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2. Dezember 2019 um 05:00

Sans-Papier-Kolumne: Viel geleistet, wenig Lohn erhalten

Geschätzt leben 10’000 Menschen ohne Papiere in Zürich, sogenannte Sans-Papiers. Sie leben hier, sie arbeiten hier, aber sie haben (fast) keine Rechte und keine Stimme. Licett Valverde, die als Sans-Papier in die Schweiz kam, schreibt einmal im Monat auf Tsüri.ch über ihre Erlebnisse.

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Bild: Pan Xiaozhen via Unsplash

In der letzten Ausgabe meiner Kolumne auf Tsüri.ch habe ich darüber gesprochen, wie schwierig es für mich war, eine Wohnung zu finden, während ich ohne geregelte Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz lebte.

Heute möchte ich über die Art der Arbeit schreiben, die ich in dieser Zeit geleistet habe – und über die Umstände, unter denen ich gearbeitet habe.

Vom ersten Moment an, als ich mir überlegte, wie ich dieses Abenteuer der Auswanderung gestalten könnte, wusste ich, dass ich unter anderem meinen Lebensunterhalt mit Putzen oder als Babysitterin verdienen musste. Alles Jobs, die sehr würdevoll und notwendig sind.

Ich kann mich an viele Berufserfahrungen zurückerinnern. Manche bleiben in guter, andere in schlechter Erinnerung. Die übliche Bezahlung schwankte zwischen 15 und 20 Schweizer Franken pro Stunde, oft auch weniger. Schlimmer noch: Einige Male, nachdem ich viele Stunden, oder gar Tage gearbeitet hatte, zahlten sie mir nichts. Als ich mich über diese Ungerechtigkeit beschweren wollte, musste ich mir folgende Worte anhören: «Halt besser die Klappe und sei dankbar, dass ich dich nicht bei der Polizei angezeigt habe, weil du eine Sans-Papiers bist!»

Ich erinnere mich, dass ich während meines ersten Winters in der Schweiz eine Stellvertretung für zwei Monate übernahm. Ich habe in einem bekannten und exklusiven Club in der Innenstadt geputzt. Wir begannen um sechs Uhr morgens mit einem Team von ungefähr zehn Leuten. Meine Aufgabe war es, die Toiletten zu reinigen. Zusätzlich zur schlechten Atmosphäre unter den Angestellten, musste ich mich mehrmals fast übergeben, als ich den Zustand der WCs nach dieser Partynacht sah. Da fühlte ich mich so elend und wollte einfach nur noch weg, aber dann dachte ich über die Miete nach, die ich bezahlen musste, und zu dieser Zeit war diese Stellvertretung leider meine einzige Einnahmequelle. Am Ende war die Situation mit der Reinigungsverantwortlichen sehr kompliziert. Sie wollten mein Gehalt nicht bezahlen. Doch obwohl ich mich in einer klaren Benachteiligung befand, habe ich gekämpft, um das zu bekommen, was ich mir mit viel Arbeit und Mühe auch verdient hatte.

Ich hatte das Glück, einen Bolivianer zu treffen, der mich mit dem italienischen Besitzer einer Reinigungsfirma bekannt machte. Dieser stellte mich ein, obwohl ich keine Aufenthaltserlaubnis hatte. Ich arbeitete mehrere Monate für diese Firma, unterhielt zwei bis drei Wohnungen pro Tag an verschiedenen Orten in der Stadt und den umliegenden Gemeinden. Am Ende des Monats lag mein Gehalt zwischen 1'200 und 1'500 Franken.

Während meiner Arbeit für diese Firma habe ich in vielen verschiedenen Zuhausen gearbeitet, wovon ich – im Nachhinein betrachtet – viel profitieren konnte. Allerdings erzählte ich niemandem davon, dass ich eine Sans-Papiers war, da dies Konsequenzen mit sich bringen hätte können.

Einmal machte ich den Fehler, meine Situation einer Kundin zu erklären. Ich putzte regelmässig das Haus einer Familie mit kleinen Kindern. Alles lief bestens, bis ich das Bedürfnis, mich jemandem anzuvertrauen, nicht mehr zurürckhalten konnte und so erzählte ich der Frau meine Geschichte. Ich glaubte, dass das Mass an Vertrauen, das wir hatten, ausreichte, damit sie mich verstehen würde. Daraufhin rief die Frau meinen Chef an und kündigte ihren Auftrag.

Ich ging aus der Zahnklinik und kehrte nie mehr zurück.

