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Von Annika Müller

Praktikantin Civic Media

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14. Juli 2020 um 14:00

Warum fehlen BIPoC in der Pride?

Lässt die Zurich Pride einen Teil ihrer Community zurück? Dies kritisierte das antirassistische Kollektiv BIPOC.WOC in einem offenen Brief. Die Meinungen über die Inklusion der Pride gehen auseinander. Das Kollektiv BIPOC.WOC, Lea Herzig, Präsidentin der Pride und Anna Rosenwasser von der Lesbenorganisation Schweiz teilen ihre verschiedenen Sichtweisen auf den schon länger bestehenden Konflikt.

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Pride-Umzug in Zürich: Wenige BIPoC, aber auf dem Demoschild ein Hinweis auf die Stonewall Riots von 1969, welche unter grosser Beteiligung von BIPoC stattgefunden haben. Foto: Silvision CC BY-ND 2.0.

Die schockierenden Vorfälle, wie der Mord an George Floyd, rund um die «Black Lives Matter»-Bewegung (BLM) intensivierten die öffentliche Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft. Auch das neu entstandene Zürcher Kollektiv BIPOC.WOC (Black, Indigenous and People of Color. Women of Color) griff eine schon länger bestehende Debatte erneut auf: In einem offenen Brief «Pride Zürich! Wir haben noch nichts zu feiern!» kritisieren sie den Verein «Zurich Pride Festival» hauptsächlich für «dessen fehlenden intersektionellen Aktivismus». Unter Intersektionalität versteht sich die Überschneidung mehrerer Diskriminierungsformen, beispielsweise kann eine lesbische Schwarze Frau homophob, rassistisch und sexistisch diskriminiert werden. Intersektioneller Aktivismus hat den Anspruch, diesen Diskriminierungen nicht einzeln getrennt, sondern insgesamt entgegenzuwirken.

Darf die Pride feiern?

Anna Rosenwasser, Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS), sieht das anders: «Das Abfeiern aller queerer Identitäten ist für die LGBTQ-Community extrem wichtig und wird politisch schnell unterschätzt.» Eine Aktivistin des Kollektivs stellt klar, dass sie das Feiern nicht abschaffen wollen, aber dass das Festival viel mehr politischen Aktivismus für BIPoC und Trans* beinhalten sollte. Bei diesem Aspekt zeigt sich Anna Rosenwasser gleicher Meinung: Auch sie wünscht sich, dass neben dem Abfeiern der politische Inhalt ausgebaut würde: «Es stimmt für uns nicht, dass die kleine Bühne mit den politischen Reden so abgelegen ist und auf der grossen Bühne viele Künstler*innen ohne jeglichen Bezug zur queeren Community auftreten.»

Die Leute in unserer Community, die zusätzlich noch von Rassismus betroffen sind, liegen uns sehr am Herzen.

Lea Herzig

Im Gespräch zeigt sich Lea Herzig, Präsidentin des Vereins Zurich Pride Festival, verständnisvoll: «Die aktuelle Debatte und die Leute in unserer Community, die zusätzlich noch von Rassismus betroffen sind, liegen uns sehr am Herzen.» Die Pride habe auch auf ihren Kanälen das Thema aufgegriffen und beispielsweise auf die BLM-Demonstration in Zürich hingewiesen. Für sie schliessen sich das Festival und politische Bewegung nicht gegenseitig aus. Zudem weist sie auf mehrere Reden der Pride 2019 hin, wie jene von Rahel El-Maawi, die konkret auf rassistisch diskriminierte Personen in der LGBTQ-Community aufmerksam machte. Die Wichtigkeit des intersektionellen Aktivismus scheint bei den Veranstalter*innen der Pride schon angekommen zu sein. Inwiefern dieser umgesetzt wird, gehen die Meinungen der Pride und des Kollektivs BIPOC.WOC jedoch auseinander.

Keine BIPoC im Pride Verein

Lea Herzig betont, dass die Pride ein ehrenamtlicher Verein mit begrenzten Kapazitäten sei: «Wir haben einfach unheimlich viele Interessen, die in der Community zusammenkommen. Es ist schwierig in jedem Bereich alles perfekt zu berücksichtigen. Daher freuen wir uns sehr über BIPoC, die im Verein mitwirken möchten. Die Thematik wird einerseits durch konkrete Projekte, andererseits durch die Menschen in der Pride sichtbar gemacht.» Für ihre aktuelle Kampagne «Bekenne Farbe gegen Hass», welche anstelle des grossen Festivals dieses Jahres durchgeführt wurde, seien sie auch bemüht gewesen, BIPoC zu involvieren. Was schliesslich jedoch nicht klappte, weil niemand mitmachen wollte.

