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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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28. Februar 2020 um 08:37

Aktualisiert 27.01.2022

«Wir möchten nicht mehr zurück»

Im Zuge des Pilotprojekts Tagesschule 2025 werden in der Stadt Zürich alle Schulen in Tagesschulen umgewandelt. Anlässlich unseres Schwerpunktthemas «Bildung» berichten wir über den aktuellen Stand, die Abmeldequote an den einzelnen Schulen, die Forderungen einer Eltern-Initiative und geben Einblick in den Alltag einer Tagesschule im Kreis 5.

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Das Schulhaus Schütze ist seit 2019 Teil des Pilotprojekts Tagesschule 2025 ist. Bilder: Rahel Bains

Bis zum Schluss seiner 12-jährigen Amtszeit hatte sich der ehemalige CVP-Stadtrat Gerold Lauber mit viel Herzblut für das städtische Tagesschulmodell, eines seiner wichtigsten Projekte, eingesetzt. «Noch in hundert Jahren wird man sich an die ersten Zürcher Tagesschulen erinnern», sagte er denn auch im Herbst 2017 an einer Schulhauseröffnung. Im darauffolgenden Sommer nahmen schliesslich 77,3 Prozent der Stadtzürcher Bevölkerung in einer Volksabstimmung die Pilotphase ll des Projekts und die dafür veranschlagten Kosten von 74,57 Millionen Franken an. In dieser zweiten Phase sollen bis 2022 weitere 24 Schulen hinzukommen.

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Dank dieser Magnettafel wissen die Betreuer*innen im Schulhaus Schütze, wo sich die Schüler*innen während der Mittagszeit aufhalten.

Zu Besuch im Schulhaus Schütze

Eine Schule, die bereits seit vergangenem Sommer als Tagesschule fungiert, ist das Schulhaus Schütze, das fünf Minuten von der Josefwiese entfernt mitten im Kreis 5 liegt. Betritt man das Schulhaus – an dem derzeit rund 200 Schüler*innen unterrichtet werden – zur Mittagszeit, begegnen einem im Eingangsbereich als erstes Ping-Pong spielende Schüler*innen.

Ein paar Meter weiter hängt eine grosse Magnettafel an der Wand. Ein Mädchen mit kurzen, blonden Haaren schnappt sich ein blaues Magnet auf dem ihr Name steht und setzt es auf das Feld «Pausenplatz». So weiss die betreuende Person, wo sie sich gerade aufhält. «In der Turnhalle gibt es heute Drachenspiele, hast du Lust mitzumachen?», sagt diese denn auch einem Jungen, der gerade dabei ist, seine nächste Aktivität zu wählen.

Aus dem Speisesaal gleich daneben ist klapperndes Geschirr und Kinderlachen zu hören. Zwischen 11.50 und circa 13 Uhr werden dort nach dem «Open Restaurant»-Konzept Cherrytomaten, Oliven, Karotten-, Gurken- und Selleriescheiben sowie Reis mit Geschnetzeltem ausgeschöpft. Die Kinder bestimmen selbst, mit wem – das kann auch klassenübergreifend sein – und wann sie essen möchten. Auch Kindergartenkinder sind dort anzutreffen, jedoch in einem mittels Raumtrenner abgeschirmten Bereich. Etwa gut die Hälfte der insgesamt 20 Lehrer*innen, die am Schulhaus Schütze unterrichten, hat sich dazu bereit erklärt, während der Mittagszeit, die bis 13.30 Uhr dauert, zusätzliche Betreuungsarbeit zu leisten, die finanziell entschädigt wird.

Vor und nach dem Essen haben die Schüler*innen die Möglichkeit, sich entweder den jeweiligen «Cluster»-Angeboten (nur für die jeweiligen Stufen) oder dem durchmischten Spiel etwa in der PBZ Pestalozzi Bibliothek, auf dem Spielplatz oder in der Turnhalle im 4. Stock, die nach Holz duftet und durch die Fensterfront den Blick runter auf den Pausenplatz freigibt, zu widmen.

Auch Rückzugsmöglichkeiten werden geboten, in der Unterstufe etwa in Form von zwei königsblauen, mit goldenen Sternen bestickten Baldachins oder einem roten Sofa mit gemütlichen Kissen. Auf dem gleichen Stock befindet sich eine Terrasse mit viel Beton, die man auf den Frühling hin mit den Schülern gemeinsam begrünen will.

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Die Kindergarten-, Unter- und Mittelstufenschüler*innen haben im Schulhaus Schützen sogenannte «Clusterbereiche», zu denen man nur stufenintern Zutritt hat.

Das Projekt läuft gut, wir möchten nicht mehr zurück.

Richard Angermeier, Schulleiter und Jörg Uhlig, Leiter Betreuung.

