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Von Philipp Mikhail

Redaktor

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2. November 2021 um 16:00

Warum Zürich scheisse ist: Zürischnurre und andere Dilettantismen

Wenn es nach Redaktor Philipp geht, schneidet Zürich in punkto Kommunikation nicht gerade gut ab. Seien es nun die nonverbale oder die mündliche Verständigung – irgendwie wird er zumindest in vielen Situationen des Alltags mit der Zürcher Sprache nicht wirklich warm. Grund genug, sich darüber zu empören, findet er.

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Foto: Tsüri.ch

«Ich finde es mega beeindruckend, wie locker du das alles nimmst», sage ich der Kellnerin, als sie sich beim dritten Streik des «Maschinelis» mir gegenüber an den Tisch setzt, um zu warten bis das «Gräätli» reagiert. Mit dem Ende dieses Satzes hatte ich offenbar bereits in ein Fettnäpfchen getreten. Ihrer Körpersprache nach findet sie mich «awkward».

Vermutlich sagen einige Gäste im Restaurant solche Dinge, wenn sie passiv-aggressiv erklären wollen, sie solle sich beeilen. Dass ich meinen Satz nicht so gemeint hatte, merkt sie immerhin rasch. Wenn man in einem Zürcher Restaurant etwas Liebes zur Kellnerin sagt, gibt es allerdings offenbar nur zwei Möglichkeiten: entweder es ist zynisch gemeint oder man will sie anbaggern. Zumindest scheint ihre Reaktion dies aufzuzeigen.

Nachdem der Vorwurf der Faulheit vom Tisch ist, meint sie daraufhin dafür augenfällig, ich wolle mit ihr flirten. Denn von nun an verweigert sie den Augenkontakt. Süss ist sie allemal. Doch darum ging es nie. Denn ich kenne keine niedliche Kellnerin in Zürich, die nicht vergeben ist.

Was den Informationsaustausch angeht, ist Zürich eine beschissene Stadt.

Philipp Mikhail

Ausserdem finde ich es ein wenig «creepy» mit Kellnerinnen zu flirten. Für Zürcher:innen mag es seltsam klingen, doch an diesem sonnigen Tag im Altweibersommer, wollte ich tatsächlich einer Kellnerin, die in einer vermeintlich strapaziösen Situation cool blieb, einfach nur ein Kompliment machen.

Denn es kommt in Zürich zwar selten vor, aber es soll tatsächlich möglich sein, eine Person zu loben, ohne dabei «sneaky» zu sein. Einfach nur, um der Person zu sagen, dass das, was sie macht, gut ist.

Was den Informationsaustausch angeht, ist Zürich eine beschissene Stadt. Eine, in der die Kommunikation ein «Level» erreicht hat, wo ein nett gemeinter Satz nur als eine Provokation oder eine Anmache verstanden werden kann.

Und das Problem ist bestimmt nicht nur die Interpretation (Zumal ich seit Jahren «Awareness» praktiziere), sondern die Art und Weise, wie Zürcher:innen grundsätzlich kommunizieren: Durch die Blume. Und das Problem bei dieser Form der Kommunikation ist wiederum, dass es schlechte Kommunikation ist – weil unpräzise. Fast wie nonverbale Verständigung (Gebärdensprache ausgenommen).

Winken, Nicken, Zwinkern

Ungenauer als das Durch-die-Blume-Reden ist in dieser Stadt nur noch die nonverbale Artikulation. Wie es sich für diese Form der Kommunikation gehört, wird diese hauptsächlich mit dem «Face» oder den Händen gesprochen.

Da wäre zunächst das Winken. Besonders gerne wird die grüssende Handbewegung beispielsweise von den Zürcher Tramfahrer:innen praktiziert. Meine Vermutung ist, dass von Chauffeusen und Chauffeuren der VBZ geradezu verlangt wird, sich gegenseitig zu winken, wann immer es die Situation zulässt. Für mich ist das zwar verständlich – schliesslich soll die «Corporate Identity» im ÖV ja nicht zu kurz kommen. Irgendwie finde ich es aber auch etwas «weird». Winken die Tramführer:innen sich täglich etliche Male?

Noch «stranger» ist indessen das Nicken. Die kurze Auf- und Abbewegung des Kopfes ist für mich der Inbegriff der sprachlichen Einfältigkeit und darüber hinaus ein Paradebeispiel schlechter Kommunikation.

Wenn mein kahlköpfiger Nachbar mir zunickt, während ich ihm höflichst die Türe aufhalte und sogar warte, bis er seinen verdammten Briefkasten geleert hat, könnte ich auf der Stelle kotzen. Was will er mir damit sagen? «Danke, dass du mir die Tür aufgehalten hast»? Oder doch eher: «Das wäre aber nicht nötig gewesen»? Seine Mimik wäre in beiden Fällen gleich.

Nicken ist nichtssagend. Es ist heuchlerisch, weil es sich der präzisen Sprache entzieht und einfach nur so dahin plätschert. Nicken ist für Menschen, die nichts zu sagen haben. Und Zürcher:innen nicken furchtbar oft.

Schlimmer ist nur noch das Zwinkern. Bisher haben mir in Zürich nämlich nur eklige Machos zugezwinkert. Meist in der Lang- oder der Bahnhofstrasse. Diese Fälle der nonverbalen Kommunikation sind auf meiner Liste der niederträchtigsten Erfahrungen in dieser mundfaulen Stadt ziemlich weit oben. Dennoch: In Zürich geht es immer noch schlimmer.

