Extinction Rebellion-Protest: «Was wir hier tun ist illegal, aber legitim» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Michael Schallschmidt

Praktikant Redaktion

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4. Oktober 2021 um 17:13

Extinction Rebellion-Protest: «Was wir hier tun ist illegal, aber legitim»

Mit einer gross angelegten Protestaktion blockierten die Klima-Aktivist:innen der Extinction Rebellion für fünf Stunden die Uraniastrasse. Die Bewegung versucht damit, ihre Forderungen an den Bundesrat durchzusetzen. Neben der Protestaktion fanden Schulungen für «Zivilen Ungehorsam» und Gebetskreise statt.

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Aktivist:innen der Extinction Rebellion blockieren die Uraniastrasse (alle Fotos: Michael Schallschmidt).

09:45 – Besammlung auf dem Platzspitz

Vom andauernden Regen sind die Kieswege auf dem Platzspitz bereits matschig. Polizeifahrzeuge patrouillieren auf der Parkpromenade, während sich in und um den Pavillon hinter dem Landesmuseum immer mehr Menschen in Regenjacken versammeln. Einige tragen Armbinden mit stilisierten Sanduhren oder haben Fahnen und Plakate dabei. Andere halten Strassenkarten in ihren Händen, instruieren neu Angekommene und verteilen Aufgaben.

Bei den rund 200 Personen, die sich mittlerweile versammelt haben, handelt es sich um Aktivist:innen der Gruppe «Extinction Rebellion». Sie alle verfolgen eine Mission: «Ziviler gewaltloser Ungehorsam», um auf die Untätigkeit von Politik und Wirtschaft im Angesicht der Klimakrise aufmerksam zu machen.

Manche sind bereits seit zwei Tagen an Veranstaltungen anwesend oder organisieren diese. So gab es beispielsweise am Sonntag auf dem Zeughaushof bereits eine Eröffnungszeremonie mit Konzerten und Ansprachen.

Wir sind nicht hier, um den Leuten eine Freude zu machen.

Organisatorin der Extinction Rebellion

Einige Aktivist:innen besuchten dort Schulungen über das richtige Verhalten bei Verhaftungen oder etwa «gegenseitige emotionale Unterstützung». In den letzten Stunden vor dem Höhepunkt der «Rebellion gegen das Aussterben», richten Organisator:innen die Anweisungen und Informationen aus.

10:00 – Schulung in zivilem Protest

Zwei Aktivist:innen beginnen im Pavillon mit einem Workshop über die Grundlagen des «Zivilen gewaltlosen Ungehorsames». Teilnehmende, die neu zur Bewegung gestossen sind, erhalten eine Schulung darüber, was ein Sitzstreik bringen soll, wie weit die Polizei gehen darf und mit welchen rechtlichen Konsequenzen gerechnet werden muss.

Denn der Sitzprotest, den die Bewegung ab 12 Uhr auf der Uraniastrasse durchführt, ist nicht bewilligt. «Was wir tun ist illegal, aber legitim, da es um eine dringende Sache geht», erklärt eine Instruktorin.

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Briefing frühmorgens auf dem Platzspitz.

Sie weist ihre Zuhörer:innen auch mehrmals darauf hin, dass sie für die Teilnahme am Sitzprotest möglicherweise verhaftet werden: «Wenn das der Fall sein sollte, empfehlen wir euch, jegliche Aussage gegenüber der Polizei zu verweigern».

Verhaftungen seien auch im Interesse der Aktivist:innen, da dies verdeutliche, wie ernst ihnen ihr Anliegen sei. Je mehr Verhaftungen es gäbe, desto ausdrucksstärker sei die ganze Aktion.

«Wir sind nicht hier, um den Leuten eine Freude zu machen», erklären die Instruktor:innen immer wieder. Die Bewegung mache jedoch keinen Gebrauch von Gewalt in irgendeiner Art und würde die Ordnungskräfte auch nicht als ihren Feind ansehen.

11:45 – Aufmarsch an der Uraniastrasse

Bereits vor dem offiziellen Beginn des Sitzprotestes sammeln sich einige Mitglieder auf der Kreuzung Uraniastrasse/Bahnhofstrasse.

Auf beiden Seiten der Strasse stehen mehrere Demonstrant:innen mit Klappstühlen und Transparenten bereit, um nach dem nächsten Glockenschlag die mehrspurige Kreuzung lahm zu legen. Alles unter Beobachtung der Polizei, die bereits vor den ersten Aktivist:innen anwesend war.

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Die Demonstrant:innen benutzen ein Boot als Barrikade.

Denn die Organisator:innen der Extinction Rebellion informierten die Behörden im Vorfeld über den Ablauf und die Standorte ihres Protestes.

Eine Gruppe zieht ein Boot auf einem Anhänger auf die Strasse, blockiert damit eine Fahrspur und setzt sich anschliessend hinein. Daraufhin stehen weitere Aktivist:innen auf die Strasse und bringen langsam aber sicher den Verkehr zum erliegen.