Gleich neben dem Speisesaal befindet sich das Büro von Jörg Uhlig, dem Leiter Betreuung. Er und Schulleiter Richard Angermeier sind sich einig: «Das Projekt läuft gut, wir möchten nicht mehr zurück». Auch die Schüler seien zufrieden: «Die überwiegende Mehrheit findet das Projekt gut», zieht Angermeier Bilanz.

Negative Reaktionen wie zum Beispiel jene der insgesamt 30 unterzeichnenden Eltern der Initiative, die von einer Schule im Schulkreis Waidberg fordert, die geplante Mittagszeit für den Tagesschulbetrieb wie bisher bei 110 Minuten zu belassen, habe man im Schulhaus Schütze nicht erhalten. Die oben genannten Eltern bemängeln in der Zusammenfassung ihrer Initiative, dass Familien, welche sich vom Pilotprojekt abmelden, durch die gekürzte Mittagszeit – neu sind 80 Minuten vorgesehen – unter anderem in den familiären Bedürfnissen stark eingeschränkt würden. Sie würden ihren zeitlichen Spielraum verlieren und die Kinder stünden auf dem Schulweg unter grossem Zeitdruck. Auch fordern sie eine Art Probezeit für die Kinder: «Familien- und Arbeitssituationen sind nicht starre Gebilde», so die Initiant*innen.

Schriftliche Anfrage an den Stadtrat

Die beiden Zürcher Grünen-Gemeinderäte Balz Bürgisser und Muammer Kurtulmus wollten vor gut zwei Monaten in einer schriftlichen Anfrage vom Stadtrat unter anderem wissen, welche Schulen im laufenden Schuljahr am Projekt teilnehmen oder in den kommenden Jahren einsteigen, welche Angebote und Massnahmen hinsichtlich der angestrebten Bildungs- und Chancengerechtigkeit ergriffen werden und wie hoch die Abmeldequote der jeweiligen Schulen vom Tagesschulbetrieb ist. Letzte beträgt im Schulhaus Schütze derzeit 20,8 Prozent. «Ich habe das Gefühl, dass sich diese Quote nach dem Austritt der derzeitigen 5. und 6. Klässler noch verringern wird, da die darauffolgenden Schüler*innen bereits mit dem System Tagesschule vertraut sind», so Uhlig.

So sieht die Abmeldequote der einzelnen Schulen aus:

  1. Aegerten (Primar): 5,6 %
  2. Albisriederplatz (Sekundar): 28,6 %
  3. Altstetterstrasse (Primar): 13,5 %
  4. Am Wasser (Primar): 2,3
  5. Balgrist-Kartaus (Primar): 23,6 %
  6. Blumenfeld (Primar): 7,2 %
  7. Bungertwies (Primar): 4,5 %
  8. Himmeri (Primar): 19,7 %
  9. Hirzenbach (Primar): 15,8 %
  10. Kornhaus (Primar): 22,4 %
  11. Leutschenbach (Primar): 8,8 (Sekundar: 22,5)
  12. Limmat (Primar): 7,4 % (Sekundar: 64,6)
  13. Neubühl (Primar): 23,5 %
  14. Pfingstweid (Primar): 2,1 %
  15. Schauenberg (Primar): 43,9 %
  16. Schütze (Primar): 20,8 %

Auf die grossen Schwankungen zwischen den einzelnen Schulen wie etwa dem Schulhaus Schauenberg mit 43,% Abmeldungen und der Schule Pfingstweid mit 2,1 % abgemeldeten Schüler*innen angesprochen, sagt Mylène Nicklaus, Leiterin des Projekts Tagesschule 2025, auf Anfrage von Tsüri: «Die Abmeldequoten sind mit durchschnittlich 15% auf Primarstufe und 37% auf Sekundarstufe leicht höher als in Phase I und variieren zwischen 2% und 44% auf Primarstufe und zwischen 23% und 65% auf Sekundarstufe. Aufgrund der kurzen Zeitspanne können wir noch keine qualifizierten Aussagen über die Gründe machen.»

Kann der anfangs gesetzte Zeitrahmen eingehalten werden?

Das Projekt sei jedoch insgesamt auf gutem Weg. Das Konzept geniesse unter den Beteiligten und auch in der Elternschaft eine hohe Akzeptanz und habe an den Pilotschulen wie geplant umgesetzt werden können. Laut Nicklaus erhalte die Stadt Zürich zudem rege Anfragen von Kantonen und Gemeinden, die sich für das Projekt interessieren. Nicklaus: «Sogar über die Landesgrenzen hinaus, etwa aus Deutschland und Russland, haben wir Anfragen bekommen.»

Ob das einst angestrebte Ziel, bis zum Jahr 2025 alle Zürcher Schulen in Tagesschulen umzuwandeln, eingehalten werden kann, kann so nicht bestätigt werden: «Tagesschule 2025 ist ein Projekttitel. Er sagt nichts über den konkreten Zeitpunkt der flächendeckenden Einführung aus», so Nicklaus.

Unabhängig von der Einführung der Tagesschulen 2025 ist die Stadt Zürich mit einer extrem starken Zunahme der Anzahl Schülerinnen und Schüler konfrontiert.

