Schauspielhaus Co-Chef: «Viele Menschen wertschätzen nicht, was umsonst ist» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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9. Februar 2020 um 08:00

Schauspielhaus Co-Chef: «Viele Menschen wertschätzen nicht, was umsonst ist»

Die neuen Intendanten des Zürcher Schauspielhauses haben ein Experiment gewagt: An bisher vier Abenden durfte das Publikum selber entscheiden, wie viel das Ticket kostet. Co-Intendant Benjamin von Blomberg zieht im Interview ein erstes Fazit.

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(Foto: zvg/Andreas Graber)

Simon Jacoby: Wie viel ist eine einzelne Theatervorstellung wert?

Benjamin von Blomberg: Dieser Wert ist schlicht jenseits aller Kategorien. Es geht um die Produktion von Kunst. Und in dieser sind erstens unzählige Menschen involviert, die sie in einem hoch engagierten, verletzlichen und verletzbaren Prozess hervorzubringen versuchen. Und zweitens kommen dann auch noch in dem nicht minder anspruchsvollen und empfindsamen Kommunikationskonstrukt «Aufführung» unterschiedlichste Menschen dazu, die sie betrachten.

Kannst du diesen Wert in Franken beziffern?

Ganz sicher nicht! Mit keinem Ticketpreis und keiner Preispolitik der Welt. Der Wert ist subjektiv, die Kosten daher auch. Alle, die schon einmal ihr letztes T-Shirt für ein Ticket auf dem Schwarzmarkt hergaben, kennen das.

In der Spielzeit 19/20 konnten an vier Abenden die Zuschauer*innen selber wählen, wie viel sie zahlen wollten. Warum habt ihr das eingeführt?

Wir wollen gemeinsam mit unserem Publikum rausbekommen, wie sie die Preise am Schauspielhaus gestalten würden. Uns hat es in unserer Vorbereitungszeit auf die Intendanz in Zürich enorm angestrengt, immer schon von vornherein so klug und wissend sein zu müssen. Denn natürlich haben wir uns die Köpfe heiss diskutiert darüber, ob die Preise am Schauspielhaus in den letzten Jahren stimmten. Hand aufs Herz: Uns erschien das alles so irre teuer! Aber wer sind wir denn? Wir wurden gerade erst Stadtbewohner*innen und hatten noch kein Gefühl für Preise und Wertdiskussionen vor Ort. Daher haben wir gesagt: Wir trauen unserem Instinkt und senken pauschal die Preise. Alle können alle Vorstellungen für 20 Franken besuchen, der reduzierte Preis ist 10 Franken. Zusätzlich gibt es eine Flatrate für die ganze Spielzeit für Menschen unter 30 Jahren, diese kostet 111 Franken. Die teuerste Ticketkategorie liegt wieder unter 100 Franken und einmal pro Monat entscheidet die Stadt selbst, wie viel sie auf allen Plätzen zahlen will.

Ging es darum, neue Zuschauer*innen anzulocken? Oder um per Experiment zu eruieren, wie viel die Leute zahlen?

Nein, es ging uns schlicht darum, die Stadt zu befragen und die Menschen zu Kompliz*innen zu machen in einem hyperkomplexen Debattenfeld. Für uns sind ja alle Zuschauer*innen noch neu.

Ich finde das klingt erst einmal herrlich: Eintritt frei!

Wissenschaftlichen Studien zu Pay What You Want zeigen, dass die bezahlten Preise pro Stück zwar sinken, die Erträge aber steigen. Das heisst: Die Konsument*innen bezahlen weniger, dafür kommen mehr davon. Ein Trick von euch, um die Auslastung des Theaters zu erhöhen?

Jetzt zu Beginn stellen wir das noch nicht fest. Die Auslastung der Zahlen-was-man-will-Vorstellungen liegt noch deutlich tiefer als die allgemeine Auslastung. Und unser Kassenpersonal spürt eine gewisse Überforderung des Publikums, das den Preis und die Platzkategorie selbst bestimmen kann. Dabei kommen viele Fragen auf: Wie viel zahlen denn die anderen? Oder was würde die Platzkategorie denn normalerweise kosten? Ich finde das ja echt toll, diese Gewissen- und Ernsthaftigkeit. Aber schön ist schon auch, dass jetzt viele eben auch die Diskursivität und auch den Schalk der Aktion entdeckten und zu aktiven und autonomen Akteur*innen in diesem Spiel werden wollen.

Am meisten wurden Tickets für 10 oder 20 Franken gekauft. Seid ihr zufrieden mit den frei gewählten Beträgen?

Der Durchschnittspreis lag bei rund 30 Franken. Meinst du, wir wären zufriedener, wenn alle 100 Franken bezahlt hätten? Nein, sicher nicht. Ich finde es wichtig zu wissen, wovon wir reden. Also schlicht zur Kenntnis zu nehmen und Schlüsse zu ziehen, jenseits von vorschnellen auch moralischen Analysen jeder Couleur.

