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Die Zürcher Nationalratskandidierenden unter der Diversitäts-Lupe

Viele Menschen – wenig Auswahl: 966 Menschen kandidieren für die 35 Zürcher Sitze im Nationalrat. Gastautorin Jeannie Schneider hat die Listen von SVP, SP, FDP, glp und CVP bezüglich Frauenanteil, Migrationshintergrund, Alter und LGBTQI* analysiert.

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Bild: Pixabay und Wahlliste

Kugelschreiber zwischen den Zähnen, eine kleine Anstrengungsfalte auf der Stirn, ein scheinbar endlos langes Stück Papier in der Hand: Bald finden die National- und Ständeratswahlen statt. Wer nicht sowieso eine Lieblingspartei hat, kann sich von Portalen wie Smartvote oder regenbogenpolitik.ch helfen lassen. 966 Menschen kandidieren insgesamt für die 35 Sitze, die dem Kanton Zürich im Nationalrat zustehen – so viele, wie noch nie.

Das statistische Amt des Kanton Zürich hat berechnet, dass es damit 1'744'856'788'602'463'177'926'460'046'262'482'668'280'084'064'028'808'644'468'680'688'042 verschiedene Möglichkeiten gibt, eine gültige Liste auszufüllen. Aber wer sind die Kandidierenden? Schaffen es die Listen auch, die Diversität der Gesellschaft widerzuspiegeln? Tsüri.ch hat die fünf ersten Listen analysiert.

1. Frauen

Es kandidieren so viele Frauen wie noch nie für den Nationalrat. Der Frauenstreik und überparteiliche Aktionen wie Helvetia ruft zeigen offenbar Wirkung. Über die fünf analysierten Listen hinweg sind es 43 Prozent. Die SVP und die FDP liegen mit ihren 26 Prozent beziehungsweise 34 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt. Die SP kommt mit 46 Prozent leicht über den Durchschnitt, während die glp und die CVP genau 43 Prozent Frauen auf den Listen nominieren. Wobei die CVP zusätzlich mit einer eigenen Frauenliste antritt. Wichtig ist aber nicht nur der prozentuale Anteil von Frauen, sondern auch auf welchen Listenplätzen sie sind.

2015 hatte die SVP zum Beispiel 12 Sitze im Nationalrat, alle Kandidierenden spätestens ab dem 20. Platz hatten also eine verschwindend kleine Chance, tatsächlich im Bundeshaus zu landen. Dieses Jahr finden sich auf den Plätzen 1 bis 12 gerade einmal zwei Frauen und zwar auf den Plätzen 6 und 11. Kommt hinzu, dass die SVP laut Prognosen mit Sitzverlusten rechnen muss, womit der Anteil Frauen, die effektiv eine Chance haben gewählt zu werden, noch kleiner wird.

In der letzten Legislaturperiode kam die SP auf neun Sitze und 2019 nominiert sie fünf Frauen in den ersten zehn Listenplätzen. Die FDP nominiert immerhin zwei Frauen für ihre fünf bisherigen Sitze. Die glp erstellte für die ersten zehn Plätze als einzige der grossen Parteien eine sogenannte «Zebra Liste», in der sich Männer und Frauen alternieren, angeführt von Tiana Angelina Moser. Bei der CVP hingegen findet sich die erste Frau erst auf Platz 4, bei zwei bisherigen Nationalratssitzen.

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Die FDP liegt mit ihren 34 Prozent Frauen deutlich unter dem Durchschnitt.

2. Migrationshintergrund*

Für diesen Artikel wurden die Parteien ebenfalls angefragt, wie viele ihrer Kandidierenden einen Migrationshintergrund haben. Von der SVP und der glp blieb eine Antwort aus. Das Sekretariat der FDP antwortete, dass sie keine Menschen mit Migrationshintergrund nominiert haben. Bei der CVP konnte man diese Frage nicht genau beantworten, verwies aber darauf, dass es mindestens zwei gäbe.

