SP-Ratspräsidentinnen Sofia Karakostas und Sylvie Fee Matter im Interview - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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5. Mai 2023 um 04:00

SP-Ratspräsidentinnen: «Im Kantonsrat wird man viel weniger beschimpft»

Demnächst werden sowohl der Zürcher Kantons- als auch der Gemeinderat von der SP präsidiert. Die designierten Präsidentinnen Sofia Karakostas und Sylvie Fee Matter sprechen im Interview über «ganz normale Frauen» und die Frage, ob man sich lieber duzen oder siezen sollte.

Sofia Karakostas, Sylvie Fee Matter

(Foto: Elio Donauer)

Zu Beginn des Gesprächstermins im sozialdemokratischen Traditionshaus Café Boy beugen sich Sylvie Fee Matter und Sofia Karakostas über Matters selbstgestaltete Agenda. Sie reden über die Organisation ihrer Termine, bleiben für eine Weile auf einer Seite hängen, die Matter kunstvoll mit dem Wort «Saucissonage» gefüllt hat. Die künftige Gemeinderatspräsidentin Karakostas sucht während des Gesprächs immer wieder den Rat ihres 14 Jahre jüngeren Kantonsrats-Pendants, fragt nach deren Erfahrungen. Karakostas kam vor drei Jahren verhältnismässig spät zur parlamentarischen Arbeit, Matter krönt mit dem Präsidium vorerst ein sehr aktives Politiker:innenleben: Sie präsidierte bereits ihre Juso-Sektion sowie den Studierendenrat und kann auf insgesamt knapp zehn Jahre im Zürcher Gemeinde- und Kantonsrat zurückblicken.

Steffen Kolberg: Mit Ihnen beiden werden in Kürze sowohl die höchste Stadt- als auch die höchste Kantonszürcherin aus der SP kommen. Welche Aussenwirkung haben zwei linke Frauen in diesen Ämtern?

Sylvie Fee Matter: Als Kantonsratspräsidentin leitet man nicht nur die Sitzungen, man fährt auch durch den ganzen Kanton, ist bei jedem Verein eingeladen und darf ein Grusswort halten. Da steht man zum Beispiel auch mal vor dem Schiesssportverband, wo man vielleicht auch mal ein soziales Thema unterbringen kann. Letzten Herbst durfte ich zum Beispiel beim Ustertag reden. Dort habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass derjenige, der das Manifest des Ustertags zum Aufstand der Liberalen verfasst hat, ein Deutscher war, der erst seit einem Jahr in der Schweiz gelebt hat. Ein guter Grund, doch mal über das Ausländer:innenstimmrecht nachzudenken. Sowas kann man in diesen Grusswörtern immer wieder mal einstreuen und mit einer Doppelspitze kann man das natürlich noch etwas besser koordinieren.

Sofia Karakostas: Natürlich kann man das Ausländer:innenstimmrecht in so einem Amt nicht einfach einfordern. Aber bei Veranstaltungen, die erst einmal unpolitisch wirken, kann man solche positiven Messages unterbringen. Vielleicht wird hier und dort ein Interesse an der Politik geweckt, wenn Leute, die nicht so politisch sind, einen sehen und feststellen: «Aha, die ist ja ganz normal.» Das ist eine Chance und die Präsenz wird uns sicher nicht schaden.

S.F.M.: Immer wenn man an einem Ort ist, an dem man eine linke Frau sonst nicht vermuten würde, beispielsweise beim Polizeiverband, beim Schiesssportverein und so weiter, dann tritt dieser Effekt ein: «Aha, das ist ja eine normale Frau.» Ich muss dabei immer daran denken, was alt-Bundesrätin Elisabeth Kopp erzählt hat: Als sie während dem Studium anfing, sich für das Frauenstimmrecht zu engagieren, habe ihr ein Studienkollege gesagt, das überrasche ihn, denn sonst sei sie ja eine ganz normale Frau. Oft erlebe ich eine Abwehrhaltung gegen Frauen, die gendern oder als woke gelten.

Sie freuen sich also auf die vielen Termine, die nun anstehen?

S.K.: Ich freue mich darauf, noch näher an die Bevölkerung kommen zu können und den Dialog zu suchen. Man ist ja doch immer etwas in seiner eigenen Bubble, im Freundeskreis, in der Familie, innerhalb der SP, innerhalb der eigenen Vereine.

S.F.M.: Man vergisst gerne, dass die Vereine eine unglaublich integrative Wirkung haben. Das sehe ich auch bei meiner Arbeit als Lehrerin in der Sek B: Die Jungs aus Eritrea oder Somalia, die perfekt Mundart können und super integriert sind, sind diejenigen, die in einem Sportverein sind. Ich probiere in diesem Jahr zu jedem Verein, der mich einlädt, zu gehen. Vereine sind ein wichtiges Rückgrat unserer Gesellschaft, wir brauchen sie. Ich habe mich ausserdem wahnsinnig gefreut, als der Vorschlag kam, das Rathausprovisorium hierher an den Bullingerplatz zu zügeln. Denn wir sind jetzt wirklich im Herzen des Kreises, in dem die meisten Leute von der Partizipation ausgeschlossen sind. Wir kommen mit der Politik nun zu ihnen. Das finde ich unglaublich wichtig.