Gemäss dem druckfrischen Geschäftsbericht von der Spielzeit 18/19, also noch vor eurer Intendanz, spülten total 136’127 Eintritte knapp 5 Millionen Franken in die Kassen. Im Schnitt sind dies 36.70 Franken pro Eintritt. Wenn die Leute zahlen können, was sie wollen, liegt der Schnitt etwas tiefer. Passt ihr nun die Preispolitik an?

Für Anpassungen ist mir das alles viel zu früh. Wir hatten «Zahlen, was man will» jetzt vier Mal mit ca. 1'600 Zuschauer*innen insgesamt. Wir sind noch nicht weit genug für eine repräsentative Schlussfolgerung. Wir sind aber glücklich, dass wir mit diesem Format neben dem Theatermontag einen weiteren Tag geschaffen haben, wo alle wissen: Am Geld wird mein Besuch ganz gewiss nicht scheitern!

Konnte die Aktion «Zahlen, was man will» ein neues Publikum anlocken? War es diverser? Jünger?

Auf jeden Fall beides. Aber das Tolle ist, dass uns das gerade in allen Vorstellungen und umfassend gelingt. Und es ist so schön zu sehen, dass sich alle übereinander freuen. Die, die schon da waren, über die, die plötzlich auch da sind. Und die, die dazukommen, über jene, die sie strahlend in Empfang nehmen.

Vom Kulturbudget der Stadt Zürich kriegt das Schauspielhaus mit 38 Millionen Franken (von knapp 110 Mio.) den grössten Brocken, jeder der gut 136’127 Eintritte ist also mit 279 Franken subventioniert. Insofern ist es ein öffentliches Volkstheater. Wieso schafft ihr die Eintrittspreise nicht ganz ab?

Ich finde, das klingt erst einmal herrlich: Eintritt frei! Was ich daran so schätzen würde, wäre sicher auch, dass eines deutlich würde: Die ganze Stadt leistet sich so etwas Wunderbares wie das Schauspielhaus! Es gehört allen! Und alle sollen daher Zutritt haben – zu ihrem eigenen Haus.

Aber?

Für den Moment stellen sich für mich noch folgende Fragen: Viele Menschen, und auch davon erzählen Statistiken und Erfahrungen, wertschätzen nicht, was umsonst ist. Wir brauchen diese Ticketerlöse von viereinhalb bis fünf Millionen unbedingt! Sie fliessen eins zu eins in die Kunst. 38 Millionen Franken Subventionen klingt ja nach unglaublich viel Geld, zumal in der Art und Weise, wie Du suggestiv fragst, also eingebunden in die Feststellung: «der grösste Brocken des Kulturbudgets der Stadt Zürich».

Es ist viel Geld und keine andere Kulturinstitution der Stadt kriegt auch nur annähernd so viel. Aber klar, ein grosses Theater mit einem hohen künstlerischen Anspruch braucht auch ein entsprechendes Budget.

Genau. Um unserem Auftrag seitens der Stadt gerecht zu werden und ein Stadttheater für die ganze Stadt zu sein, das regelmässig im Pfauen und im Schiffbau Vorstellungen hat und ein breites kulturelles Angebot zur Verfügung stellt, braucht es z. B. eine technische Mannschaft*Frauschaft von allein über 180 Mitarbeitenden. Es braucht Infrastruktur und Räumlichkeiten, die enormen Unterhalt, Miete und Bewirtschaftung erforderlich machen. Es braucht einen Verwaltungsapparat und und und. Das, was wir für die konkrete Kunstproduktion dann noch übrig haben, also für Gagen der Künstler*innen und für Materialkosten aufwenden können, ist vorsichtig ausgedrückt: Überschaubar. Um dieses Geld müssen auch wir kämpfen.

Konkret?

Ohne knapp über zwei Millionen Stiftungs- und Sponsoringgelder pro Spielzeit wüssten wir nicht, wie wir unser künstlerisches Programm stemmen sollten. Also: Ohne Eintrittspreise bräuchten wir fünf Subventions-Millionen mehr. Ich finde deinen Vorstoss ja super, aber ob wir diesen politisch durch bekämen angesichts dessen, dass eine Budgetkürzung von zwei Prozent im Raum steht?

Lohnen würde es sich und es wäre absolut richtig! Denn eins ist doch völlig klar: Es fehlt an Zuwendungen in der freien Szene, in der Kultur insgesamt. Die Konzeptförderung und zusätzliche Förderung des Kinder- und Jugendtheaters, die die Stadt auf den Weg bringen will, ist daher ein wichtiger, bahnbrechender Schritt. Mit ihr würde auf einen Schlag 3,5 Millionen Franken pro Jahr an Fördermitteln in die Szene fliessen und auch längerfristiges Engagement für Akteuer*innen ermöglichen - und mit 3 Milliarden Steuereinnahmen in 2018 und 1,5 Milliarden Eigenkapital kann sich das die Stadt auch leisten!

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