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Ab 12 Uhr fanden Aktionen statt, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu steigern.

12:00 – Alles steht still

Mit dem Glockenschlag der Kirchtürme nimmt der Sitzprotest sein volles Ausmass an. Über 200 Menschen, von jung bis alt, in Kostümen und Regenmänteln, mit Transparenten und Protestschildern, strömen auf die Strasse und setzen sich hin. Manche auf Klappstühlen, andere direkt auf den vom Regen nassen und mit Pfützen übersäten Asphalt. Für Autos, Busse, Strassenbahnen und auch die Polizei, die sich bis anhin noch im Hintergrund bereithielt, gibt es kein Durchkommen mehr.

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Nur wenige Minuten nach Beginn des Sitzstreikes brachte sich die Polizei in Stellung.

Bei der Aktion in Zürich handelt es sich jeodoch bei weitem nicht um die spektakulärste der Extinction Rebellion. Im Jahr 2018 sorgte die Bewegung bereits für Aufsehen, als sie in London mehrere Brücken blockierte. In Grossbritannien, wo die Gruppe ihren Usprung hat, stufen die Behörden Extinction als ideologische Extremistengruppe ein. Dies berichtete der Guardian.

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Die Uraniastrasse war in weniger als zehn Minuten durch den Sitzprotest lahmgelegt.

«Power to the people» rufen die Teilnehmer:innen lautstark durch die Strasse und stimmen zu Protestliedern an. Das anhaltende Hupen der Autofahrer:innen, die nicht mehr durchkommen, übertönen sie damit jedoch nicht.

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Mehrere Aktivist:innen in Clownkostümen bestimmen das Bild beim Sitzstreik.

«Schön, dass ihr selbst merkt was für Clowns ihr seid», schreit ein wütender Passant zu den Aktivist:innen herüber, die sich kostümiert haben. Eine Viertelstunde später schaltet sich das Dialogteam der Stadtpolizei ein.

Über Lautsprecher geben die Behörden bekannt, die illegale Strassenblockade nicht zu dulden und erteilen den Streikenden eine Frist bis 12:30, um den Protest freiwillig aufzulösen.

Wir kommen am Dienstag einfach wieder und dann am Mittwoch und am Donnerstag und so weiter.

Markus Bosshard, Extinction Rebellion

Mit Gesang, Rufen und Pfeifen machen die Demonstrant:innen lärm, um mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Einige Passant:innen klatschen und jubeln den Protestierenden zu. Andere wiederum machen sich über die Aktion lustig oder beschimpfen sie.

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Die Polizei beschlagnahmt die ersten Barrikaden.

Währenddessen transportieren Polizeikräfte das Boot mitsamt Insassen von der Strasse ab. Bis 13:30 Uhr versucht die Polizei die Lage ohne härtere Massnahmen unter Kontrolle zu bringen. Danach beginnt sie mit den ersten Verhaftungen und damit, die Aktivist:innen von der Strasse zu tragen.

14:00 – Angespannte Lage

Von den ursprünglich über 200 Demonstrant:innen sitzen noch wenige Dutzend auf der Uraniastrasse. Ein paar Meter entfernt vom Sitzprotest singen Angehörige der Extinction Rebellion Lieder, Organisator:innen verteilen Flyer oder versuchen mit der Polizei in Dialog zu treten.

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Die Demonstrant:innen blieben trotz Polizeiaufgebots sitzen.

Ein Ende des Protestes scheint sich nicht abzuzeichnen. Auch Markus Bosshard, Mediensprecher der Extinction Rebellion, ist vor Ort und beobachtet den Sitzstreik: «Wir sehen uns als eine Alarmglocke für den Klimawandel. Unser Plan ist es, die Öffentlichkeit wachzurütteln».

Laut Bosshard würde der Bundesrat zu wenig gegen die Klimakrise unternehmen. Aus diesem Grund schrieb Extinction Rebellion im Juni dieses Jahres einen offenen Brief an den Bundesrat, der drei Forderungen der Aktivist:innen enthielt.

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Die Polizei tritt immer wieder in Dialog mit den Aktivist:innen.

So solle der Bundesrat die Wahrheit über die Klimakrise kommunizieren, sofort handeln, um die Folgen einzuschränken und eine Bürger:innenversammlung zur gemeinsamen Lösungsfindung einberufen.

Dies unter Androhung von Konsequenzen, falls der Bundesrat den Forderungen bis zum 20. September nicht Folge leisten sollte. Nachdem es keine Reaktion auf den Brief gab, lösen die Aktivist:innen ihre Drohung ein, und legen die grösste Schweizer Stadt mit friedlichen Mitteln lahm.

Der Sitzstreik solle so lange dauern, bis der Bundesrat eine Antwort liefere, erklärte Bosshard in einer Pressekonferenz einige Tage vor dem Sitzstreik: «Wir kommen am Dienstag einfach wieder und dann am Mittwoch und am Donnerstag und so weiter».

