nackt herumlaufen kann, ohne belästigt zu werden, während ich im Mainstream-Ausgang selbst im Rollkragenpulli von irgendwelchen Typen blöd angemacht werde, ist der beste Beweis dafür, dass die Kleidung keine Rolle spielt bei sexueller Belästigung.»

Kolumnistin Jessica Sigerist

Ich persönlich mag möglichst offene Dresscodes. Ich war einmal an einer Party, da war ein Mensch als Sonnenblume verkleidet. Nicht, dass ich jetzt per se auf Sonnenblumen stehen würde, aber ich stehe darauf, dass Menschen sich genau so ausdrücken können, wie sie wollen. Auf anderen Partys sind nur Fetischklamotten oder sexy Dessous erlaubt. 

Ich stelle mir dann immer vor, wie da ohne störende Sonnenblumen-Kostüme dafür mit ernsthaften Gesichtern gewissenhaft Erotik praktiziert wird und dann will ich da gar nicht hin. Nicht umsonst gibt es in der Community den Witz, dass das vierte L nach Leder, Lack und Latex für Langweilig steht. Ganz grausig finde ich, wenn im Dresscode «Bitte gepflegt erscheinen» steht, denn das ist lieb ausgedrückt für «Rasier dir gefälligst deine Körperhaare». Statt gepflegt erscheine ich lieber gar nicht. 

Auf Awareness achten

An einem Ort, wo Menschen offen mit ihrem Körper und ihrer Sexualität umgehen, ist Konsens Grundlage jeder Interaktion. Dass ich an sexpositiven Parties nackt herumlaufen kann, ohne belästigt zu werden, während ich im Mainstream-Ausgang selbst im Rollkragenpulli von irgendwelchen Typen blöd angemacht werde, ist der beste Beweis dafür, dass die Kleidung keine Rolle spielt bei sexueller Belästigung. 

Die beste Prävention ist eine Konsenskultur, in der Ja Ja heisst und ein Nein dankbar angenommen wird. Gute Partys schaffen eine solche Kultur. Bevor du einen Event besuchst, informiere dich auf der Website. Gibt es ein Awareness-Team (speziell gekennzeichnete Menschen, an die du dich jederzeit wenden kannst) vor Ort? Gibt es ein Awareness-Konzept? Wenn ja, was steht darin? Wird auf verschiedene Diskriminierungsformen und auf Inklusion Bezug genommen? Das alles können Hinweise sein, ob die Party für dich ein passender Ort ist. 

Wenn die Faszination deine Unsicherheit überwiegt und du eine Party gefunden hast, die dich anspricht, rate ich dir, mutig zu sein und deinen ersten sexpositiven Event zu besuchen. So, und ich muss jetzt meinen Glitzer weiter sortieren. Schliesslich will ich bereit dafür sein, auf der nächsten Party mit einer haarigen Sonnenblume rumzuknutschen. 


Eine meiner Lieblingssexpositiven Parties ist übrigens die Sweat & Glitter aus dem Hause der Porny Days. Sie findet das nächste Mal am 21.10. im Kauz statt. See you there? 

(Foto: Elio Donauer)

Jessica Sigerist

Kolumnistin Jessica Sigerist ist Zürich geboren und aufgewachsen. Sie wusste schon früh, woher die Babys kommen. In ihrer Jugend sammelte sie schöne Notizbücher, alte Kinokarten und Zungenküsse. Sie studierte Ethnologie (halbmotiviert) und das Nachtleben Zürichs (intensiv). Nach vielen Jahren in der Sozialen Arbeit hatte sie die Nase voll, nicht vom Sozialen, aber von der Arbeit. Sie packte wenig Dinge und viel Liebe in einen alten Fiat Panda und reiste kreuz und quer durch die Welt. Sie ritt auf einem Yak über das Pamirgebirge, überquerte das kaspische Meer in einem Kargoschiff und blieb im Dschungel von Sierra Leone im Schlamm stecken.

Auf ihren Reisen von Zürich nach Vladivostock, von Tokio nach Isla de Mujeres, von Tanger nach Kapstadt lernte sie, dass alle Menschen eigentlich dasselbe wollen und dass die Welt den Mutigen gehört. Wieder zurück beschloss sie, selbst mutig zu sein und gründete den ersten queer-feministischen Sexshop der Schweiz. Seither beglückt sie Menschen mit Sex Toys und macht lustige Internetvideos zu Analsex, Gleitmittel und Masturbation. Jessica liebt genderneutrale Sex Toys, Sonne auf nackter Haut und die Verbindung von Politik und Sexualität. Sie ist queer und glaubt, dass Liebe grösser wird, wenn man sie teilt. Mit ihrem Partner und ihrem Kind lebt sie in Zürich.

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