Talkreihe über Sex, Körper und Beziehung: Bald beginnt der «Feuchte Januar» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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22. Dezember 2021 um 19:30

Aktualisiert 22.12.2021

Talkreihe über Sex, Körper und Beziehung: Bald beginnt der «Feuchte Januar»

Tsüri.ch startet mit dem queerfeministischen Sexshop untamed.love in den «Feuchten Januar». In der von Jessica Sigerist moderierten Talkreihe wird sich alles um Sex, unsere Körper und Beziehungsformen drehen. Zum Start wird die untamed.love-Gründerin und Tsüri.ch-Kolumnistin aber selbst in einem persönlichen Gespräch Einblick geben. Als Vorgeschmack hier eine Sammlung ihrer besten Kolumnen-Quotes.

Jessica Sigerist, Gründerin von «untamed.love». (Bild: Elio Donauer)

Arbeit im Sexshop – Wie soll ich’s den Kindern sagen?

«Das müssen sie sich dann aber gut überlegen, wie sie das ihrem Kind erklären», sagte die Kinderärztin unserer Kolumnistin Jessica Sigerist, die einen Sexshop führt. Das brachte sie zum Nachdenken: «Wie soll man Sexualität und Erwerbsarbeit thematisieren, wenn es den meisten Menschen schon schwerfällt überhaupt über Sex zu sprechen?»

Ich habe viele Freund:innen, die «etwas mit Sex» arbeiten. Von Sexualpädagog:innen über Tantramasseur:innen, Bodyworker:innen, Sexualberater:innen bis hin zu Menschen, die klassische Sexarbeit (formerly known as prositution) machen. Einige von ihnen haben Kinder. Andere sind Tanten, Göttis oder haben sonst enge Beziehungen zu Kindern in ihrem Umfeld. Am liebsten wäre wohl allen, wenn sie so beiläufig mit Kindern über ihre Arbeit sprechen könnten wie ein Florist oder eine Atomphysikprofessorin. Falls die Kinder denn überhaupt darüber reden wollen, denn diese interessiert es oft erstaunlich wenig, was Erwachsene für einer Lohnarbeit nachgehen. Die meisten Kinder, die bisher erfahren haben, dass ich Spielzeuge für Erwachsene verkaufe, die diese zum Sex machen verwenden, haben dies mit einem ziemlich abgeklärten Gesicht weggenickt, um sich dann wieder den wichtigeren Dingen des Lebens zuzuwenden.

Es scheint also gar nicht so schwierig zu sein, Kindern meinen Beruf zu erklären. Dass viele Erwachsene nicht wissen, wie sie einem Kind erklären sollen, dass jemand «etwas mit Sex» arbeitet, hat weniger mit den Kindern oder mit dem Sex zu tun, sondern mit den Erwachsenen selbst. Denn wie soll man Sexualität und Erwerbsarbeit thematisieren, wenn es den meisten Menschen schon schwerfällt überhaupt über Sex zu sprechen.»

Meine monogame Freundin

Unsere Kolumnistin Jessica Sigerist hat eine Freundin, die lebt monogam. Sie stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie auf die Art mit ihr reden würde, wie monogame Menschen immer wieder über ihre offene Beziehung reden.

«Aber das mit der Monogamie, das läuft immer noch gut bei euch?» – «Das? Ähm ja, doch, das läuft eigentlich gut, also darum geht’s jetzt hier gar nicht», reagierte meine Freundin etwas irritiert. – «Ich meine ja nur. Ist das denn echt okay für dich, nur mit deinem Freund Sex zu haben? Und er nur mit dir?» – «Ja, also Sex, das ist bei uns ganz gut, das ist gar kein Streitpunkt gerade, eigentlich geht’s um...» Ich hörte meiner Freundin nicht mehr richtig zu, denn in Gedanken war ich schon einen Schritt weiter.

Sex! Genau das ist es, was mich an diesen monogamen Menschen stört, dass es dabei immer nur um Sex geht. Weil um Liebe geht’s ja ganz offensichtlich nicht. Es ist ja unmöglich, nur einen einzigen Menschen zu lieben. Wir lieben schliesslich auch unsere Freund:innen, Eltern und Kinder und wen auch immer. Monogame Menschen überhöhen Sex völlig und tun so, als wäre es das höchste Lebensziel, möglichst nur mit einem einzigen Menschen Sex zu haben. In einer Beziehung kann doch etwas nicht ganz stimmen, wenn das so wichtig ist.

Absurderweise gilt die langandauernde monogame Liebesbeziehung als das Nonplusultra aller Beziehungen.

