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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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30. Mai 2023 um 04:00

Umfrage zu Wohnungskrise: 92 Prozent sorgen sich wegen Verdrängung

Die Wohnungsnot in Zürich beherrscht nicht nur die Schlagzeilen, sie löst bei den Menschen auch grosse Ängste aus. Erstmals zeigt eine gross angelegte Umfrage mit knapp 10’000 Teilnehmenden: 92 Prozent der Zürcher:innen sorgen sich wegen Verdrängung.

Mehr Stadtwohnungen als Lösung für die Wohnungskrise? Auf dem Foto die städtische Siedlung Isengrind. (Foto: Elio Donauer)

Wer derzeit in der Stadt Zürich ein neues Zuhause sucht, braucht viel Glück, Geduld und Geld. Die aktuelle Leerwohnungsziffer liegt bei 0,07 Prozent, was bedeutet, dass nur 161 Objekte verfügbar sind. Der Wohnungsmarkt in Zürich ist bereits seit Jahren ausgetrocknet, die Krise wird durch immer höhere Mieten verschärft. 

Erstmals zeigt die gross angelegte Tsüri-Umfrage mit knapp 10’000 Befragten zur Wohnungsnot, wie sehr sich die Bevölkerung vor den steigenden Mieten, den zu wenigen Wohnungen und der Gentrifizierung fürchtet.

92 Prozent der Teilnehmenden sorgen sich wegen dieser Verdrängungseffekte. Die Krise betrifft nicht nur das eigene Mietverhältnis, sondern auch die Stadt als sozialen Raum. Die Zürcher:innen sind der Meinung, es sei unfair und schade unserer Gesellschaft, wenn Menschen mit geringerem Einkommen aus der Stadt verdrängt werden. In der Umfrage fürchtet man sich vor sozialen Spannungen, sogar von Streiks ist die Rede, wenn die Wohnungskrise nicht gelöst wird. Zürich verkomme zu einer Stadt für die Reichen, Quartiere würden ihre Communitys verlieren, die Vielfalt verschwinde, dafür halte die Anonymität Einzug. Ein Zürich, ohne sozialen Zusammenhalt.

Von der Wohnungskrise sind alle betroffen

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen schonungslos auf, wie brutal die Wohnungsnot in Zürich zuschlägt. Die Antworten erzählen von existenziellen Ängsten und resignierten Biografien von Menschen, die aus der Stadt verdrängt worden sind. 

Das Haus wird saniert, die Mieten erhöht – ein gängiges Szenario. (Foto: Seraina Manser)

Eine junge Familie berichtet von der engen 1-Zimmer-Wohnung. Die Heizung ist kaputt, im Winter ist es kalt. Eine bessere Wohnung können sie sich nicht leisten.

Oder das Rentner:innen-Paar, das die Kündigung erhalten hat und sich fürchtet, in Zürich keine Wohnung mehr zu finden. Entwurzelt im hohen Alter. 

Und die Schichtarbeiterin, die wegen einer Totalsanierung aus der Stadt verdrängt wurde und jetzt einen viel längeren Arbeitsweg nach Zürich hat. Arbeiten darf sie im Zentrum, aber das Wohnen kann sie sich damit nicht leisten. 

Betroffen von den rasant steigenden Mieten sind alle: Studierende, Migrant:innen, Alleinerziehende, Arme, mittelständische Singles, Pensionierte und Familien. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt macht vor niemandem Halt. 

Monatlich 650 Franken zu viel

Erschreckend: Fast die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer:innen gibt an, dass sie nach ihrem Ermessen bereits heute zu viel Miete bezahlt. Im Schnitt sind es pro Person monatlich 650 Franken – diese Beträge drücken die Kaufkraft, fehlen in der Altersvorsorge.

Entsprechend gross sind die Ängste der Zürcher:innen: 60 Prozent der Befragten halten es für wahrscheinlich, dass sie beim nächsten Umzug keine neue Wohnung in Zürich finden würden. Dann bleibt nur noch der Wegzug aus der Heimat, weg von den Freund:innen, weg vom Arbeitsplatz. Drei Viertel rechnen damit, dass sie über kurz oder lang in einem nahegelegenen Vorort oder in Städten wie Baden, Winterthur oder Schaffhausen landen. 

Wer ist schuld an diesem Schlamassel? Darüber sind sich selbst die Expert:innen nicht einig – und die Politiker:innen überbieten sich gegenseitig mit immer neuen Ideen, wie genügend und bezahlbarer Wohnraum entstehen soll. Für die Teilnehmenden der Umfrage ist klar: Schuld hat einerseits die Politik, die es versäumt hat, griffige Massnahmen zu beschliessen. Und andererseits die institutionellen Anlegerinnen wie Banken und Pensionskassen, die ihre Renditen mit immer höheren Mieten steigern. 

Einige Lösungsvorschläge wurden von den knapp 10’000 Befragten immer wieder genannt: Mehr Genossenschafts- und Stadtwohnungen, Mieten deckeln, Renditen kontrollieren, CS-Immobilien enteignen und Airbnb verbieten. 

Teilgenommen haben 9455 Personen aus allen Stadtkreisen. Diese Umfrage ist nicht repräsentativ.

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