Ich war Statist beim ersten Zürcher Tatort und habe mich als 80er Aktivist verkleidet - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Kamil Biedermann

Redaktor

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18. Oktober 2020 um 14:52

Ich war Statist beim ersten Zürcher Tatort und habe mich als 80er Aktivist verkleidet

Am Sonntag wurde der allererste Tatort aus Zürich ausgestrahlt. Und ich habe gespannt auf meinen Auftritt gewartet. Bei meinem ersten Versuch, TV-Star zu werden, ging noch alles schief. Doch für die Premieren-Folge konnte ich jetzt eine Statistenrolle ergattern.

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Ich und mein Statisten-Outfit. Foto: Autor.

50 Franken bar auf die Hand, kalte Füsse und einen halben Ferientag opfern für die Hoffnung, ein Jahr später für wenigstens ein paar Sekunden irgendwo im Hintergrund auf Millionen Fernsehschirmen zu flimmern. Ob sich das gelohnt hat? Auf jeden Fall, schliesslich hatte ich mit dem Schweizer Tatort noch eine Rechnung offen.

Begonnen hat die ganze Geschichte schon vor einigen Jahren im Herbst 2016. Das internationale Vice Magazine hatte damals noch einen Schweizer Ableger und als Freelancer schrieb ich dort neben dem Studium hin und wieder ernste oder weniger ernste Texte. Zweitere schien die Redaktion von mir damals besonders zu schätzen und fragte mich an, ob ich am Zurich Film Festival vorbeischauen möge. Dort gab es nämlich eine Rolle als Statist beim nächsten Tatort in Luzern zu gewinnen. Dazu musste ich einzig eine Jury von SRF und Tatort-Kommissar*innen von meinen Schauspiel-Skills überzeugen. Von Schauspiel hatte ich natürlich keine Ahnung, was die Redaktion genau wusste und mich wohl deshalb hinschickte.

Sie sollten Recht behalten haben. Die mir zugeteilte und mir bis dahin unbekannte Partnerin warf ich bei der Festnahme-Szene so rüde zu Boden, dass die Jury das Casting sofort abbrach und mir die Handschellen wieder wegnahm. Die Statistenrolle war weg, dafür bekam mein damaliger Chef einen mittellustigen Erfahrungsbericht mit einem sehr lustigen Foto von mir bei der missglückten Festnahme - und für mich gab es eine Woche später eine Festanstellung.

VICE Schweiz gibt es heute nicht mehr und auch der Tatort in Luzern hat die Segel gestrichen, das Gefühl einer offenen Rechnung mit dem Tatort blieb aber. Bis zum Sommer letzten Jahres, als bekannt wurde, dass der abgesetzte Tatort aus Luzern mit neuem Team in Zürich produziert wird. Über eine Gratiszeitung fliegt mir der Aufruf einer Casting-Firma für Statist*innen für den Zürcher Tatort entgegen. Im Gegensatz zum völlig missratenen Casting von einigen Jahren ist die Bewerbung hier einfach. Ich muss der Agentur ein ausführliches Profil zu meiner Person plus einige Gesichts- und Ganzkörper-Fotos schicken.

Zwei Wochen später erhalte ich dann tatsächlich eine Einladung für den Dreh und eine Auswahl von rund 20 Drehtagen, aus denen ich wählen kann. Da für die meisten Drehs einfach Polizeistatist*innen gesucht werden und ich in dieser Rolle früher bekanntermassen eher schlecht performt habe, schlage ich der Agentur eine Szene als Velokurier*in oder als «Mitglied einer politischen Gruppe in den 1980er Jahren» vor, wofür ich auch den Zuschlag kriege. Ich komme also tatsächlich doch noch zu meinem Auftritt im Tatort und bis jetzt war das alles ganz einfach.

