So geht es der SVP im links-grünen Zürich - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Michael Schallschmidt

Praktikant Redaktion

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20. Dezember 2021 um 11:10

Aktualisiert 21.12.2021

Drohungen und Patronenhülsen im Briefkasten: So geht es der SVP im links-grünen Zürich

Die Stadtzürcher SVP verzeichnete in den letzten Jahren wenig politische Erfolge. Dennoch kämpft die Partei darum, eine konservative Kraft in der links-grün dominierten Stadt zu stellen. Ein Besuch bei der Generalversammlung der SVP-Schwamendingen, um herauszufinden, was die Bürgerlichen antreibt.

Der Gasthof Hirschen in Schwamendingen: Hier fand die Generalversammlung der SVP Kreis 12 statt (Bild: Seraina Manser).

Der Gasthof Hirschen zeugt mit seinem Aushangschild und dem Steinbrunnen auf dem gepflasterten Vorplatz von der Zeit, als Schwamendingen noch ein Bauerndorf war. Während der Kreis 12 sich seither stark veränderte, behielt das Wirtshaus seinen ländlichen Charakter. In der ersten Etage befindet sich ein grosser Saal mit einigen Holzschnitten an den cremefarbenen Wänden und senfgelben Gardinen vor den Sprossenfenstern. 

Am Abend des 26. Novembers erleuchten die Deckenlampen diesen Raum und für etwa 40 Besucher:innen sind die Tische gedeckt: Die SVP-Schwamendingen hält ihre 47. Generalversammlung ab. 

Wer teilnehmen möchte, muss einer Angestellten des Gasthofes zuvor das Covid-Zertifikat inklusive Ausweis vorweisen. Am Eingang des Saals in der ersten Etage begrüsst der SVP-Gemeinderat Tobias Baggenstos die ankommenden Besucher:innen.

Er ist Präsident der Kreispartei, die direkt der SVP Stadt Zürich untersteht. Schon vor dem offiziellen Beginn der Generalversammlung haben sich einige Mitglieder einen Platz an einem der beiden langen Holztische gesichert.

Wir kämpfen nicht nur gegen politische Gegner:innen, sondern auch gegen die Presselandschaft.

Markus Hug, Vizepräsident SVP-Schwamendingen

Auf den Tischen liegen Wahlkampfgeschenke mit SVP-Logo. «Energie für d’Chrampfer» ist auf den mit Traubenzucker gefüllten Döschen zu lesen. Ein älterer Herr macht sich über die hellgrünen Tücher lustig, die als Dekoration auf den Tischen ausgebreitet sind: «Als wären wir hier bei den Grünliberalen.»

Einige der Anwesenden sind bereits im hohen Rentenalter, die «alte Garde», wie jüngere Parteimitglieder sie nennen. Die Gespräche am Tisch drehen sich zunächst um Arztbesuche, Rheuma und die Aktivist:innen der Critical-Mass, die wie jeden letzten Freitag im Monat mit dem Velo durch die Stadt ziehen: «Als ob es nicht sonst schon schwierig genug wäre, mit dem Auto durch die Stadt zu kommen», beklagt sich eine Frau und schüttelt dabei den Kopf.

Das Abendessen für die Anwesenden spendierte die Kreispartei (Bild: Michael Schallschmidt).

Hörnli und Gehacktes

Um 18 Uhr beginnt die Generalversammlung mit dem gemeinsamen Abendessen. Auf der Karte stehen eine saisonale Gemüsesuppe und «gutschweizerisches» Hörnli mit Gehacktem. «Essen wie im Militär», ruft der Wirt einem Mitglied zu. Mehrere Anwesende nehmen diesen Kommentar zum Anlass, sich über ihre Zeit in der Armee zu unterhalten.

Gang zwei des Abendessens (Bild: Michael Schallschmidt).

An einem der Holztische haben sich die Gesprächsthemen geändert. Jetzt geht es nicht mehr um Velofahrer:innen, sondern um letzte Ruhestätten: «Seit der Friedhof Sihlfeld rund um die Uhr offen ist, feiern die Leute dort nachts Partys.»

Mehrere Mitglieder fragen sich, wieso die Stadt gegen derartige Zustände nichts unternehme. Währenddessen beraten sich am anderen Tischende zwei angehende Kandidaten für den Gemeinderat über ihren bevorstehenden Wahlkampf. Die jungen Männer diskutieren über Schlagworte und feilen an Sätzen für Zeitungsannoncen.

Das Resultat von 30 Jahren ohne SVP

Um 19 Uhr beginnt der formelle Teil mit einer Ansprache des Ehrengastes Roland Scheck. Für die Wahlen im Februar nächsten Jahres kandidiert der SVP-Kantonsrat für den Stadtratssitz von Richard Wolff. Er konkurriert dabei mit sieben weiteren Kandidat:innen, unter anderem von den Grünen, der SP und der FDP. 

Sollte es Scheck gelingen, die Wahl für sich zu entscheiden, hätte die SVP zum ersten Mal seit über 30 Jahren eine Vertretung im Zürcher Stadtrat.

