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14. Juli 2018 um 09:06

Wer den Frauenfussball belächelt, hat keine Ahnung

Die Schweizer Fussballnationalmannschaft der Frauen stand 2015 an der WM im Achtelfinal. Die FCZ Frauen gewannen Cupfinal und Meisterschaft. Was bei den Männer-Teams ein nationales Happening ist, kriegt bei den Frauen kaum jemand mit. Warum ist Frauenfussball in der Schweiz trotz internationalen Erfolgen nur eine Randerscheinung?

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WM 2002: England scheidet im Viertelfinal gegen Brasilien aus. In den Kinos läuft die englische Fussball-Komödie «Bend it like Beckham». Der Plot: Ein Mädchen mit indischem Migrationshintergrund spielt gegen den Willen ihrer Eltern in einem Mädchen-Fussballteam. Ich war damals 13 Jahre alt. Der Film faszinierte mich und so trat ich dem lokalen Frauenfussballteam meiner Zürcher Agglo-Gemeinde, dem FC Thalwil, bei. Mangels Zeit verliess ich das Team jedoch nach einem Jahr wieder und bettelte mich in die (Männer-)Plausch-Fussballmannschaft meines Zürcher Gymnasiums. Irgendwann schmiss mich der Trainer aufgrund physischer und technischer Niveauunterschiede aus dem Team. So endete meine Hobbyfussball-Karriere.

Die Freude am Fussball blieb. Die Zeit verging. Der Feminismus erhielt neuen Aufschwung. Mit einem Interview zwischen den Schweizer Nationalspieler*innen Granit Xhaka und Lara Dickenmann im Magazin wurde im Rahmen der diesjährigen WM erstmals an der Oberfläche des Problems gekratzt. Die «Republik» bohrte mit einem lesenswerten Interview mit der Gründerin der FC Winterthur Frauenabteilung (und Schwester des CH-Nati Spielers Manuel Akanji) weiter nach. Und doch fragte ich mich weiterhin: Warum interessiert sich eigentlich niemand für die Frauen-WM?

Der Anfang des Problems

Eine Bekannte wuchs im Zürcher Kreis 4 auf und besuchte das Schulhaus Hardau nahe beim Stadion Letzigrund. Einmal im Jahr seien die Spielerinnen der FCZ Frauen im Schulhaus vorbeigekommen. Die Mädchen himmelten sie an. Sie hatten eine Art Kultstatus. Beim jährlichen Stadtzürcher Fussball-Grümpi wurde sie von einem Scout angesprochen und gefragt, ob sie für einen grösseren Zürcher Verein im Frauen-Nachwuchs spielen wolle. Sie sagte ab. Und so werden wir niemals wissen, ob aus ihr eine FCZ-Nationalliga-A-Spielerin geworden wäre.

Geschichten wie diese gibt es zuhauf. Ich treffe immer wieder Frauen, die als Mädchen einmal Fussball gespielt haben, dann aber aufgehört haben - wegen fehlender Frauen-Teams, fehlender Förderung oder fehlender Zeit. Doch es gibt auch positive Geschichten: Die 20-jährige Schwester eines Kollegen stieg soeben neben dem ETH-Studium mit ihrem Team in die Nationalliga B auf und sagt sie habe ihre Fussballerinnenkarriere durchs Band positiv erlebt. «Die Nachwuchsarbeit im Bereich des Frauenfussballs hat sich in den letzten zwanzig Jahren stark verbessert», sagt Dominik Erb, Mediensprecher der Nationalmannschaft der Frauen zuständig ist. «Technisch, taktisch und physisch hat der Mädchen- und Frauenfussball grosse Fortschritte gemacht. Dennoch werden wir noch immer belächelt.»

Eine kurze Geschichte des Schweizer Frauenfussballs

Die Geschichte der Schweizer-Fussballpionierin Madeleine Boll liest sich wie ein Krimi. Wir schreiben das Jahr 1965. Die Geschichte spielt im konservativen Wallis. Die damals 12-jährige Madeleine Boll begleitet einen Kollegen in Sion ins Fussballtraining und beginnt fortan in der C-Juniorenmannschaft zu spielen. Der Trainer schickt dem SFV die Anträge für die Spieler*innenlizenzen und Madeleine Boll erhält zusammen mit allen anderen Spielern eine Lizenz. Wäre die Geschichte hier fertig, wäre sie nicht der Rede wert.

