Velo-Caprez: Welche Verantwortung trägt Hauseigentümerin Unia? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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17. März 2022 um 21:25

Velo-Caprez: Welche Verantwortung trägt Hauseigentümerin Unia?

Wieso fördert eine Gewerkschaft die Gentrifizierung im Kreis 5? Vor wenigen Wochen berichteten wir, dass in die ehemaligen Räume von Velo-Caprez ein Büro einzieht. Jetzt haben wir bei der Hauseigentümerin Unia nachgefragt, wieso.

Velos und Häuser: Das Schicksal der Luisenstrasse 29 spiegelt sich in ihrem Schaufenster. (Foto: Alice Britschgi)

Es hat sich nicht viel geändert. Das Erdgeschoss an der Luisenstrasse 29 steht weiterhin leer. Vor einigen Wochen haben wir aufgedeckt, was auf den ehemaligen Velo-Caprez im Kreis 5 folgen soll: ein Büro. Unsere Leserschaft zeigte sich genauso empört wie Christian Schmid, Professor für Soziologie am Departement für Architektur der ETH: «Käme wirklich ein Büro in das ehemalige Lokal des Velo-Caprez, wäre das eine ziemliche Katastrophe.»

Schmid betonte im Gespräch mit Tsüri.ch, dass die Gentrifizierung im Kreis 5 ein enormes Ausmass angenommen habe. Das sei verheerend, so Schmid weiter, denn man müsse sich bewusst sein, dass die Läden im Langstrassenquartier nicht nur Läden seien, sondern auch Treffpunkte von Communities. Verschwinde der einzigartige Charakter des Quartiers mit seinen vielen Läden und Gastrobetrieben, sei dies nicht nur für das Quartier selbst, sondern für die ganze Stadt ein grosser Verlust, so Schmid.

Bedürfnisse der Mieter:innen

Die Luisenstrasse 29 gehört der Gewerkschaft Unia. Im Leitbild der Gewerkschaft heisst es: «Wir kämpfen für die soziale Gerechtigkeit, die Gleichstellung von Frau und Mann und schaffen bessere Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmende. Das Unia-Leitbild bildet die Grundlage für unsere gewerkschaftliche Arbeit und unser Handeln.» Und weiter: «Die Unia strebt eine Gesellschaft in einer gerechteren Welt an, in der nicht mehr das Kapital, sondern die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen.»

Wir haben bei der Unia nachgefragt, wie es zusammenpasst, dass man sich für eine Welt, «in der nicht mehr das Kapital, sondern die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen», einsetzt und gleichzeitig die Gentrifizierung im Kreis 5 fördert. 

Wo sich früher Velos stapelten, zieht bald ein Architekturbüro ein. (Foto: Alice Britschgi)

Serge Gnos, Co-Leiter der Unia Region Zürich-Schaffhausen, war selbst auch öfters im Velo-Caprez. Er findet es schade, dass im Kreis 5 so viele Läden verschwinden. Den Grund sieht er allerdings weniger in den Hauseigentümer:innen als im Online-Shopping: «Wenn man Schuhe bei Zalando bestellt, muss man sich nicht wundern, wenn Schuhläden an der Langstrasse zugehen», so Gnos. 

Aber könnte man als Eigentümerin eines Eckhauses im Kreis 5 der Gentrifizierung denn nicht trotzdem etwas entgegensetzen? Zum Beispiel indem man in das Erdgeschoss einer eigentlich belebten Quartier-Kreuzung kein Büro reinsetzt? 

«Der Vermietungsentscheid der Unia ist sicher nicht stadtorieniert.»

Walter Angst, Kommunikationsleiter Mieter:innenverband Zürich

In diesem ganz konkreten Fall, so Gnos, habe sich diese Frage gar nicht gestellt: «Eine bereits bestehende Mietpartei im Haus brauchte mehr Platz, hat sich für das Erdgeschoss interessiert und wir haben es ihr vermietet – das ist die ganze Geschichte.» Man habe ein gutes Mietverhältnis zum Architekturbüro im ersten Geschoss und ihm deshalb die Möglichkeit zur Ausweitung geben wollen. «Wäre es besser, wenn eine bestehende Mieterschaft ausziehen muss, weil wir ihr den Platz, den wir haben, verweigern?», fragt Gnos. Er halte das nicht für sinnvoll, und führt aus: «Wir haben nicht bewusst ein Büro gesucht, um die Rendite zu steigern. Das ist Blödsinn.» Wie hoch der Mietzins für das Architekturbüro genau ausfallen wird, kann Gnos nicht sagen; eine Renditemaximierung streben die Unia aber nicht an. Und er besteht darauf: «Hätte die Mieterschaft kein Interesse bekundet, könnte man die Diskussion – ob Büro, Laden oder Restaurant – jetzt führen. Die Situation ist aber eine andere.»

Auf die Bedürfnisse der Mieter:innen eingehen – das klingt doch vernünftig, oder?

Spezialfall Erdgeschoss

Der Mieter:innenverband Zürich setzt sich für die Rechte von Wohnungs- und Geschäftsmieter:innen ein. Walter Angst, Kommunikationsleiter des Verbands, bedauert trotzdem, dass aus dem Veloladen ein Büro wird. «Die Kreuzung Josef-/Luisenstrasse ist ein zentraler Ort, ein Platz für eine lebendige Stadt. Der Vermietungsentscheid der Unia ist sicher nicht stadtorieniert», so Angst. Insbesondere Eckhäuser seien ideal für Laufkundschaft. Dass ein Architekturbüro eine solche nicht brauche, sei bekannt. Die zentrale Frage laute, so Angst: «Welche Verantwortung wollen Hauseigentümer:innen für die Quartierentwicklung übernehmen?»

Mit einem publikumsorientierten Geschäft könne die Unia nicht mit den gleichen Mieteinnahmen rechnen wie mit einem Architekturbüro, führt Angst aus. «Einen für das Quartier attraktiven Laden findet man als Vermieter:in nur, wenn man bereit ist, die Miete zumindest am Anfang tief anzusetzen», so Angst. Das Dilemma der Unia sei, dass sie mit ihren Immobilien eben auch Geld für die Gewerkschaft beschaffen wolle.

Doch was ist mit dem Wohl der Mieter:innen? Macht die Unia da nicht etwas richtig? 

«Doch», sagt Angst. Natürlich sei es immer gut, wenn Hauseigentümer:innen auf die Bedürfnisse der Mieterschaft eingingen. Man müsse sich aber auch die Frage stellen, ob man ein Ladenlokale als Büroraum nutzen wolle.

Die Unia hat nach eigener Aussage also nicht bewusst ein Büro gesucht, sondern ist auf die Bedürfnisse der bestehenden Mieter:innen eingegangen. Lob gibt es dafür allerdings nicht einmal vom Mieter:innenverband Zürich. Denn die Frage bleibt, ob die Unia, statt nicht bewusst ein Büro zu suchen, nicht bewusst kein Büro hätte suchen sollen.

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