S.K.: Wir waren ja zusammen am Tag der offenen Tür. Es kamen viele Leute aus dem Quartier, die richtig stolz waren, dass wir jetzt dort sind. Mich hat jemand gefragt: «Gehen Sie denn alle paar Jahre in ein anderes Quartier?» Das fand ich irgendwie eine schöne Idee.

S.F.M.: Es ist eine schöne Idee. Es hat aber neun Millionen gekostet, hierher zu zügeln, deshalb machen wir das nicht. Das muss schliesslich der Kanton zahlen (lacht).

Sylvie Fee Matter, Sofia Karakostas

(Foto: Elio Donauer)

Doch auch wenn Sie jetzt an dem Ort sind, an dem viele Menschen vom politischen Prozess ausgeschlossen sind: Politisch wird sich an diesem Ausschluss in diesem Jahr wohl kaum etwas verändern, oder?

S.F.M.: Dazu wird in diesem Jahr tatsächlich ein Geschäft in den Kantonsrat kommen. Die Stadt Zürich hat eine Behördeninitiative eingereicht, die fordert, Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Kommunen ein Ausländer:innenstimmrecht einführen können.

S.K.: Wenn die Stadt Zürich damit vorwärts machen könnte, hätte das Signalwirkung in der Schweiz. Das ist ja schon ein sehr langjähriges Anliegen der SP und als Seconda mit griechischen Wurzeln bin ich mir der Problematik sehr bewusst. Viele Bürgerliche wollen das partout nicht, weil sie vermutlich das Gefühl haben, es gingen dann viele Stimmen nach links. Ich glaube aber, dass ungefähr die normale Verteilung dabei herauskommen würde.

Ein anderes Thema, bei dem die Stadt für ein linkes Anliegen auf den Kanton angewiesen ist, ist das bezahlbare Wohnen. Gerade wurde die kantonale Initiative für ein kommunales Vorkaufsrecht eingereicht.

S.F.M.: Klar, Zürich hat ein Wohnproblem, aber eben nicht nur diese eine Stadt. Wir müssen auch Uster, Wetzikon oder die ganze Agglomeration im Auge behalten. Im ganzen Kanton müssen wir schauen, dass das Land, das dort noch vorhanden ist, gesichert werden kann. Einerseits müssen Wohnungen gebaut werden, andererseits müssen sich die Kommunen auch Land sichern für alles, was es sonst noch braucht. Man sieht an der Stadt Zürich, dass beispielsweise Schulbauten Platz brauchen. Wenn wir den Boden nicht sichern, haben wir wieder auf jedem Pausenplatz Züri-Module herumstehen.

S.K.: Wir brauchen auch qualitativ guten Platz. Es kann ja durchaus sein, dass es irgendwo noch Platz für ein Schulhaus hat, aber der muss ja auch erreichbar sein für die Kinder. Wir wollen ja noch Verhältnisse, in denen die Kinder allein in die Schule gehen können.

Aber wird das Vorkaufsrecht noch ein Thema werden während der kommenden Ratspräsidentschaft?

S.F.M.: Das weiss ich jetzt gar nicht so genau. Gerade bei einer Volksabstimmung ist relativ viel vorgegeben, es gibt genaue Fristen. Da haben wir keinen Einfluss darauf, ob ein Geschäft früher kommt oder nicht. Bei anderen Sachen kann man die Dinge durchaus mal beschleunigen. Die letzte Kantonsratspräsidentin hat geschaut, dass die Baudirektion möglichst oft drankam in Sitzungen. Das lag aber weniger daran, dass beide Grüne sind, sondern war vor allem die Folge eines riesigen Staus an Geschäften in der Direktion. Im Moment dauert es bis zu vier Jahre, bis etwas, das man eingereicht hat, zur Behandlung ins Parlament kommt. Das ist eigentlich nicht haltbar.

«Der Kantonsrat arbeitet im Gegensatz zum Nationalrat sehr unprofessionell.»

Sylvie Fee Matter

Eine Änderung dieser Situation ist nicht in Sicht?

S.F.M.: Es gab immer wieder Ideen und Ansätze, das zu ändern. So sollte es weniger Doppelsitzungen geben, weil in Doppelsitzungen mehr Vorstösse kämen. Aber der Vorstoss selber ist ja ein Zeichen unserer Gestaltung. Unser Kerngeschäft ist die Gesetzgebung, und da ist es wichtig, dass man seine Ideen einbringt. Ich glaube, wir müssen uns eher fragen: Machen wir genug Sitzungen? Und es gibt immer wieder sehr unprofessionelle Vorstösse.

S.K.: Das liegt auch in der Verantwortung der Fraktionen.

