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Von Simon Braissant

Journalist

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13. Juli 2019 um 09:00

Umwelt-Expertin im Interview: «Die Plastikverpackung ist nur ein kleiner Teil»

Plastik-Verpackungen stehen in hartem Gegenwind, sie seien ein wichtiger Teil der Umweltverschmutzung und eine Sünde des Detailhandels, der Take-Away-Stände und von uns Konsument*innen. Wie schlimm ist es wirklich? Die Umweltingenieurin Martina Wyrsch klärt auf.

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Spätestens seit den Klimademos überbieten sich viele Menschen gegenseitig in Verzicht, Reduktion und Recycling. Alle wollen ihren Teil zu einem nachhaltigeren Umgang mit den Ressourcen beitragen und alte, umweltschädliche Muster ablegen. Dabei steht die Plastikverpackung von Lebensmitteln besonders häufig im Brennpunkt. Während im Internet Shitstorms wegen den neuen Plastikverpackungen von Géant Casino oder Hanuta toben, spriessen Unverpackt-Läden wie Pilze aus dem Boden und die zusätzlich verpackten Bio-Produkte aus Migros oder Coop stehen im Dauerverdacht einer Umweltsünde. Dabei lohnt es sich allerdings auch mal, ein kritisches Auge auf den Inhalt zu werfen, findet Martina Wyrsch, Umweltingenieurin und Geschäftsinhaberin der Umweltberatungsfirma Tiefgrün GmbH. Im Gespräch erzählt sie, weshalb die blosse Reduktion von Plastikverpackungen die drohende Umweltkrise nicht abwenden kann.

Wie versuchen Sie persönlich im Supermarkt umweltbewusst einzukaufen?

Ich kaufe wenig Fleisch und Milchprodukte. Ich kaufe nichts, was aus dem Gewächshaus kommt und keine Fertigprodukte. Ich lege Wert auf Bio und Fairtrade-Labels, gerade auch bei den Luxusprodukten wie Kaffee und Schokolade. Und ich versuche, jeweils nur das zu kaufen, was auf dem Einkaufszettel steht und was wir tatsächlich brauchen können. Zum Glück kann ich die Gemüseabteilung meistens gleich umgehen, da wir den wöchentlichen Gemüsekorb vom lokalen Biobauern haben und nun neuerdings noch zusätzlich den Gemüseretter-Korb von grassrooted.

Die Verpackung der Lebensmittel haben Sie nun mit keinem Wort erwähnt. Ist das Absicht?

Verpackungen machen nur einen kleinen Teil an der gesamten Umweltbilanz eines Produkts aus, und deshalb ist das nicht die erste Frage, die du dir stellen musst, wenn du einen Apfel siehst.

Berücksichtigen Sie die Verpackung eines Produkts beim Kaufentscheid trotzdem manchmal?

Ja klar. Wenn ich dem Produkt bereits ansehe, dass es unnötigerweise mehrmals oder sehr aufwändig verpackt ist, dann versuche ich die Finger davon zu lassen. Ich hole ausserdem ein paar Dinge vom Unverpackt-Laden, der neu bei uns im Quartier ist. Ich bin aber noch am ausprobieren, was das betrifft.

Die Verpackung ist zentral, um Foodwaste zu vermeiden.

Wie stehen sie ganz allgemein zum Unverpackt-Trend? Begrüssenswert oder nicht?

Grundsätzlich find ich’s gut. Es zeigt, dass die Leute bereit sind, Dinge nicht nur zu hinterfragen, sondern auch tatsächlich anders zu machen, als von der Konsumindustrie vorgegeben. Im Moment ist das Ganze ja noch eine Nischenbewegung mit vereinzelten kleinen Anbietern, die sich ganz der Nachhaltigkeit verschrieben haben. Allerdings bezweifle ich, dass, wenn sich der Trend durchsetzt und auch die grossen Anbieter aufspringen, unsere Welt dann nachhaltiger ist.

Sie haben kürzlich in einem Blog-Beitrag Bedenken geäussert, dass wir vor lauter Verpackungs-Hype das grosse Ganze aus den Augen verlieren könnten. Was meinen Sie damit?

Damit meine ich, dass wir uns gern auf ein Thema einschiessen und dann dazu tendieren, die wirklich grossen Hebel auszublenden. Zum Beispiel dass es viel wichtiger wäre, den Konsum allgemein runterzufahren. Sich zu fragen: «Brauch ich das?», anstelle von: «Welche Verpackung ist denn jetzt wohl ökologischer?». Gerade bei den Lebensmitteln ist die Verpackung teilweise zentral, um Foodwaste zu vermeiden, was wiederum höher zu gewichten ist, als der Ressourcenaufwand für die Herstellung und Entsorgung der Verpackung.

Wie sieht es mit der Umweltbelastung von Nahrungsmitteln aus?