Jessica Sigerist

Ich bin bi

Ich bin bi – so simpel das klingt, der Weg dahin war's nicht. Unsere Kolumnistin Jessica Sigerist musste Mitte Zwanzig werden, bis sie der Welt mitteilte, dass sie bisexuell ist. Warum das mehr mit der Welt zu tun hat als mit ihr, erklärt sie euch hier.

Ich galt als «Party-Lesbe», diese schreckliche Wortschöpfung der Nullerjahre für eine heterosexuelle Frau, die so cool und unkompliziert ist, dass sie zum Spass mit Frauen knutscht und Dreier hat. Mein Partner wurde dazu regelmässig beglückwünscht und ich regelmässig objektiviert.

In einer Bar traf ich einen Freund, wir waren kürzlich zusammen im Ausgang. Beim Bier erzählte er mir, wie geil er das gefunden habe, mich mit einer anderen Frau rummachen zu sehen. «Das war das erste Mal, dass ich live Lesben-Action gesehen habe» meinte er und versuchte, mit mir darauf anzustossen. Ich kotzte leise in mich rein und wechselte das Thema.

Doch das Thema blieb in meinem Leben und stattdessen wechselten meine Freund:innen. Ich lernte Leute kennen, die waren wie ich. Leute, die Männer lieben und Frauen und Menschen, die beides oder keins von beidem sind. Während mein Umfeld immer queerer wurde, beharrte ich noch immer darauf, heterosexuell zu sein.

Es ist schwierig eine sexuelle Orientierung ernst zu nehmen, die die Welt nicht ernst nimmt. Bis mich an einem ersten warmen Frühlingstag der Blick einer Freundin über einem Glas gespritzten Weisswein fixierte und sie sagte: «Du, hetero? Du bist so etwa der queerste Mensch, den ich kenne». Es war immer noch nicht die beste Zeit sich als bisexuelle Frau zu outen. Doch in diesem Moment beschloss ich, dass mir das egal ist. Es wurde ein guter Sommer.


Alternative Beziehungsformen: «Langfristig funktioniert das nicht»

Unsere Kolumnistin lebt alternative Beziehungsformen – und wird oft mit der Frage konfrontiert, ob das langfristig funktioniert. Sie findet: «Flüchtige Gefühle der Verliebtheit und sexueller Lust stehen ja eigentlich im direkten Widerspruch zu jahrelanger Alltäglichkeit. Absurderweise gilt die monogame Liebesbeziehung trotzdem als das Nonplusultra aller Beziehungen.»

«Langfristig funktioniert das nicht.» Da ist er wieder, dieser Satz, den ich so oft höre und auf den ich so selten eingehe. Den Satz, den mir Leute gerne an den Kopf werfen, wenn ich erzähle, dass ich alternative Beziehungsformen lebe. «Ähm ja, funktioniert ganz gut bis jetzt», antworte ich meistens und wechsle dann das Thema. Ich finde es nicht besonders anständig, den Lebensentwurf einer anderen Person sofort zu bewerten, ohne mehr darüber zu wissen und habe meistens keine Lust mich zu erklären. Dabei könnte ich dazu ziemlich viel sagen.

Zum Beispiel könnte ich entgegnen, dass monogame Beziehungen in der Regel auch nicht langfristig funktionieren. Wer auch immer erfunden hat, dass langanhaltende Beziehungen aus Momenten der Anziehung entstehen sollen, hat uns ganz schön in die Pfanne gehauen.

Flüchtige Gefühle der Verliebtheit und sexueller Lust stehen ja eigentlich im direkten Widerspruch zu jahrelanger Alltäglichkeit. Absurderweise gilt die langandauernde monogame Liebesbeziehung trotzdem als das Nonplusultra aller Beziehungen. Ohne die man als gescheitert gilt. Ohne die einem bestimmt etwas fehlt.

Ohne die man selber defizitär wird, offensichtlich nicht liebenswert genug. Der Glaube an das perfekte Gegenüber, das uns vervollständigt, hält sich hartnäckig obwohl das happily ever after für die wenigsten funktioniert.


Schwanger im Lockdown


Unsere Kolumnistin hat unterdessen ein kleines Kind. Das war nicht immer so. Sie sagt: «Ich war im ersten Lockdown schwanger und im zweiten Lockdown im Wochenbett. Im Nachhinein hat sich das als wahrer Life Hack herausgestellt, doch aller Anfang war schwer.»

«Bleiben Sie zu Hause» lautet die Empfehlung des Bundesrates und ich beschliesse, sie ernst zu nehmen. Ich würde zu Hause gebären, begleitet von meinem Partner, einer Freundin, meiner Doula und der Hebamme. Aus allem, was mir Angst gemacht hat, wird plötzlich etwas Empowerndes.

