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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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5. September 2022 um 04:00

SP und FDP im Streitgespräch über die Neugasse-Initiative

Ein Drittel gemeinnützige Wohnungen auf dem Neugasse-Areal seien nicht genug, sagen Befürworter:innen der Initiative. Das SBB-Projekt sei ein guter Kompromiss, finden die Gegner:innen. Das Doppelinterview mit den Gemeinderät:innen Anjushka Früh (SP) und Hans Dellenbach (FDP).

Über die Zukunft dieses Areals stimmt Zürich ab. Wann wird gebaut? (Bild: Screenshot/Masterplan)

Die Neugasse-Initiative fordert, dass auf dem Landstück im Kreis 5 zu 100 Prozent gemeinnützige Wohnungen entstehen. Falls die SBB dies nicht wollen, sollen sie das Areal zu «fairen Konditionen» der Stadt Zürich abgeben. Bereits im April 2018 schickte der Stadtrat den SBB einen Brief und machte darin sein «grosses Interesse am Kauf des Areals» deutlich. Doch die Eigentümerin hat kein Interesse.

Nach dieser Abfuhr verhandelte die Stadtregierung mit den SBB. Herausgekommen ist ein Masterplan, welcher insgesamt 375 Wohnungen vorsieht, wobei je ein Drittel gemeinnützig, einer temporär preisgünstig und einer zu Marktpreisen vermietet werden soll. 

Mit dem Argument, dass damit der Volkswille nach einem Drittel gemeinnützigen Wohnungen auf Stadtgebiet nicht unterstützt wird, hat eine AL-nahe Mieter:innenbewegung die nun vorliegende Volksinitiative lanciert. Neben der AL unterstützen auch die SP und die Grünen das Begehren. Auf der Seite der Gegner:innen stehen die bürgerlichen Parteien und der linke Stadtrat. Ihr Argument: Das vorliegende Projekt der SBB sei ausgewogen und sowieso wäre die Initiative bei einem Ja nicht umsetzbar, weil die Stadt die SBB nicht zum Verkauf zwingen könnte. 

Wird die Initiative angenommen, drohen die SBB, das Land brachliegen zu lassen. Fällt die Initiative an der Urne durch, muss der Gemeinderat nochmals über den Gestaltungsplan und die nötigen Umzonungen beraten. So oder so: Nach der Abstimmung wird der Kampf noch nicht zu Ende sein.

Vorerst stimmt Zürich also über die Volksinitiative ab. Brisant ist, dass der von der SP dominierte Stadtrat von der eigenen Partei bekämpft wird, während die Bürgerlichen mit dem Slogan «Endlich mehr Wohnungen» in die Schlacht ziehen. 

Was geht hier vor?

Die Argumente für die Initiative hat SP-Gemeinderätin Anjushka Früh und jene dagegen FDP-Gemeinderat Hans Dellenbach. 

Simon Jacoby: Selbst bei einem Ja zur Initiative werden die SBB das Land nicht einfach der Stadt verkaufen. Die Initiative gefährdet zudem den Bau von 125 gemeinnützigen Wohnungen. Anjushka Früh, warum sind Sie gegen günstige Wohnungen?

Anjushka Früh (SP): In der Stadt Zürich gibt es einen grossen Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Das Volk hat sich darum für einen Drittel gemeinnützigen Wohnraum ausgesprochen. Von diesem Ziel sind wir aber weit entfernt. Das Drittelsziel lässt sich nur erreichen, wenn bei neuen Projekten mehr als nur ein Drittel gemeinnütziger Wohnraum entsteht.

Die Stadt kann die SBB nicht zwingen, ihr Land zu verkaufen. Die Abstimmung ist also reine Symbolpolitik.

Früh: Mir ist bewusst, dass wir die SBB nicht zum Verkauf des Grundstückes zwingen können. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass öffentlicher Druck durchaus nützen kann, um Wohnungen mit horrenden Mieten zu verhindern. Wir wollen ein Zeichen setzen und die SBB müssen ihre Verantwortung wahrnehmen.  

Hans Dellenbach, Sie gehen mit dem Slogan «Endlich mehr Wohnungen» in den Abstimmungskampf. Das klingt eigentlich nach SP. Haben Sie sich verfahren? 

Hans Dellenbach (FDP): Nein, die Linken politisieren hier gegen die eigenen Interessen. Wir haben ein grünes Projekt vorliegen, mit 375 Wohnungen, einem Schulhaus und einem Park. Wenn wir die Initiative ablehnen, steht diesem Projekt nichts mehr im Weg. Die Stadt Zürich braucht nicht nur günstige, sondern möglichst viele Wohnungen. 

«Wir waren zu einem Kompromiss bereit, die SBB sind von Anfang an auf ihrem Drittel stehen geblieben.»

Anjushka Früh (SP)

Das Volk hat aber auch dem Drittelsziel zugestimmt und fordert damit massiv mehr gemeinnützige Wohnungen. Die SBB helfen nicht, diesem Ziel näher zu kommen.   