Wichtigste Voraussetzung für die Szene in der «politischen Gruppe der 80er Jahre»: Männer müssen eher lange Haare «ohne modernen Schnitt mit kurzen Seiten» haben und für Frauen sind «sehr dünn gezupfte, tätowierte oder aufgemalte Augenbrauen» tabu, weil diese in den 80er-Jahren noch nicht üblich waren. Zudem darf ich mir bis zum Dreh die Haare nicht mehr schneiden. Bis auf den ungefähren Drehort (Uetikon am See) bekomme ich keine weiteren Infos mehr bis zum Vorabend des Drehs.

Wir sind von der Maske, deshalb schauen wir euch alle so blöd an.

Ende November 2019 ist es soweit und ich tuckere in der S-Bahn mit einem Rucksack voll Kleidung in Richtung Uetikon am See zu einem Industriegelände. Am Vorabend teilt die Agentur uns Statist*innen in einem Mail mit, dass wir drei komplette eigene Outfits im 80er-Jahre Stil ans Set mitbringen sollen. Als Inspiration schicken sie uns eine Liste an typischen Kleidungsstücken und Fotos mit.

Am Drehort angekommen, finden wir uns als ein dutzend Statist*innen in einem kahlen, grossem Raum wieder. Dass wir gleich von mehreren Leuten kritisch gemustert werden, klärt sich erst nach einigen Minuten auf. «Wir sind von der Maske, deshalb schauen wir euch alle so blöd an», erklärt uns eine Frau.

Die schon länger nicht mehr gestutzte Haarpracht findet guten Anklang bei den Masken- und Kostümbildner*innen. Mein selbst mitgebrachtes Outfit wird noch mit einem kratzigen, aber sehr kultigen Wollpullover aufgebessert. Während andere Statist*innen sogar Perücken aufgesetzt kriegen, schmiert mir die Maske in die frisch gewaschenen Haare schmieriges Zeug für den passenden 80er-Look à la «seit 5 Tagen keine Haarwäsche mehr». Et voilà!

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DIe Maske machte einen guten Job. Bild: Autor.

Anschliessend werden uns die Regeln für den Dreh erklärt. Keine Handys, die Sanktionen für die Crew gelten auch für uns Statist*innen: Wessen Handy während eines Drehs läutet, der schuldet der ganzen Crew eine Runde Champagner. Ein Regieassistent erklärt uns, dass wir in zwei Gruppen aufgeteilt sind. Die erste spielt zwei Kiffer am See, während die zweite und meine Gruppe die «Aktionsgruppe Rote Fabrik» während den Jugendunruhen in den 80ern in der Stadt Zürich darstellen soll. Zudem müssen wir uns verpflichten, dass wir unser Insiderwissen zum Tatort bis zur Ausstrahlung für uns behalten werden. Mehr über die Handlung der Folge erfahren wir sowieso nicht und eine Wochen später verrät das SRF praktisch alles, was wir selbst vorab über den Film wussten.

Danach folgt das, was das Statist*innen Life wohl meistens beinhaltet: Das lange Warten bis zum Einsatz. Mit Vegi-Catering, weniger Flügen für die Crew und Requisiten aus dem Brocki wurde der Zürcher Tatort als «grüner Tatort» angekündigt, weshalb auch wir dazu aufgefordert wurden, eigene Tassen mitzubringen. Wohl aber galten dieser Regeln nicht für die kleinen Leute auf dem Statist*innen-Set: Für uns gabs Kaffee trotzdem aus dem Pappbecher und Mineralwasserflaschen.

Nach gut zwei Stunden Warterei war es dann soweit und wir dutzend Statist*innen werden für gerade mal 300 Meter Weg in einem völlig überladenen Kleinbus zum Drehort auf dem Gelände gefahren. Dort stellt uns ein Regieassistent den einzigen richtigen Schauspieler des Drehs vor und erklärt uns die Szene.

