Brunchgeschichten: Weshalb wir über unsere Körper sprechen sollten - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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19. September 2021 um 08:21

Brunchgeschichten: Weshalb wir über unsere Körper sprechen sollten

Unsere Autorin war bei einer Freundin zu Gast. Irgendwann sprachen sie über ihre Körper – über Inkontinenz nach der Geburt und «Vaginalfürze» beim Yoga. Sie kamen zum Schluss: #effyourbeautystandards.

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Illustration: Zana Selimi

Es heisst, dass folgende Themen das Potenzial haben, ein Abendessen bei Freund:innen zu ruinieren: Religion, Impfen und Politik. Letzteres tauschten wir neulich am Küchentisch zwar mit der drohenden Klimakatastrophe aus, ansonsten drifteten meine Freundinnen und ich mit geröteten Wangen und wild gestikulierend nach Ping-Pong-Schema immer mehr in die «Dinner untauglichen» Themen ab. Doch irgendwann fanden wir zurück. Zurück zu uns.

Wie, weiss ich nicht mehr genau (vielleicht über Klima, Ernährung, Körper?), aber plötzlich fand die eine Freundin, nennen wir sie Laura, dass wir mehr über unsere (Frauen)-Körper sprechen sollten. Nicht nur an diesem Abend, sondern ganz im Allgemeinen. Die andere, nennen wir sie Lina, erzählte, wie sie seit Kurzem jeweils gleich nach dem Aufstehen nur in Unterwäsche Rumpfbeugen macht und dabei der morgendlichen Sonne sei Dank die Leberflecken auf ihrem Bauch und die feinen Äderchen, die durch die Haut ihrer Beine schimmern, so genau wie selten zuvor betrachtet. Super spannend sei das, sagte sie.

Wir pressten unsere Hände gegeneinander, verglichen die Länge und Form unserer Nägel und schauten nach, bei wem die «Linea Nigra» noch sichtbar ist. Jene strichförmige Linie, die sich während der Schwangerschaft plötzlich senkrecht über den Bauch spannt und von der man munkelt, sie zeige die Körpermitte auf. Laura sprach über die Inkontinenz, die sich bei vielen Frauen kurz nach der Geburt einstellt, weil die Beckenbodenmuskulatur erst wieder aufgebaut werden muss und Lina warf lachend «diese seltsamen Vaginalfürze bei gewissen Yogastellungen» ein, «die wahrscheinlich ebenfalls nur Müttern vorbehalten sind».

Eine, die ihrem Körper ein ganzes Buch widmet, ist die Zürcher Journalistin und Autorin Michèle Roten. Sie findet, der weibliche Körper sei vieles: «Politikum, Objekt, Inkubator». Unsere Gesellschaft ist besessen von ihm, wie es jedoch tatsächlich ist, in einem zu stecken, und welche Rolle er in der Biografie einer Frau spielt, ergründet sie nun in ihrem neusten Werk «Wie mit (m)einem Körper leben». Roten erzählt von Narben aus der Kindheit, der vom Kaiserschnitt und jener vom Jahrhundertpickel, wundert sich über ihre Tätowierungen, denkt über ihre Knie nach – «Ich habe eine Narbe am rechten Knie, direkt unter der Kniescheibe rechts, da wo es weich ist. Ich mag sie recht gern, sie sieht aus wie ein Gnocchetto Sardo, die Hat ist heller und gezickzackt» – erinnert sich an magische Heilungen und magersüchtige Episoden. Sie fragt sich, ob sie sich als Feministin mehr für ihre Vulva interessieren müsste, die sie als eigene Kreatur betrachet: «Mit einem Eigenleben, einem eigenen Plan, eine Mitbewohnerin sozusagen.»

Oben ohne auf einem Floss zu liegen und drauf zu scheissen, ob die Brüste dem uns bis anhin vermittelten Schönheitsideal entsprechen.

An einem der wenigen warmen und trockenen Tage dieses Sommers schrieb ich einen ganzen Tag lang im Frauenteil der Badi Enge ein Essay, das sich ebenfalls um ein körperliches Thema drehte. Um mich herum zig Frauenkörper, alle einzigartig – und alle schön. Als ich mich von Lauras Küche auf den Weg nach Hause machte, dachte ich über unsere Gespräche nach. Wieso setzen wir «Body Positivity», diesen Begriff, den wir in theoretischen Abhandlungen schon fast inflationär nutzen – #selfcare, #loveyourself, #bodyacceptance – denn nicht auch tatsächlich in unserem Leben um?

Offen über die manchmal auch weniger schönen Dinge, die unsere Körper anstellen, zu sprechen oder entspannt oben ohne auf einem Floss im Zürichsee zu liegen und drauf zu scheissen, ob die Brüste dem uns bis anhin vermittelten «Schönheitsideal» entsprechen sprich zu gross, zu klein oder vom Stillen ausgelaugt sind, ist eigentlich ein guter Weg dahin. #effyourbeautystandards

Mehr zum Thema:

«Schau dir deine Vulva an und schäm dich nicht dafür»

Brunchgeschichten
Tsüri.ch startet eine neue Kolumne! Dieses Mal direkt aus dem Büro an der Glasmalergasse zu dir nach Hause an den Frühstückstisch. Ab jetzt liefern dir Simon, Elio, Zana, Jenny, Isa, Nico, Seraina, Rahel, Jonas und Emilio jeden Sonntag abwechselnd eine Geschichte aus deiner Lieblingsstadt, die sich bestens beim gemütlichen Sonntagsbrunch besprechen lässt – sollten euch dabei mal die Themen ausgehen.

1. Warum ich abhaue, ohne Tschüss zu sagen
2. Weshalb zu einer Stadt Lärm gehört
3. Warum Tattoos keinen Sinn machen müssen
4. Warum wir seltener in den Club gehen sollten
5. Warum ich meinen Geburtstag so mag
6. Weshalb wir alles andere als wild sind
7. Warum wir öfters Langweiler:innen sein sollten
8. Weshalb ich nicht in meiner Bubble bleiben will
9. Warum eigentlich Berlin?
10. Warum ich keine Flohmis mag
11. Weshalb wir über unsere Körper sprechen sollten
12. Warum ich wieder mehr Ankerbier statt Naturwein trinken will oder «Auch ich werde älter!»
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