Mylène Nicklaus, Leiterin des Projekts Tagesschule 2025
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Bei der Planung des Schütze-Neubaus konnte gezielt auf die heute bestehenden Tagesschul-Strukturen Rücksicht genommen werden.

Platzmangel und starke Zunahme der Schülerinnen und Schüler

Das Schulhaus Schütze, wie es in der jetzigen Form existiert, wurde 2019 fertiggestellt. Das Gebäude vereint Bestehendes und Neues zu einem kompakten Ganzen und bei der Planung konnte gezielt auf die heute bestehenden Tagesschul-Strukturen Rücksicht genommen werden. «Das ist natürlich optimal», so Uhlig.

Schwieriger haben es da bekanntlich diverse andere Zürcher Schulen – denn Altbau ist zwar schön anzusehen, doch macht der Baustil die Organisation eines Tagesschulbetriebs nicht unbedingt einfacher. Auch der Fakt, dass immer mehr Paare mit Kindern in der Stadt wohnen bleiben und nicht wie früher aufs Land ziehen, lässt die Schüler*innenzahlen in die Höhe schnellen und stellt die Schulen vor allem platzmässig vor grosse Herausforderungen. Dies bestätigt Nicklaus: «Unabhängig von der Einführung der Tagesschulen 2025 ist die Stadt Zürich mit einer extrem starken Zunahme der Anzahl Schülerinnen und Schüler konfrontiert, da im Alterssegment der Kinder und Jugendlichen das Wachstum noch deutlich höher war als bei dem ohnehin starken Bevölkerungswachstum in der Stadt Zürich.»

In den letzten fünf Jahren habe die Volksschule pro Schuljahr jeweils rund 1200 Schüler*innen mehr verzeichnet. Der zusätzliche Raumbedarf in den Schulen sei hauptsächlich durch das Wachstum der Schüler*innenzahlen begründet, aber auch durch die damit verbundene steigende Nachfrage nach Betreuung in den Regelschulen sowie durch die Tagesschulen 2025. Um das weitere Wachstum bewältigen zu können, seien zahlreiche Neubauten, Erweiterungen aber auch weitere ZM-Pavillons und Einmietungen geplant.

Diese Ziele verfolgt das Projekt Tagesschule 2025:

  1. Bildungsgerechtigkeit: Unterstützung von Integration und Förderung aller Schüler*innen.
  2. Wirtschaftlichkeit: Optimierung der Organisation von Unterricht und Betreuung.
  3. Gleichstellung: Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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An den gebundenen Mittagen bezahlen die Eltern einen Einheitstarif von 6 Franken.

So funktioniert sie:

  1. An Tagen mit Nachmittagsunterricht bleiben die Schüler*innen über Mittag in der Schule. Diese Mittage sind Teil der «gebundenen» Zeit.
  2. Die Schüler*innen essen gemeinsam und werden von Fachpersonal betreut.
  3. Die Eltern bezahlen pro gebundenem Mittag einen Einheitstarif von 6 Franken.
  4. Die Schulen bieten unentgeltliche und freiwillige Aufgabenstunden an.

Diese Schulen haben von Anfang an mitgemacht:

In der Pilotphase I haben ab 2016 sechs Schulen (Aegerten, Am Wasser, Albisriederplatz, Blumenfeld, Leutschenbach und Schauenberg) den Betrieb als Tagesschule aufgenommen.

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Ob das Tageschul-Projekt in der bisherigen Form weitergeführt und flächendeckend eingeführt werden kann, wird voraussichtlich im Sommer 2022 in einer Volksabstimmung entschieden.

Diese sind ab dem Schuljahr 2019/20 hinzugekommen:

  1. Altstetterstrasse
  2. Balgrist-Kartaus
  3. Bungertwies
  4. Himmeri (Fusion aus Heumatt und Staudenbühl)
  5. Hirzenbach
  6. Hutten
  7. Kornhaus
  8. Limmat
  9. Neubühl
  10. Nordstrasse
  11. Pfingstweid
  12. Schütze

Diese werden demnächst folgen:

  1. 2020/21 Schulen Hans Asper, Mattenhof, Riedtli, Scherr, Weinberg-Turner
  2. 2021/22 Schulen Dachslern-Feldblumen, Fluntern-Heubeeribüel, Gubel, Ilgen
  3. 2022/23 Schule Freilager

Ob das Projekt in dieser Form weitergeführt und flächendeckend eingeführt werden kann, wird voraussichtlich im Sommer 2022 in einer Volksabstimmung entschieden. Die Chancen stehen aber gut: Im Vorfeld der Abstimmung im Jahr 2018 hatte sich lediglich die städtische SVP gegen die Vorlage gestellt. Sowohl die FDP als auch die SP und die Grünen zeigten sich nach dem positiven Abstimmungsergebnis erfreut – wenn auch aus teils unterschiedlichen Gründen.

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