Denn als die C-Juniorin Boll mit ihrem Team im Rahmenprogramm des Europacup-Spiels zwischen dem FC Sion und Galatasaray Istanbul ein Spiel absolviert, fällt den Anwesenden mit Entsetzen auf, dass in diesem Team ein Mädchen spielt. Der SFV fackelt nicht lange und entzieht Madeleine Boll die Spiellizenz wieder. Es sei ein Versehen gewesen. Gemäss Statuten dürften nur Männer offiziell Fussball spielen. Ein Arzt unterstützt diese Entscheidung mit der Aussage, Fussball sei nicht geeignet für die Nerven und den Körper einer Frau. Und so muss Madeleine Boll weiter auf ihr erstes offizielles Spiel warten.

Die Geschichte erinnert an die erste Marathonteilnahme einer Frau am Boston-Marathon, welche erst 1967 stattfand. Die Läuferin Kathrine Switzer hatte sich mit ihren Initialen am Wettbewerb angemeldet und kam so durch die Kontrolle. Auch hier wurde im Nachhinein mit fadenscheinigen medizinischen Argumenten Stimmung gegen Frauen im Sport gemacht.

Erste Erfolge des Frauen-Nationalteams

Das Debüt der Schweizer Nationalmannschaft an der ersten inoffiziellen Frauen-Weltmeisterschaft im Jahr 1970 misslang. Die Schweizer*innen verlieren das von Fehlentscheiden des gekauften Schiedsrichters geprägte Spiel gegen das Gastgeberland Italien. Die Weltmeisterschaft wurde wegen dieser und weiteren Ungereimtheiten auch niemals offiziell anerkannt. Im Jahr 1972 kommt nach der erfolgreichen Austragung des ersten Frauenfussball-Länderspiels in der Schweiz das erste Mal die Frage auf: «Was denken Sie von einer Frauen WM in der Schweiz?»

Die fussballerische Qualität der Schweizer*innen reicht lange Zeit nicht aus für die Weltklasse. Doch als mit Béatrice von Siebenthal 2005 erstmals eine Frau den Trainer*innenposten übernimmt und die Vereine/der SFV vermehrt in den Nachwuchs investieren, werden die Leistungen immer besser. Unter der Führung der deutschen Trainerin Martina Voss-Tecklenburg schafft es auch die Frauen-Nati 2015 zu einem ersten Erfolg in der heutigen Fussballwelt: Sie qualifiziert sich zum ersten Mal in der Geschichte für die Frauen-WM. Sie schafft es bis ins Achtelfinale. Dort ist leider Endstation. Diese Leistung entspricht aktuell exakt der Leistung der männlichen Fussball-Nati, doch in den Zeitungen wird nicht annähernd so aufwändig Berichterstattung betrieben.

Frauenfussball ist hier nur ein Nebenjob

Woran liegt das? Der Frauenfussball in der Schweiz ist viel kleiner als der Männerfussball. Insofern ist es verständlich, dass die Berichterstattung wenig umfangreich ausfällt. Dennoch ist Fussball auch bei den Schweizer Frauen die beliebteste Sportart, wie sogar der offiziellen Webseite der Schweizer Eidgenossenschaft zu entnehmen ist. Die acht Prozent lizenzierten Fussballer*innen machen ganze 23'700 Personen aus. Strukturell funktioniert die Liga der Frauen genau gleich wie die der Männer. Doch schaut man aufs Budget der Frauenabteilung des SFV und der Vereine, sieht es plötzlich ganz anders aus. Es fehlt an Sponsoren, Werbeverträgen und medialer Präsenz.

Die Spielerinnen der Nationalliga-A haben alle noch einen Job nebenbei oder absolvieren ein Studium. «Viele könnten sich vorstellen eine Zeit lang vom Fussball zu leben, wenn dies möglich wäre», sagt SFV-Sprecher Dominik Erb. Doch zur Zeit ist der Frauenfussball in den Augen der Schweizer Gesellschaft noch immer bloss eine Randerscheinung. Ich kenne keine*n Zürcher*in, der*die den Namen einer FCZ Spielerin nennen kann. Hingegen kennen fast alle Zürcher*innen eine Person, die ein FCZ-Saisonabo für den Letzigrund besitzt.

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Eröffnung des Stadion Letzigrunds am 17.August 1958 (Bild: ETH-Archiv)