17:00 – 134 Verhaftungen, Gebetsrunde im HB

Der Protest beginnt sich langsam aufzulösen: Gegen 17 Uhr sind noch etwa 30 Protestierende auf der Uraniastrasse im Sitzstreik. Rund 55 Personen befänden sich in Gewahrsam, wie Extinction Rebellion über den Messenger-Dienst Telegram bekannt gibt. Seit fünf Stunden warten die Aktivist:innen nun auf eine Antwort des Bundesrates.

Um 17:30 findet im HB eine «Gebetsrunde oder stille Meditation» statt. Dies gibt die Bewegung in ihrem offiziellen Programm und auf Telegram an. Wer jedoch von einer ausschweifenden Zeremonie mit Gesang und Musik ausgeht, liegt jedoch falsch. Im HB, wo die Veranstaltung stattfinden sollte, besammeln sich nur etwa 15 Personen, die beim Treffpunkt am Boden sitzen und sich unterhalten.

Nach etwa 20 Minuten bewegen sie sich aus der Schalterhalle. Auf die Frage, ob dies nun die Gebetsrunde war, kann niemand eine genaue Antwort geben. Der Fakt, dass die meisten französisch sprechen, erleichtert die Kommunikation zudem nicht wirklich.

Diesen letzten Programmpunkt organisierte laut offiziellem Programm die «Christian Climate Action», einer Gruppe von christlichen Klimaaktivist:innen. Diese arbeitet seit 2018 eng mit Extinction Rebellion zusammen und verstehet sich als ein Teil der Bewegung. Auf ihrer Website geben sie an, sie seien «von Jesus Christus inspiriert und vom Heilligen geist geführt».

Vorerst ist die Uraniastrasse geräumt, wie die Stadtpolizei bekannt gibt. Insgesamt kam es zu 134 Verhaftungen. Damit endet die Protestaktion der Extinction Rebellion jedoch noch lange nicht. Die Bewegung plant, den Sitzstreik täglich zu wiederholen bis der Bundesrat ihren Forderungen Folge leistet.

5. Oktober – Holzgerüste auf der Uraniastrasse.

Wie die Aktivist:innen angekündigt haben, geht der Zivile Ungehorsam in die nächste Runde. Rund 30 Klimaaktivist:innen blockieren die Kreuzung Uraniastrasse/Bahnhofquai. Es kommt zu 10 Verhaftungen, wie die Extinction Rebellion in einer Medienmitteilung bekannt gibt. An der Kreuzung Uraniastrasse/Bahnhofstrasse errichten die Aktivist:innen ein Holzgerüst, in das sie sich hineinsetzen.

Zwei Stunden bleibt die Konstruktion stehen, bevor die Polizei eingreift und die Strasse ab 14:30 wieder für den Verkehr frei ist. Die beiden Aktivist:innen, die in den Gerüsten sitzen, werden verhaftet.

6. Oktober – Verhaftungen im HB

Ab 11 Uhr versammeln sich rund 50 Aktivist:innen im HB, um sich für den dritten Tag ihres Sitzstreiks weiter in Richtung Bahnhofstrasse zu bewegen. Beamte der Stadt- Kantons- und Bahnpolizei kesseln die Demonstrant:innen ein, um eine erneute Blockade der Uraniastrasse zu verhindern.

Es kommt noch in der Bahnhofshalle zu 15 Verhaftungen und Wegweisungen, wie der Tages-Anzeiger berichtet. Die Behörden verhindern damit eine erneute Strassenblockade. Um 13:15 gibt die Polizei die Halle wieder frei.

7. Oktober – Das Material fehlt

Wie die Extinction Rebellion auf Telegram bekannt gibt, beschäftigt sie sich mit der Beschaffung von neuen Materialien wie Transparenten und Plakaten. Dies, nachdem die Polizei einen Grossteil ihrer Ausrüstung beschlagnahmt habe.

Personen, die Armbinden der Extinction Rebbelion tragen, müssten mit Verhaftungen rechnen, gibt die Bewegung weiter bekannt. Aller Umstände zum Trotz planen die Aktivist:innen eine weitere Blockade auf der Bahnhofstrasse: Diesesmal würden sich jedoch nur drei Personen in den Sitzstreik begeben.

Was ist die Extinction Rebellion?
Die Extinction Rebellion (deutsch: «Rebellion gegen das Aussterben») ist eine international tätige Umweltschutzbewegung. Mit Mitteln des zivilen Ungehorsams versucht sie Massnahmen von Regierungen zu erzwingen, um das mögliche Aussterben von Tieren, Pflanzen und dem Menschen aufgrund des Klimawandels zu verhindern. In der Schweiz existieren 16 Ortsgruppen der Bewegung. Nach eigener Aussage sei gewaltfreies Handeln, Autonomie und die Achtung aller Individuen zentral für die Aktivitäten der Bewegung.

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