Von links nach rechts: Roland Scheck, Tobias Baggenstos und Markus Hug (Bild: Michael Schallschmidt)

Gerade weil die politische Linke in der Limmatstadt so dominant sei, wäre es umso wichtiger, dass die Stadtregierung wieder eine konservative Kraft erhalte, sagt Scheck: «Die rot-grüne Politik ist in vielen Bereichen nicht lösungsorientiert.» Gegen Altersarmut und die Arbeitslosigkeit bei über 50-Jährigen liefere sie nicht einmal eine Placebo-Lösung, betont Scheck zu Beginn seiner Ansprache.

Auch die Wohn- und Verkehrspolitik werde den Bedürfnissen der Bevölkerung nicht gerecht. Bei Projekten wie «Brings uf d’Strass» (wir berichteten), zeige sich, wie sehr die Stadt an den Menschen vorbei denke: «Den Willen der Anwohnenden in den betroffenen Quartieren hat die Stadt nicht erhört. Und natürlich suchen sie sich die Strassen aus, auf denen es die meisten Parkplätze gibt, um es den Autolenker:innen noch schwerer zu machen.»

Die Logik der linken Politiker:innen bestehe darin, die Bevölkerung zu ihrem Glück zu zwingen, sagt Scheck mit gesenktem Blick: «Dies ist ein Resultat von 30 Jahren ohne SVP in der städtischen Regierung».

Ich erhielt Drohungen und hatte sogar Patronenhülsen im Briefkasten.

Roland Scheck, Stadtratskandidat SVP

Mächtige Gegner:innen

Die 17 Zuhörer:innen im Festsaal applaudieren, als Scheck mit seiner Wahlkampfrede zu einem Ende findet. Sowohl von den jüngeren wie auch von den älteren Mitgliedern erntet er zustimmende Blicke und manche heben auf Schecks Ansprache ihr Bierglas hoch. Ein Mann steht auf und verschafft seinem Unmut über die Verkehrspolitik gehör: «Wollen wir wirklich, dass die Stadt sich so weiterentwickelt?», fragt er in die Runde.

Die rot-grüne Mehrheit sei jedoch mächtig in der Stadt und darüber hinaus nicht die einzige Antagonistin der SVP: «Wir kämpfen nicht nur gegen politische Gegner:innen, sondern auch gegen die Presselandschaft», sagt Markus Hug, Vizepräsident der SVP-Schwamendingen. Die Medien hätten sich dazu verschworen, die SVP zu diffamieren, findet er. 


Scheck ist ähnlicher Ansicht, was die Medien betrifft. In der Vergangenheit habe er mit einer ungerechten Berichterstattung über seine Person zu kämpfen gehabt: «Ich erhielt deswegen Drohungen und hatte sogar Patronenhülsen im Briefkasten.» Es gebe immer wieder Leute, die auf die Propaganda der Presse hereinfallen würden, sagt Scheck.

Die Betonwüste am Stadtrand


Um etwa 20 Uhr richtet sich der Präsident der Kreispartei mit einigen Worten an das Publikum. «Schwamendingen hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert», sagt Baggenstos zu Beginn. Immer mehr Liegenschaften habe die Stadt abgerissen und durch Neubauten ersetzt, das einstige Arbeiterquartier verwandle sich zunehmend in eine Betonwüste. Auch die soziale Interaktion gehe verloren, fährt Baggenstos fort: «Den Vereinen im Kreis 12 fehlt der Nachwuchs, weshalb immer mehr von ihnen ihre Pforten schliessen.»

Auch habe es seit Beginn der Corona-Pandemie weder eine Chilbi noch die alljährliche Lichtmesse in Schwamendingen gegeben: «Die Corona-Massnahmen haben dem sozialen Leben in Schwamendingen sehr zugesetzt.» Für die Zukunft hofft er deshalb, dass Veranstaltungen wieder in einem normalen Rahmen stattfinden können – unabhängig vom Impfstatus.

Wir erwarten, dass wir im Gemeinderat zulegen können.

Roland Scheck, Stadtratskandidat SVP

«Vor uns liegt viel Arbeit»

Gegen 21 Uhr kommt der formelle Teil der Generalversammlung zu einem Ende. Der Kassier läuft bei den Anwesenden vorbei und scheppert mit einer Spendenbüchse, um Geld für die Kreispartei zu sammeln. Die beiden angehenden Gemeinderatskandidaten sind wieder in ihre Wahlkampfprojekte vertieft. 

Scheck und Baggenstos stehen neben einem der gedeckten Tische und beantworten Fragen. Im Angesicht der kommenden Wahlen zeigt sich Scheck optimistisch für seine Partei: «Wir erwarten, dass wir im Gemeinderat zulegen können. Vor uns liegt noch viel Arbeit, aber wir haben eine Chance, es zu schaffen.» Momentan zählt der Gemeinderat 17 SVP-Sitze, womit die Partei im nationalen Vergleich gering vertreten ist.

Wahlkampfgeschenke der SVP (Bild: Michael Schallschmidt).

Eine weitere Stunde vergeht und Scheck hat sich inzwischen von der Versammlung verabschiedet. Einige Parteimitglieder sind im Saal geblieben, plaudern und trinken dazu ein Glas Rotwein. Es ist das erste Mal seit langem, dass die Kreispartei ihre Generalversammlung in physischer Form durchführen kann, wie aus den Unterhaltungen hervorgeht. Für die Anwesenden sei es sehr erfreulich, sich wieder im selben Raum zu begegnen: «Wir kennen uns alle gut und sind wie eine Familie.»

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