Introvertiert oder alkoholisiert

Eigentlich hätten die Menschen in der «City» schon auch Wichtiges zu sagen. Nur bringen sie mehr als «Smalltalk» nicht über die Lippen, solange sie nüchtern sind. Ganz anders sieht es aus, sobald getrunken wird. Dann werden die Gefühlszustände regelrecht heraus gereihert.

Weil ein vernünftiges Gespräch über ernstgemeinte Emotionen in Zürich nur mit Psycholog:innen möglich ist, verschliesst man sich so lange, bis die Kacke am dampfen ist, betrinkt sich dann und lässt alles auf einmal raus. Diese Form der «Emotional Suppression» scheint tief in der Zürcher Gesprächskultur verankert und wird höchstwahrscheinlich historisch bedingt sein.

Die Typen, die ich sonst nur als verschlossen kannte, wollten damals plötzlich über Umschnalldildos und Tripper labern.

Philipp Mikhail

Zumindest erinnere ich mich noch als wäre es gestern gewesen an meinen ersten Besuch in einer «Beiz»: die Typen, die ich sonst nur als verschlossen kannte, wollten damals plötzlich über Umschnalldildos und Tripper labern. Heute nennt man die Beizen selbstverständlich Bars.

Und inzwischen weiss ich um das ungeschriebene Gesetz, welches dort gilt: Je später der Abend wird umso weniger darf man sich umsehen geschweige denn zuhören, was die «Dudes» nebenan besprechen. Man konzentriert sich einzig und allein auf die Gespräche mit den eigenen «Bros» und auf seinen «Drink».

In den Clubs ist das ein wenig anders. Dort schreit man sich auf der Tanzfläche gegenseitig ins Ohr und hofft, dass die Person, die gerade auflegt, nicht einen hastigen Übergang macht, weil die anderen auf dem «Dancefloor» sonst hören könnten, wie man gerade die Dinge erzählt, welche man zwei Wochen zuvor dem:der Seelenklempner:in erzählt hat.

Die wenigen Momente in denen Zürcher:innen sonst noch echte Leidenschaft an den Tag legen, finden oft im Strassenverkehr statt. Nachdem beispielsweise ein Autofahrer vor einigen Wochen beim Lindenplatz eine Velofahrerin fast über den Haufen gefahren hatte, schrie sie aus vollem Herzen «Wichser», sodass er sich genötigt fühlte, auszusteigen und ebenfalls herumzuschreien. Solche Ausraster finde ich dann immer «fucking lit», da sie wenigstens aufrichtig sind. Die Kommunikation in Zürich ist «Shit», weil Zürich «Shit» ist.

Alle geben sich mühe «bright and shiny» zu sein. Und dieser widerwärtige Perfektionismus, lässt sich lediglich mit Alkohol oder Aggression überlisten. Das hat dann wiederholt Einfluss auf die Qualität der Sprache. Je länger ich in dieser Möchtegern-Grossstadt lebe, desto mehr scheinen die Ressentiments, welche der Rest des Landes gegenüber Zürich hat, berechtigt.

Beleidigender Grundwortschatz

In anderen Städten wird die «Zürischnurre» also zurecht «gehatet». Denn sie ist teilweise nicht nur arrogant sondern schlicht «offensive». Dafür gibt es zahlreiche Beweise. Die einen sind wohl weniger offensichtlich, andere schon fast zu eklatant.

Aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive vermittelt das Züritüütsch Unbehagen. So sagen zum Exempel nur Zürcher:innen: «Ich wot». Mit einem «O». Diverse Studien haben die negative Assoziation dieses Lauts bereits nachgewiesen. In Kombination mit dem, was «Ich wot» bedeutet – nämlich «ich will» – provoziert die alleinige Aussprache bereits.

Ein weit aussagekräftiges Paradigma für die Charakterschwäche von «Tsüritütsch» ist das «Züri-Slänglikon». Wenn sich in der Schweiz ein alter Mann als «Behüter» eines vorwiegend durch die «Youth» geprägten Teils der Sprache inszeniert, muss es sich dabei um einen Zürcher handeln.

Drehbuchautor (Ernstfall in Havanna, etc.) und Tausendsassa Domenico Blass bewahrt in seinem Wörterbuch neben einigen zeitlosen Zürcher Begrifflichkeiten eine Liste von mutmasslich-veralteten, beleidigenden und politisch-inkorrekten Wörtern vor dem Aussterben und nennt das dann «Släng».

Sollte zum Beispiel der Terminus «Tussi-Toaster» in Zürich tatsächlich jemals ein Synonym für «Solarium» gewesen sein, muss es sich dabei um Slang aus einer Zeit handeln, in der ich (33) noch ein Kleinkind oder noch gar nicht geboren war.

Dass ein Solarium nicht nur von «Tussis» verwendet wird, weiss Domenico bestimmt aus eigener Erfahrung. Auf den Fotos auf Google ist er jedenfalls immer ziemlich «teint». Doch das Buch ist schliesslich eine Art «Comedy», eine Momentaufnahme zum Thema «Släng» – alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Zwinker, zwinker).

Bedenklich: «Tschill di eeeeimal!» (mit «I») scheint mir beim Überfliegen einiger Seiten am nähesten an das heranzukommen, was irgendwann zur Zeit der Pfahlbauer wohl als Slang bezeichnet wurde. Letzten Endes unterschreicht sein Werk jedoch meine Theorie, dass die Kommunikation in Zürich scheisse ist, weil Zürich scheisse ist.

Diese Stadt ist für mich so etwas wie eine «Kollegin» (In Zürich gibt es keine Freundschaften ohne Sex), mit der ich nur noch den Kontakt pflege, da wir uns schon zu lange kennen und zu viel zusammen erlebt haben, um sie in den Wind zu schiessen. Nichts für Ungut! Zum Wohl!

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