Die Umweltbelastung eines Produktes hängt vom Anbau, der Verarbeitung, der Verpackung, dem Transport, der Lagerung, der Zubereitung und der Entsorgung ab. Die Ernährung ist für rund einen Drittel der gesamten Umweltbelastungen durch unseren Konsum verantwortlich.

Und wie gross ist der Anteil der Verpackung an der gesamten Umweltbelastung des Produkts?

Laut einer Ökobilanz-Studie von esu-Services beträgt der Anteil der Verpackung an der Umweltbelastung von Produkten im Ernährungsbereich nur rund ein Prozent. Fleisch und tierische Produkte machen hingegen rund 44 Prozent aus. Der Hebel dort ist also um einiges grösser.

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Bild: Pascal Walder

Wieso drehen sich Nachhaltigkeitsdebatten eigentlich so häufig um Plastikverpackung?

Einerseits sind wir bei unserem täglichen Konsum immer mit Plastik konfrontiert. Den grössten Anteil davon wollen wir nicht beziehungsweise schmeissen wir weg – er wird also zu Abfall. Und Abfall stört, weil wir ihn entsorgen müssen und er uns daran erinnert, dass wir mit unserem Konsum Ressourcen verschlingen. Andererseits wird in den Medien der Fokus oft auf Plastikverpackungen gelegt. Schlimme Bilder von negativen Auswirkungen gibt es genügend und die sollen auch nicht runtergespielt werden. Was mich daran stört, ist dass die negativen Auswirkungen von anderen Verpackungen oder vom Konsum allgemein oft ausgeblendet werden. Man will ja schliesslich das neuste Handy, aber man nervt sich zu Tode über die aufwendige Verpackung.

Für Lebensmittel gibt es ja ganz unterschiedliche Verpackungsmaterialien. Wie schneiden Plastikverpackungen im Vergleich zu den anderen Verpackungsmaterialien ab?

Plastik schneidet meistens gar nicht so schlecht ab, wenn man den Ressourcen- und Energieaufwand über den gesamten Lebensweg anschaut. Eine spannende Untersuchung gibt es im Bereich Getränkeverpackung von Carbotech. Es werden dort unterschiedliche Getränkeinhalte und die jeweiligen Behälter beurteilt, und ob das Getränk unterwegs oder zuhause konsumiert wird. Beim Bierkonsum zuhause ist es beispielsweise so, dass PET-Flaschen – welche es in der Schweiz fast nicht gibt – und Mehrweg-Glasflaschen am besten abschneiden, gefolgt von Alu-Dosen. Die Einweg-Glasflasche hat mit Abstand die schlechteste Ökobilanz. Nimmt man sich aber unterwegs einen Fruchtsaft, dann greift man am besten zum Getränkekarton oder PE-Beutel. Die PET-Flasche weist eine etwas schlechtere Ökobilanz auf und am schlechtesten ist wiederum die Einweg-Glasflasche.

Gibt es einen einfachen Nachhaltigkeits-Tipp, um im Dschungel der verschiedenen Verpackungsmaterialien den Durchblick zu behalten?

Das Ganze ist eben nicht einfach und deshalb gibt es meiner Meinung nach auch keinen einfachen universell gültigen Tipp. Aber ich versuche es trotzdem: Leichte Verpackungen sind schweren zu bevorzugen. Verpackungen wo immer möglich mehrfach verwenden – egal welche. Recycling ist gut, aber nicht unbedingt ausschlaggebend, was die Ökobilanz betrifft. Eine Einweg-Glasflasche schneidet trotz sehr hoher Recyclingrate immer schlechter ab, als die leichte Kunststoffverpackung – auch wenn diese verbrannt wird. Am Besten man hat man dabei immer präsent, dass der Anteil der Verpackungen an der gesamten Umweltbelastung durch den Konsum sehr klein ist. Viel relevanter sind Änderungen im Ernährungs-, Wohn- und Mobilitätsbereich.

(Mikro-)Plastik
Plastikverpackungen belasten die Umwelt, weil sie aus Erdöl hergestellt werden und bei der Entsorgung, respektive Verbrennung wiederum Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen; in der Schweiz werden rund 90 Prozent der Kunststoffabfälle in der Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt. In der Schweiz sind rund 2⁄3 der gefundenen Abfälle in den Gewässern aus Plastik, was sich negativ auf Tiere und Pflanzen auswirkt. Die können grössere Teilchen sein oder solche unter 5mm Durchmesser, welche als Mikroplastik bekannt sind. Dieser entsteht durch den Abrieb von Autoreifen, stammt aber auch von Verpackungsmaterialien, von Schuhsohlen oder Kleidern. Mikroplastik schadet den Pflanzen und Tieren, weil so giftige Stoffe in die Nahrungskette gelangen und die Teilchen teilweise hormonell wirken.

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