Einer der Orte, an die mich diese Firma zum Arbeiten schickte, war eine Zahnklinik. Der leitende Zahnarzt war richtig besessen davon, dass alles sauber ist. Die Firma schickte mich als letzten Ausweg, weil der Zahnarzt mit niemandem glücklich war. Er stopfte absichtlich kleine Papierstückchen in die Ecken und überprüfte anschliessend, ob ich meine Arbeit gut gemacht hatte oder nicht. Er machte Fotos von den Ecken, von denen er dachte, ich hätte sie nicht gereinigt. Er war ein junger Mann, der von Beginn an sehr nett zu mir war – und für eine Weile beschwerte er sich auch nicht. Bis er eines Tages ohne Grund anfing, mich anzuschreien und zu beleidigen, weil angeblich der Boden nicht so glänzte, wie er sollte. Ich weinte und rief meinen Chef an, um ihm zu sagen, dass ich eine solche Demütigung nicht ertragen würde. Ich ging aus der Zahnklinik und kehrte nie mehr zurück. Zu meiner Überraschung stand mein Chef hinter meiner Entscheidung und unterstützte mich so gut es ging.

Es waren jedoch nicht alle Erfahrungen in dieser Zeit negativ. Ich erinnere mich besonders gerne an folgende: Es war das Haus eines alten Mannes, der alleine lebte. Er war immer gut gelaunt und sehr dankbar und schätzte meine Arbeit sehr. Jedes Mal, nachdem ich bei ihm war, ass er draussen, weil er sagte, dass er seine saubere Küche gerne mindestens einen Tag lang genoss. Ich erfuhr, dass der Mann Konzertpianist war und ich erzählte ihm, wie gerne ich Musik hätte. Von da an spielte er für mich Klavier, währenddem ich sein Haus aufräumte. Es war wie Balsam für meine Seele.

Es herrschte Atmosphäre, in der sich niemand dafür interessierte, ob ich eine Aufenthaltsbewilligung hatte oder nicht.

Eine andere schöne Erfahrung machte ich, als ich für einen Schweizer arbeitete, der an Bahnhöfen und Festivals Schmuck verkaufte. Wenn sie viel zu tun hatten, rief er mich an, um im Lager mitzuhelfen. Zusammen mit zwei anderen jüngeren Männern füllten wir das Material wieder auf. Ich liebte diesen Job, weil ich nicht alleine war und die Stimmung sehr gut war. Das Beste von allem war, dass ich im Sommer ein paar Mal mit auf ein Festival gehen konnte. Es herrschte eine Atmosphäre, in der sich niemand dafür interessierte, ob ich eine Aufenthaltsbewilligung hatte oder nicht. Und vor allem gab es keine Polizeikontrolle innerhalb des Festivals.

In meinen letzten acht Monaten als Sans-Papiers in der Schweiz kümmerte ich mich zu hundert Prozent um ein Baby. Davon habe ich bereits in der vergangenen Ausgabe der Kolumnen-Reihe erzählt. Die Eltern des Kindes – und somit meine Arbeitgeber*innen – behandelten mich sehr gut und für mich bedeutete dieses Kind viel. Ich habe den kleinen Jungen sehr in mein Herz geschlossen. Er wurde ein Schutzengel für mich, denn wenn ich mit ihm draussen unterwegs war, fühlte ich mich sicherer und vertraute darauf, dass die Polizei weniger eine Frau kontrollieren würde, die ein Baby mit sich führt.

Von jedem dieser Jobs nehme ich eine Lektion fürs Leben mit. Sie haben mich gestärkt, denn ich konnte in den entscheidenden Momenten irgendwie überleben.

Leider hat sich die Beschäftigungssituation der Sans-Papiers im Laufe der Jahre nicht wesentlich verbessert. Die Menschen werden nach wie vor mit sehr niedrigen Löhnen ausgebeutet und in vielen Fällen nicht für ihre Arbeit bezahlt. Es ist Zeit, dieser Realität mehr Beachtung zu schenken. Behandeln wir die Menschen für das, was sie sind und nicht für das, was auf ihrem Pass steht!

Züri City Card
Diese Kolumne ist eine Kooperation zwischen der Züri City Card und dem Stadtmagazin Tsüri.ch. Die Züri City Card will einen städtischen Ausweis für alle lancieren, damit auch Sans-Papier an der Stadt teilhaben, sich vor Ausbeutung schützen und ärztlich behandeln lassen können. Du kannst das Projekt hier unterstützen. .

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