Dellenbach: Wenn wir gar keine Wohnungen bauen, kommen wir dem Ziel auch nicht näher. Bei diesem Projekt entstünden gemeinnützige Wohnungen auf privatem Grund. Das ist besser als nichts. Um das Drittelsziel zu erreichen, muss die Stadt auf eigenem Land Wohnungen bauen. 

Beim Uetlihof war die FDP aber gegen den Landkauf.  

Dellenbach: Ja, bei diesem Geschäft waren Planungshorizont und Risiken zu gross und die Aussicht auf gemeinnützige Wohnungen zu gering. Die letzten 20 Jahre Wohnungsbau zeigen, dass die Privaten am meisten bauen. 

Anjushka Früh, Sie und Ihre Partei haben den SBB als letzter Kompromiss 40 Prozent gemeinnützigen Wohnraum vorgeschlagen, was 25 Wohnungen mehr entspricht. Dafür wollen Sie das ganze Projekt gefährden?  

Früh: Das gleiche können Sie auch die SBB fragen. Sie gefährden die Pläne wegen 25 Wohnungen. Wir finden das vorliegende Projekt nicht grundsätzlich schlecht, aber beim Anteil der gemeinnützigen Wohnungen müssen sich die SBB bewegen. Wir waren zu einem Kompromiss bereit, die SBB sind von Anfang an auf ihrem Drittel stehen geblieben. 

Nun stützt die FDP den SP-Stadtrat André Odermatt, der von seiner eigenen Partei bekämpft wird. Insofern ist diese Abstimmung auch ein Referendum gegen die Wohnbaupolitik von Stadtrat André Odermatt. 

Früh: So hoch würde ich das jetzt nicht stilisieren. Innerhalb der SP konnte der Stadtrat seine Argumente mehrfach vorbringen, Odermatt ist mit seinen Positionen aber nicht durchgedrungen. Das gehört zur Politik. 

«Ich bin der Meinung, es macht keinen Sinn, über diese Initiative abzustimmen.»

Hans Dellenbach (FDP)

Ich habe die SBB gefragt, ob sie bei einem Ja den Forderungen der Initiative nachkommen würden. Sie behaupten, sie würden kein neues Projekt in Angriff nehmen. Sie werden sich also bei einem Ja kaum bewegen.

Früh: Sie müssten ihre Position wohl nochmals überdenken.

Auch wenn die Initiative angenommen wird, dürfen die SBB das Land nicht einfach brach liegen lassen. Der Bund verlangt Renditen für den Bahnverkehr. Pokert die SBB hier etwas hoch?

Dellenbach: Natürlich müssen sie über kurz oder lang etwas machen. Abgeben können sie das Land aber nicht, weil sie dann keinen Gewinn mehr erzielen können. Würde das Grundstück mir gehören, würde ich einfach mal eine Generation abwarten, vielleicht ändert sich die politische Situation. 

Früh: Ich hoffe, die SBB würden bei einem Ja zur Initiative über ihren eigenen Schatten springen und ein neues Projekt vorlegen. Es braucht nur noch einen kleinen Schritt auf den Gemeinderat zu. Übrigens geht es auch bei diesem Projekt nicht ohne den Gemeinderat, denn wir müssen ja noch über die Umzonungen und den Gestaltungsplan beraten.  

Ist es nicht grundsätzlich ein Problem, dass die SBB, welche dem Schweizer Volk gehören, auf dem Buckel ihrer Besitzer:innen Gewinn erwirtschaften müssen?

Dellenbach: Ich sehe hier kein Problem, wenn die SBB eine moderate Rendite erwirtschaften und damit die Steuerzahler:innen entlasten. 

Früh: Doch, genau das ist das Problem. 

Das heisst aber, man müsste in Bern den Kurs korrigieren und diese Abstimmung über das Neugasse-Areal ist doch nur Symbolpolitik.  

Früh: Es liegt nicht an Zürich, den SBB zu sagen, wie sie die Bahn finanzieren sollen. Aber wir können entscheiden, ob wir mehr bezahlbare Wohnungen statt Luxuswohnungen wollen.   

Es gibt ja nationale Forderungen, die SBB bei den Mieten etwas einzuschränken. Warum lassen Sie die Debatte nicht dort, wo sie hingehört? 

Früh: Sich darauf zu verlassen, dass das Bürgerliche Parlament in Bern die Höchstmieten der SBB stoppt, ist vermutlich leider Wunschdenken. Darum braucht es jetzt ein Ja, um ein klares Signal zu senden.

Dellenbach: Ich bin der Meinung, es macht keinen Sinn, über diese Initiative abzustimmen. Aber nun liegt sie vor und jetzt stimmen wir halt darüber ab. Umsetzbar ist sie trotzdem nicht und sie verhindert ein wichtiges Projekt, das Wohnungen bringen würde. 

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