Ich brauche keine Geburtsvorbereitungskurse und keinen Ultraschall, kein Spital und kein Geburtshaus. Das fühlt sich selbständig und selbstbestimmt an. Da bin ich, die schwangere Frau, die aus ihrem Keller heraus ein kleines Online-Business für Sexspielzeug betreibt inmitten einer globalen Pandemie. Jeden Tag gehe ich durch die menschenleeren Strassen zur Post, mit meinem Wägeli voller Pakete und meinem dicken Bauch. Ich fühle mich wie Kevin Costner in The Postman, in einer dystopischen Zukunft bringe ich den Menschen Hoffnung per Post. Nur halt mit Dildos statt mit Briefen. Und schwanger.

Der Bauch und mein Business wachsen und meine Sorgen werden kleiner. Ich liebe es, schwanger zu sein und der Lockdown scheint mir nur noch Vorzüge zu haben. Fear-of-Missing-out ist kein Thema für mich. Nicht in den Ausgang gehen, keine WG-Parties und keine durchzechten Nächte? Kein Problem, zu verzichten, es findet ja eh nichts statt. Ausserdem haben alle meine Freund:innen ständig Zeit für mich und scheuen keine noch so langweilige Unternehmung.

Vor einem halben Jahr hätten sie den Sonntagnachmittag eher verkatert zu Hause verbracht, als auf einem social distancing Spaziergang. Schwangerschaftstaugliche und pandemietaugliche Aktivitäten sind zum Glück ziemlich deckungsgleich. Durch die Reduzierung der sozialen Kontakte verbringe ich die Schwangerschaft ausschliesslich von meinen engsten Menschen umgeben. Ich komme gar nicht erst in Situationen, wo flüchtige Bekannte mir nervige Ratschläge erteilen oder entfernte Verwandte ohne zu Fragen meinen Bauch anfassen. Pandemie sei Dank.


Bild: Elio Donauer

Der Weirdo in der Frauenbadi


Unsere Kolumnistin sonnt sich oben ohne auf dem Frauendeck des Oberen Letten – und wird danach von einem Mann angesprochen. Sie findet: «Als Frau im öffentlichen Raum von einem Mann angesprochen werden, ist ein bisschen wie eine unfreiwillige Escaperoom-Teilnahme.»

Es ist einer der wenigen schönen Sommertage in diesem Jahr. Nach vier wunderbaren Stunden auf dem Frauendeck im Oberen Letten mache ich mich auf den Heimweg und verlasse den Frauenbereich. Es dauert keine vier Sekunden und ich werde von einem Mann angesprochen: «Darf ich dir eine Frage stellen?», will dieser wissen. Ich erstarre eine Millisekunde lang. Als Frau im öffentlichen Raum von einem Mann angesprochen werden, ist ein bisschen wie eine unfreiwillige Escaperoom-Teilnahme. Wie entkomme ich der Situation möglichst schnell? Die Zeit läuft jetzt.

Zunächst gilt es das Setting zu durschauen. Aufgrund jahrelanger Erfahrung ahne ich bereits, worauf die Situation herauslaufen wird. Doch irgendwie glaubt man ja auch an das Gute im Menschen beziehungsweise im Manne und wer weiss, vielleicht will der Herr tatsächlich nur wissen, wo die Toilette ist. Ich setze meinen Weg zum Ausgang zielstrebig fort (Ein Pro-Tipp, den ich mir über die Jahre angeeignet habe, denn jedes Stehenbleiben könnte einladend verstanden werden).

Während ich noch überlege, ob ich den grünen Knopf (höflich bleiben), den roten Knopf (unhöflich abwimmeln) oder den blauen Knopf (ignorieren) drücken soll, spricht der Mann bereits weiter. Klassischer Anfänger:innen-Fehler von mir: Wie konnte ich davon ausgehen, dass mein Verhalten überhaupt einen Einfluss auf ihn hat?

Ich mag das Gefühl von emotionaler Verbundenheit zu ganz vielen Menschen.

Jessica Sigerist

Meine monogame Freundin ist schwanger

Als unsere Kolumnistin Jessica Sigerist schwanger war, musste sie aufgrund ihrer offenen Beziehung einige indiskrete Fragen über sich ergehen lassen. Heute stellt sie sich vor, wie es wäre, wenn sie auf die gleiche Art mit Menschen reden würde, die in monogamen Beziehungen schwanger sind.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Wie sie sich das denn vorstellen, frage ich. «Ein Kind grossziehen in einer Zweierkiste? Ohne andere Partner:innen, die als Babysitter einspringen können? Ohne Wahlgrosseltern, ohne Metamours und ohne queere Community? Ohne Mitbewohnende, ohne Co-Parents und ohne Tonkels? Nur Mutter, Vater, Kind in einem Kleinfamilienhaushalt?