Als Teil der «Aktionsgruppe Rote Fabrik» befinden wir uns vor eben dieser Roten Fabrik in Zürich, die von der Kulisse hier in Uetikon dargestellt werden soll. Wir als Statist*innen sollen uns im Halbkreis um den professionellen Schauspieler scharen, der in einer wütenden Rede über die Verletzten und Verhafteten aus unserer Gruppe durch die letzten Auseinandersetzungen mit der Polizei schimpft. Nun erfahren wir auch, dass diese Szene eine Rückblende in die Vergangenheit der 80er in Zürich ist, während die Haupthandlung des Tatorts in der Gegenwart spielt.

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Das Areal in Uetikon am See, auf dem gedreht wurde. Bild: Autor.

Nachdem wir vom Regieassistenten platziert werden, beginnen wir nach nur zwei Proben bereits mit den Aufnahmen. Während der professionelle Schauspieler auswendig eine rund einminütige Wutrede hält, sind unsere Aufgaben recht begrenzt: Aufmerksam zuhören, Kopfschütteln und ab und zu eine kämpferische Faust in die Luft heben. Nach der Rede sollen wir dann noch alle gemeinsam motiviert «auf ein Bier in Richtung Bar der Roten Fabrik» zulaufen, wie uns der Regieassistent erklärt.

Rund zehn Mal drehen wir die Szene ab. Zuerst werde ich von der Regie in die zweite Reihe platziert, womit höchstens mein Gesicht von der Kamera eingefangen wird. Nach einigen Aufnahmen nimmt mich der Regieassistent aber tatsächlich in die erste Reihe, weil ihm mein Outfit so gut gefällt! Beste Voraussetzungen für maximalen Statisten-Fame.

Nicht genug der Aufmerksamkeit, pickt mich der Regieassistent nochmal raus und gibt mir sogar persönliche Anweisungen. In seiner Rede zählt die Hauptperson der Szene alle unsere Genoss*innen auf, die in Auseinandersetzungen mit der Polizei verletzt wurden. Der Regieassistent erklärt mir, bei einer Genossin soll ich mir vorstellen, sie sei meine Affäre und ich soll deshalb besonders wütend werden! Bin ich jetzt schon zum Statisten gehobener Klasse aufgestiegen?

Ansonsten bleibt der Dreh relativ unspektakulär. Ausser ein paar Versprecher des Schauspielers bleibt alles ohne Pannen. Die Regisseurin Viviane Andereggen ist zwar auch am Set, hält sich aber eher im Hintergrund und gibt uns schauspielerischen Fussvolk nur vereinzelt Anweisungen. Nichts gesehen haben wir vom Ermittlerinnen-Duo Tessa Ott und Isabelle Grandjean.

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Die Kommissarinnen Carol Schuler als Tessa Ott, Anna Pieri Zuercher als Isabelle Grandjean. Copyright: SRF/Sava Hlavacek.

Nachdem die Szene fertig im Kasten ist, gibt's 50 Franken Gage bar auf die Hand und wir sind nach rund vier Stunden am Set und kalten Füssen wegen des Hundewetters ganz froh, dürfen wir wieder gehen. Finanziell eignet sich das Statist*innen-Dasein wohl kaum für den Lebensunterhalt. Dafür konnte ich aber meine ganz persönliche Rechnung mit dem Tatort begleichen - hoffentlich zumindest. Uns wird weder mitgeteilt, ob die Szene auch wirklich ausgestrahlt wird oder dem Schnitt zum Opfer fällt, noch können wir den Film oder die Szene vorab anschauen. Deshalb werde auch ich heute Abend nach einem Jahr warten gespannt vor dem Fernseher sitzen und nach einem Typen mit fettigen Haaren im schicken 80er-Outfit Ausschau halten. Ob auch du mich findest?

Der erste Zürcher Tatort «Züri brännt» läuft heute um 20:05 Uhr auf SRF. Zwei ungleiche Kommissarinnen müssen sich für die Lösung eines mysteriösen Mordfalles zusammenraufen. Die Ermittlungen führen die Frauen zurück in das bewegte Zürich der 1980er-Jahre.

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