BIPoC sind kein Aushängeschild in Kampagnen für nicht vorhandene Diversität.

Aktivistin des Kollektivs BIPOC.WOC

Woran das liegen könnte, tönen die Aktivistinnen des Kollektivs an: «BIPoC sind kein Aushängeschild in Kampagnen für nicht vorhandene Diversität. Man sollte BIPoC wirklich intern in der Organisation dabei haben wollen.»

Was hindert viele BIPoC daran, sich in der Pride zu engagieren?

«Wenn die Pride nicht ernsthaft intersektionellen Aktivismus betreibt, fühlen sich intersektionell diskriminierte Leute auch nicht willkommen. Die Strukturen schliessen uns somit aus», verdeutlicht eine Aktivistin des Kollektivs. Sie möchten der Pride nicht vorwerfen, absichtlich rassistisch zu agieren, aber Rassismus passiere oftmals unabsichtlich und das entschuldige ihn nicht. Zudem sei die Pride nicht konsequent: Ein weiterer Kritikpunkt des Kollektivs sind die Pink Cops (PinkCop ist ein Verein für Homosexuelle und Transgender bei der Polizei): «Der Ursprung der Pride, die Stonewall Riots gegen die Polizeigewalt, widerspricht sich schon mal grundsätzlich mit den Pink Cops. Die Pink Cops an sich sind vielleicht nette Leute, doch sie arbeiten bei der Polizei, die einen problematischen Umgang mit BIPoC pflegt.» Zudem kritisieren sie die Sponsor*innen der Pride. Viele dieser Unternehmen würden Pinkwashing betreiben und intern nicht viel ändern. Die Credit Suisse beispielsweise sei in viele ausbeuterische Geschäfte in Ländern verwickelt, in denen vor allem BIPoC wohnhaft seien.

Lea Herzig unterstreicht, dass sie im Rahmen der Zurich Pride noch nie Pinkwashing sondern stets ernsthaften Willen zu Veränderung erlebt habe: «Ein Anlass unserer Grösse ist auf Sponsor*innen angewiesen. Sonst könnten wir unsere Grundphilosophie, dass kein Eintritt für das Festival verlangt wird und jede*r – unabhängig von Einkommen – kommen kann, nicht umsetzen.»

Der nächste Schritt

An wem liegt es, die Pride antirassistischer zu gestalten? Die Mitglieder des Kollektivs sehen die Verantwortung nicht bei sich: «Wir übernehmen die antirassistische Arbeit nicht von Grund auf. Das schafft die Pride auch ohne uns, das kann man ganz einfach googeln. Sie muss erst einen Raum schaffen, in dem sich BIPoC wohl fühlen, damit BIPoC mit ihnen zusammenarbeiten. Wenn sie wirklich ernsthaft antirassistischen Aktivismus angehen möchten und auch schon mit konkreten Vorschlägen auf uns zukommen, könnten wir uns eine Zusammenarbeit eventuell vorstellen.»

Intersektionalität bedeutet nicht Däumchen drehen und auf BIPoC zu warten.

Anna Rosenwasser

Lea Herzig kann sich eine Zusammenarbeit mit dem Kollektiv vorstellen, durch den offenen Brief, ohne konkrete Namen von Mitgliedern des Kollektivs, sei das jedoch erschwert worden: «Wir sind sehr offen und zugänglich für persönliche Treffen. Aktivismus lebt von guten Ideen, die in die Tat umgesetzt werden.» Anna Rosenwasser sieht die Aufgabe klar bei der Pride: «Es ist nicht wünschenswert, sondern notwendig, dass die Pride Verantwortung für die gesamte Community übernimmt. Einfach offen zu sein, reicht nicht: Intersektionalität bedeutet nicht Däumchen drehen und auf BIPoC zu warten, sondern proaktiv auf antirassistische Organisationen zuzugehen. Die Pride, auch wir in der LOS, müssen unbedingt untersuchen, warum wenige BIPoC dabei sind. Hoffentlich kann erreicht werden, dass sich BIPoC auch in diesen Organisationen mit ihrem Aktivismus gut aufgehoben fühlen.»

*Name der Redaktion bekannt. Die drei Aktivistinnen sprechen nicht für das gesamte Kollektiv, sondern als Einzelpersonen.

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