S.F.M.: Nicht nur. Der Kantonsrat arbeitet im Gegensatz zum Nationalrat sehr unprofessionell. Man glaubt es manchmal nicht, aber wir haben gleich viel Sitzungszeit wie der Nationalrat! Aber wir bekommen keine Diensthandys, keine persönlichen Mitarbeiter:innen, nichts in der Art. Es gab ein Riesengeschrei, als unsere Entschädigungen erhöht wurden. Aber der Gedanke dahinter war, dass man es sich als Kantonsrät:in leisten kann, sein Pensum zu reduzieren und so die Zeit hat, das Amt wirklich professionell auszuüben.

S.K.: Ich finde es gut, dass wir ein Milizparlament sind und würde das unbedingt so beibehalten wollen. Aber in letzter Zeit gehen die Sitzungen immer öfter bis nach 22 Uhr, und diese Flexibilität können sich die wenigsten leisten. Das muss sich ändern.

Gibt es Ideen im jeweiligen Präsidium, die Sitzungszeiten wieder etwas zu verkürzen?

S.K.: In einem Parlament sollten Debatten möglich sein. Meine Aufgabe ist es, zu schauen, dass die Leute anständig reden und ihre Redezeit einhalten. Mir ist wichtig, dass die Sitzungen effizient sind.

S.F.M.: Das mit der Effizienz haben sich bei uns bereits die letzten vier Präsidien zum Ziel gesetzt. Man muss sehen: Dadurch, dass wir Gesetze machen mit unseren Debatten, sind die natürlich später Teil der Auslegung dieser Gesetze.

S.K.: Genau. Es geht nicht bloss darum, wie entschieden wurde, sondern auch: Wie wurde argumentiert?

S.F.M.: Wir arbeiten im Rat eigentlich an den Grundlagen unserer Gesellschaft und unseres Zusammenlebens. Dafür müssen wir uns auch Zeit für eine angemessene Debatte nehmen.

S.K.: Es gibt ja immer wieder Geschäfte, bei denen man gleich stimmt wie die SVP, aber aus ganz anderen Gründen, und diese Nuancen muss man nachvollziehen können.

Im Gemeinderat wurde Ratspräsident Matthias Probst in letzter Zeit hin und wieder vorgeworfen, nicht früh genug eingeschritten zu haben, als der Tonfall beleidigend wurde. Haben Sie eine Strategie für solche Fälle, Frau Karakostas?

S.K.: Ich möchte Matthias Probst in Schutz nehmen. Am Anfang seines Präsidiumsjahres musste er sehr viel Kritik einstecken, weil er manchmal ein bisschen zu früh eingeschritten ist. Später hat er die Debatten eben etwas mehr laufen lassen. Man kann es nie allen recht machen. Und wenn man manchmal nicht den richtigen Moment erwischt, dann ist es einfach zu spät. Es braucht eine faire, gute Gesprächskultur und alle -ismen haben an so einem Ort keinen Platz. Das werde ich nicht zulassen. Und um mir selbst zu helfen, den richtigen Moment zu erwischen, muss ich mir im Voraus ein paar Szenarien überlegen: Wenn jemand zu lange redet, wie stoppe ich die Person? Wie reagiere ich, wenn jemand sich wirklich im Ton vergreift?

Wie ist das im Kantonsrat?

S.F.M.: Was Ausdrücke angeht, ist es bei uns ein weniger grosses Problem, einfach wegen dem Hochdeutsch. Ich habe das als unglaublich angenehm empfunden, als ich vom Gemeinderat in den Kantonsrat gewechselt bin. Man wird viel weniger beschimpft als Linke im Kantonsrat als im Gemeinderat (lacht). Aber es ist auch schon vorgekommen, dass in einer persönlichen Erklärung alle anwesenden Jusos als Terrorist:innen bezeichnet worden sind. Das hatte der damalige Ratspräsident zunächst nicht gemerkt und sich dann nachträglich entschuldigen müssen.

S.K.: Siezt oder duzt ihr euch eigentlich während der Debatte? Denn offenbar stellt das ja eine Hemmschwelle bei gewissen Sachen dar. Bei uns duzen sich ja die meisten in den Gängen. Ich frage mich manchmal, ob es helfen würde, sich während der Debatte zu siezen.

S.F.M.: Es ist unterschiedlich. Vor allem wenn jemand mit der Funktion angesprochen wird, wird gesiezt. Man kann aber auch beim siezen unglaublich abfällig werden.

S.K.: Ich überlege, ob ich am Anfang deklarieren soll, dass ich während der Sitzungsleitung alle sieze. Ich habe das Gefühl, dass es einfacher sein könnte, zu sagen: «Bitte mässigen Sie sich» als «Hallo du, das reicht jetzt».

S.F.M.: (überlegt) Also ich sage: «Ihre Redezeit ist abgelaufen.»

S.K.: Das meine ich. Ich glaube, das würde mir helfen.

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