Es fehlt an Aufmerksamkeit und mutigen Sponsoren

Warum erhält der Frauenfussball keine Plattform? Das Killerargument lautet immer: Das interessiert doch niemanden. Das erinnert mich an die Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst war. Solange dem Frauenfussball medial und werbetechnisch keine Beachtung geschenkt wird, steigt das Interesse nicht. Die meisten Bedürfnisse des Menschen in unserer Gesellschaft wurden künstlich geschaffen. Was dem Frauenfussball fehlt, ist eine Lobby. Mediensprecher der Frauen-Nati Dominik Erb sieht vordergründig die beschränkten Budgets und fehlende mediale Präsenz als Ansatzpunkt: «Wir tun, was wir können.» Um den Liga-Auftritt zu professionalisieren, lanciert der SFV am 16. August im Rahmen des Eröffnungsspiels zur neuen NLA-Saison einen neuen Online-Auftritt und stellt den Klubs eine Tool-Box zur Verfügung, die sie für ihre Promotion benutzen können. «Wir sind überzeugt, dass diese Neuerungen dabei helfen, den Frauen Klubfussball weiter voranzutreiben», fügt er an. Es fehle aber aufgrund von kurzfristigem Renditedenken auch an der nötigen Investitionsbereitschaft. «Wenn in ein oder zwei Jahren kein Profit ersichtlich ist, wird meist gar nicht erst investiert oder Zuschüsse werden wieder gekürzt. Das ist bedauerlich. Es braucht langfristige Investitions-Konzepte, wenn man wirklich etwas bewegen möchte.»

Dominik Erb spricht mit Begeisterung, wenn er von Frauenfussball spricht. Das ist nicht bei allen Männern so. Frauenfussball wird belächelt. Frauenfussball sei niveaumässig unattraktiv. Schaut man rüber in andere Sportarten, stellt man wenig Erstaunliches fest. Männer sind den Frauen physisch überlegen. Doch bedeutet das automatisch, dass es keinen Spass macht zuzuschauen, wenn sich Profisportler*innen untereinander messen? Usain Bolt rennt die 100m fast eine Sekunde schneller, als die schnellste Frau. Na und?

Andere Sportarten sind schon weiter

In der Leichtathletik scheint das, wie gemäss einer BBC Studie von 2014 in 25 von 35 anderen bekannten Sportarten, keine grosse Rolle zu spielen. Die Schweizer 100-Meter-Läuferin Mujinga Kambundji erhält als Leichtathletin an grossen Wettkämpfen das gleiche Preisgeld wie die Männer und schafft es immer wieder in die Medien. Auch im Tennis verdienen die Frauen nach jahrelangem dafür kämpfen immerhin an den grossen Turnieren gleich hohe Preisgelder wie die Männer. Doch gibt es immer wieder Spieler wie Novak Djokovic, die fordern, dass Männer aufgrund der Zuschauer*innenzahlen wieder mehr Preisgeld erhalten. Gleichzeitig wird bereits darüber diskutiert, ob Spieler*innen nach der Babypause ein spezielles Ranking erhalten sollen und es ist selbstverständlich, dass das morgige Wimbledon-Finale der Frauen vom SRF übertragen wird und in den Medien Beachtung findet. An den grossen Fussballturnieren erhielten die Frauenteams im Jahr 2014 noch immer 34-40 Mal weniger Preisgeld. Der Fussball hat noch einen langen Weg vor sich, bevor die Lohngleichheit an Grossevents wie der WM oder Championsleague erreicht ist.

Doch wollen die Frauen eigentlich überhaupt, dass ihre internationalen Fussballwettbewerbe wie EM oder WM so gross und lukrativ werden wie die der Männer? «Mehr Zuschauer*innen wären cool, aber das ganze Tamtam und die absurden Löhne in mehrstelliger Millionenhöhe, das muss echt nicht sein. Im internationalen Frauenfussball steht immerhin noch das Spiel im Vordergrund und nicht die Frisuren, wenn du weisst, was ich meine», sagt meine befreundete Neo-NLB Spielerin. Frauennati-Sprecher Dominik Erb befürwortet Wachstum, aber nicht um jeden Preis: «Kommerzialisierung hat nicht nur Vorteile. Wir müssen schauen, dass wir die Integrität und die positiven Attribute des Frauenfussballs erhalten können. Nichtsdestotrotz wünschen wir uns natürlich mehr Aufmerksamkeit und finanzielle Unterstützung.»

Heute können wir darüber lachen, dass einer Frau anno 1967 die Teilnahme an einem Marathon verwehrt wurde. Eine bestimmte Sportart nicht zu mögen, ist berechtigt. Sie jedoch explizit den Frauen zu verwehren oder sie gezielt nicht zu fördern, ist hinterwäldlerisch. Ich hoffe, dass wir eines Tages darüber lachen können, dass niemand bereit war, in den Schweizer Frauenfussball zu investieren, während wir auf dem Bullingerhof mit der Schweizer Frauen-Fussballnati oder im Letzigrund mit den FCZ Frauen mitfiebern, grölen, schreien und uns mit Bier übergiessen. Vielleicht muss der Wandel von der Gesellschaft aus kommen und nicht von den grossen Firmen wie Nike, Adidas und Puma oder der in Zürich beheimateten FIFA.

Laura hat mittlerweile einen Instagram-Account über den Frauenfussball des FC Zürichs: FCZ Frauen Stories

Titelbild: Laura Kaufmann

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