Das ist doch kein Umfeld für ein Kind! Das berühmte senegalesische Sprichwort sagt schliesslich ‘Es braucht ein Dorf’ und nicht ‘Es braucht ein Einfamilienhaus mit Zaun drum herum’.»

Die beiden schauen betreten zu Boden und sagen nichts. Ich gerate erst richtig in Fahrt: «Natürlich ist das Ganze ja auch nicht. Da genügt ein Blick in die Tierwelt. Tiere ziehen ihre Jungen in Herden auf, in Schwärmen, Rudel, Kolonien,...» – «Stimmt schon», unterbricht mich meine Freundin, «aber die Pinguine zum Beispiel...» – «Ja, wisst ihr denn überhaupt wer der Vater ist!?», rufe ich dazwischen, um von den Tieren wegzukommen.

Der monogame Partner meiner monogamen Freundin wird rot und räuspert sich hörbar. «Ja, also er. Er ist der Vater! Ganz sicher», sagt meine monogame Freundin schnell, um das unangenehme Schweigen zu durchbrechen. Ich muss zugeben, dass meine Frage vielleicht etwas indiskret war.

Es geht nur um Sex

Unsere Kolumnistin lebt nicht monogam und betreibt beruflich einen Sex Shop. Kein Wunder, dass es bi ihr immer nur um Sex geht.

«Dir geht es nur um Sex!», bekomme ich immer wieder zu hören, wenn ich Menschen von meiner offenen Beziehung erzähle. Wahlweise auch «Ihm geht es nur um Sex!», wenn die Menschen derart stereotype Rollenbilder im Kopf haben, dass für sie nur der Mann die treibende Kraft hinter einer sexuell nicht monogamen Beziehung sein kann.

In dieser Lesart bin ich dann jeweils die arme Frau, die die Eskapaden ihres Mannes akzeptiert, um nicht verlassen zu werden. Seit ich als Sex Shop Besitzerin in der Öffentlichkeit stehe, werde ich seltener so wahrgenommen. Die Leute scheinen akzeptiert zu haben, dass ich einfach eine Slut bin. Es geht mir offensichtlich wirklich immer nur um Sex, beruflich wie privat.

Sex mit verschiedenen Partner:innen haben zu können, ist für mich ein Grund in offenen, polyamourösen und beziehungsanarchistischen Beziehungen zu leben. Aber es ist nicht der einzige Grund und vielleicht nicht mal der Wichtigste. Ich lebe schlichtweg wahnsinnig gerne in intensiven Beziehungen zu anderen Menschen, ganz egal welche Art Beziehungen das sind. Ich pflege gerne Beziehungen.

Ich rede gerne über Beziehungen. Ich leiste gerne Beziehungsarbeit. Ich mag das Gefühl von emotionaler Verbundenheit zu ganz vielen Menschen. Ich möchte nicht, dass ein Mensch für alle meine Bedürfnisse verantwortlich ist und im Umkehrschluss möchte ich nicht alleine für alle Bedürfnisse meines Gegenübers verantwortlich sein. Sexualität ist eines dieser Bedürfnisse, aber nicht das einzige. Verschiedene Partner:innenschaften zu haben, ermöglichen mir, viele meiner Bedürfnisse befriedigt bekommen.

«Feuchter Januar»

Schon bald beginnt in Zusammenarbeit mit dem queerfeministischen Sexshop untamed.love der «Feuchte Januar». Was dich dabei erwartet? Vier Gespräche mit untamed.love-Gründerin Jessica Sigerist im «Das Gleis» im Kreis 5. Ob die Anlässe live oder digital stattfinden, steht noch nicht fest. Sicher ist jedoch bereits, wer teilnehmen wird: Nach dem Eröffnungsgespräch zwischen Jessica Sigerist und Tsüri-Redaktionsleiterin Rahel Bains wird die Tsüri-Kolumnistin mit Eneas Pauli über Non-binäre Geschlechtsidentitäten, mit Brandy Butler über Body-Positivity und mit Sidonia Guyer und Michelina Fuchs von Zwischenwelten über BDSM & Kink-Praktiken diskutieren.

Save the Date: 

  1. 4. Januar, 20 Uhr: Talk mit Rahel Bains und Jessica Sigerist (Online auf Tsüri.ch mit anschliessendem Live-Q&A auf Instagram) 
  2. 11. Januar, 20 Uhr: Talk mit Jessica Sigerist und Brandy Butler (Online oder live mit Gästen) 
  3. 18. Januar, 20 Uhr: Talk mit Jessica Sigerist und Eneas Pauli (Online oder live mit Gästen) 
  4. 25. Januar, 20 Uhr: Talk mit Jessica Sigerist und Sidonia Guyer und Michelina Fuchs (Online oder live mit Gästen)

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