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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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13. Juli 2020 um 04:42

Geschlechtsidentität ist keine Wahl

Fehlende Akzeptanz, Diskriminierung und Unwissen – trans Menschen werden oft auf ihren Körper reduziert, dabei geht vergessen, dass es bei trans in erster Linie um Identität geht.

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Foto: Sharon McCutcheon / Unsplash

«Sara hiess früher Peter, sie möchte ihren alten Namen nicht mehr hören» und «seine Brüste liess Patrick im vorigen Herbst entfernen» – Beispiele von Sätzen, die man in Berichten über trans Menschen in den Medien liest und hört. Cis Menschen sind sich dieser Problematik anfangs oft nicht bewusst. Ja klar, ist doch spannend zu wissen, wie Sara früher hiess und dass Patrick seine Brüste wegmachen lassen hat? Ein Hoch auf die Medizin, schon krass, was alles möglich ist – oder? Nein, sagt Hannes Rudolph, Psychologe in der Fachstelle für trans Menschen im Checkpoint Zürich. Die Thematik der Transition gehöre in erster Linie nicht in die Medien. Diejenigen Leute, die diese Informationen betreffe, würden diese bei Fachleuten und nicht durch die Medien kriegen. Zudem sei es wahnsinnig respektlos den Namen zu nennen, wenn im gleichen Satz davon gesprochen wird, dass jemand den Namen nicht mehr hören wollte.

Klar, «anderssein» fasziniert. Wir schauen hin, staunen und tauchen gedanklich in eine uns fremde Welt ein und flüchten dann schnell in unsere heteronormative Welt zurück. Es ist klar, dass die Thematik aus einem anderen Blickwinkel erzählt werden muss und wir über Geschlechtsidentität sprechen müssen, wenn es darum geht gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern.

Die Erkenntnis, was Geschlechtsidentität bedeutet und dass es diese gibt, müsste sich durchsetzen.

Hannes Rudolph / Psychologe Checkpoint Zürich

«Identität kann man nicht fassen oder sehen»

Trans Personen würden oft auf medizinische Eingriffe und Stereotypen reduziert. Den wenigsten cis Menschen sei bewusst, dass es bei trans in erster Linie um Identität geht – um Geschlechtsidentität, sagt Rudolph. «Die Erkenntnis, was Geschlechtsidentität bedeutet und dass es diese gibt, müsste sich durchsetzen. Das wäre eine bahnbrechende Veränderung.»

Geschlechtsidentität
Geschlechtsidentität ist das innere Wissen einer Person darüber, welches Geschlecht sie hat. Bei cis Personen stimmt die Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht überein, das ihnen bei Geburt zugewiesenen wurde. Geschlechtsidentität ist nicht gleichzusetzen mit Geschlechterrollen: Geschlechterrollen sind das, was die Gesellschaft von einem erwartet, weil jemand männlich oder weiblich gelesen wird. Trans Menschen leben Geschlechterrollen genauso individuell wie cis Menschen. Viele trans Menschen haben eine binäre Geschlechtsidentität als Frau oder Mann. Genauso gibt es auch nonbinäre Menschen, die sich zwischen den Geschlechtern verorten oder die Kategorie «Geschlecht» ganz ablehnen.

«Ich will einfach Ich sein können und von der Gesellschaft als Mann gelesen werden, das macht mich glücklich», so Leander (24), der sich als binärer trans Mann identifiziert. Im Gespräch mit ihm wird einem bewusst, dass zu oft aus trans Menschen eine mediale Sensation gemacht wird und es in der Gesellschaft an Wissen und Akzeptanz mangelt. «Gerade während meiner Ausbildung zum Sozialarbeiter machte ich selber schon die Erfahrung, dass sehr wenig Wissen vorhanden ist – auch unter Fachpersonen.» In seinem Umfeld beobachte er ähnliches, darum gehe er aktiv auf die betroffene Person zu, denn die fehlende Akzeptanz komme oft von Unwissen. So fällt auch im Gespräch – durch mangelnde Aufklärung – der Begriff «Geschlechtsumwandlung». Der Begriff sei fehl am Platz, wenn man von trans Personen spreche, denn es gehe nicht um Umwandlung, sondern eben um die Geschlechtsidentität, die man bereits hat und nicht wandeln kann. Lieber verwendet Leander Begriffe wie «Geschlechtsangleichung» oder «Transition».

Die Frage, wie es sich denn anfühlt, wenn das bei Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit der eigenen Identität übereinstimmt, bekommt Leander oft gestellt. Er stelle sie dann oft seinen cis Freund*innen zurück. Diese antworten in Stereotypen à la «Ich habe als Kind schon immer lieber mit Puppen gespielt», was wiederum nichts mit Geschlechtsidentität zu tun habe. «Identität kann man nicht fassen oder sehen. Es ist ein inneres Gefühl, das schwer in Worte zu fassen ist. Diese Frage ist für cis Personen genauso schwer zu beantworten.»

Aus dem heteronormativen Raster fallen

Das Geschlecht hat noch mehr Facetten als lediglich die Bezeichnungen «Frau» oder «Mann», mit denen sich viele nicht repräsentiert fühlen. Gesellschaftlich werde eine bestimmte Eindeutigkeit erwartet, sagt Rudolph. Da passe eine trans Frau mit kurzen Haaren und einer tiefen Stimme nicht ins Raster. Oder auch ein trans Mensch, der seinen alten Vornamen behält, aber die Pronomen ändert – beispielsweise Laura heisst und die Pronomen «er/ihm» bevorzugt. «Da tut sich das Umfeld schwerer damit», erzählt Rudolph aus seinen Erfahrungen.

Ich will einfach Ich sein können und von der Gesellschaft als Mann gelesen werden, das macht mich glücklich.

Leander

Um den stereotypischen Bildern von Frau oder Mann zu entsprechen, werde von trans Menschen oft erwartet, sich diesem anzupassen, so der Psychologe. Dabei geht oft verloren, dass nicht der Körper entscheidend für das eigene Geschlecht ist und es auch non-binäre Geschlechter gibt. «Es geht nicht darum, den Körper so weit wie möglich passend zu machen, sondern darum, wie man leben möchte, wie du gesehen werden möchtest und was du körperlich brauchst. Wenn jemand sagt: Die Leute sollen wissen wer ich bin, der Rest ist mir egal. Ich brauche keine OPs. So hat die Person genauso viel Respekt für ihr Geschlecht verdient», sagt Rudolph.

Und genau um diesen Respekt geht es. Respekt gegenüber allen Mitgliedern der Gesellschaft. Denn Menschen haben immer eine Chance zu entscheiden, ob sie sich LGBTQIA+-feindlich verhalten wollen oder nicht. Aber sie haben keine Möglichkeit zu entscheiden, wer sie sind, wen sie lieben und wie sie sich selber fühlen und identifizieren. Geschlechtsidentität hat nun mal nichts mit Wahl zu tun.

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