Bei der SP finden sich insgesamt 12 Kandidierende mit einer doppelten Staatsbürgerschaft. Jeweils eine Person of Color (POC) nominieren SP und glp mit Yvonne Apiyo Brändle-Amolo bzw. Shaibal Roy. In dieser Legislaturperiode wird sich der Nationalrat also nicht durch diverse Hintergründe qualifizieren. Und das, obwohl sich der Ausländer*innenanteil des Kantons Zürich auf fast 30 Prozent beläuft. Und auch wenn man ohne Schweizer Staatsbürgerschaft weder das Stimmrecht hat, noch sich zur Wahl stellen kann, stellen Menschen mit Migrationshintergrund eine grosse Gruppe in Zürich dar.

*Es ist natürlich schwierig Migrationshintergrund zu operationalisieren, da es auch mit der subjektiven Wahrnehmung zusammenhängt. Während manche Secondas und Secondos sich dem Herkunftsland ihrer Eltern kaum mehr zugehörig fühlen, gibt es andere, deren Eltern schon in der Schweiz geboren wurden und dennoch ist diese kulturelle Identität präsent. Dieser Faktor lässt sich aber nicht isoliert betrachten. Oftmals ist es nicht unbedingt eine «bewusste» Entscheidung, sich stärker mit den Wurzeln der Eltern zu identifizieren, sondern hängt auch damit zusammen, mit wie viel Diskriminierung aufgrund der Herkunft man konfrontiert ist. Die Parteien konnten hier deshalb selber entscheiden, wie sie Migrationshintergrund definieren.

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3. Alter

Im Schnitt sind die Hälfte aller Kandidierenden über 43 Jahre alt. Die untersuchten Listen liegen allesamt über diesem Medianwert: Die SP mit 44 Jahren, der Median bei der CVP ist am höchsten, nämlich 51 Jahre. Damit widerspiegeln die Listen nicht einmal so schlecht das tatsächliche Medianalter* des Kantons Zürich, das bei 41.5 Jahren liegt. Es ist aber nicht nur eine Vermutung, dass in der Stadt die Menschen jünger sind, tatsächlich liegt das Medianalter hier bei 37.6 Jahren.

*Medianalter = Es sind genau gleich viele Menschen älter und jünger als diese Zahl. Nicht zu verwechseln mit dem Durchschnittsalter, wo die Lebensjahre aller Menschen addiert und dann durch die Anzahl Menschen geteilt werden.

4. LGBTIQ+

Die HAZ Queer Zürich schreibt auf Anfrage, dass die SP von den untersuchten Listen mit vier Kandidierenden relativ queer ist. CVP, SVP und FDP finden sich jeweils ein queerer Kandidat.

Fazit

Auf vielen Listen sind die Kandidierenden immer noch relativ homogen: nämlich weiss, mittleren Alters und, je nach Liste, männlich. Zwar ist die Repräsentation von Frauen endlich ein Thema auf dem politischen Parkett, aber die Listen sind noch weit davon entfernt, die real existierende Diversität zu spiegeln wenn es um Herkunft, Gender, sexuelle Orientierung oder Alter geht.

Aber kann man dann nur, wenn man einer bestimmten Gruppe angehört in ihrem Sinne politisieren? Nein, natürlich können auch zum Beispiel heterosexuelle Männer konsequent feministisch politisieren. Aber es ist kein Zufall, dass sich so wenig Nachnahmen auf -ić auf den Listen finden und – zumindest kein geouteter – Trans*Mensch. Sobald man nicht der «Norm» entspricht, ist man noch immer mit struktureller und gesellschaftlicher Diskriminierung konfrontiert.

Öffentliche Personen, die einer Minderheit angehören, können diese Situation verbessern. Deswegen ist es wichtig, ungeachtet der politischen Couleur, dass die Listen auch diese Diversität widerspiegeln. Denn eigentlich liegt es ja schon in der Berufsbezeichnung unserer Repräsentanten: unterschiedliche Lebensentwürfe und möglichst alle Interessen einer demokratischen Gesellschaft repräsentieren.

Jeannie Schneider studiert Politikwissenschaften an der Uni Zürich.

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