Container-Hofladen – die Antwort auf das Quartierladen-Sterben? - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von Coraline Celiker

Praktikantin Redaktion

email

16. August 2022 um 04:00

Container-Hofladen – die Antwort auf das Quartierladen-Sterben?

Während Zürcher Bio- und Quartierläden ums Überleben kämpfen, will das Berner Hofladen-Startup Rüedu Zürich erobern. Wie macht er das?

Regionale Frischwaren sind Rüedus Steckenpferd. (Foto: Coraline Celiker)

«Frische, lokale Lebensmittel zur Selbstbedienung in deinem Quartier», so der verheissungsvolle Slogan von Rüedu, einem jungen Start-up Unternehmen aus Bern, dass sich die Direktvermarktung von regionalen Produkten aus lokaler Produktion auf die Fahne geschrieben hat. Sein Konzept: Ob um 5 Uhr früh oder 23 Uhr in der Nacht – regionale, frische Produkte gibt es in Rüedus Selbstbedienungs-Container rund um die Uhr und «gleich um die Ecke».

Rüedu setzt auf die Ehrlichkeit seiner Kundschaft: Selbstbedienungskassen wie beim Grosshändler, nur ohne Kontrolle. (Foto: Coraline Celiker)

Nach einem ersten Pop-up im Zürcher Hauptbahnhof im Herbst 2021, stehen die knapp 18 Quadratmeter grossen Holzcontainer von Rüedu seit nun bald zwei Monaten auch fix in den Zürcher Quartieren Albisrieden, Altstetten und am Balgrist. «Weitere Standorte beispielsweise in Oerlikon oder Wallisellen sollen bald folgen», sagt Alexander Bösch, Geschäftsführer von Rüedu Zürich. Insgesamt sind in Zürich und Umgebung 25 bis 30 Container in Planung. Bösch sagt: «Wir nehmen seit Jahren einen Rückgang von Quartierläden in Zürich wahr».

In den letzten 20 Jahren seien gut 50 Prozent der Läden aufgrund hoher Mieten und Personalkosten eingegangen. Gleichzeitig finden Wochenmärkte nur an bestimmten Tagen statt. Die Nachfrage nach frischen, lokalen Produkten sei aber vorhanden und genau da setze Rüedu mit seinem Container-Laden an. 

Für den Holzcontainer in Albsrieden braucht Rüedu keine Gewerbemietpreise zu zahlen. (Foto: Simon Jacoby)

Käse von der Bäuerin aus der Region 24/7 erhältlich


Mit dem 24-Stunden Konzept und den Selbstbedienungskassen passt sich Rüedu an die Flexibilität der Arbeitsstrukturen der heutigen Gesellschaft an und bedient das Bedürfnis, zu jeder Tageszeit regionale und frische Lebensmittel einkaufen zu können. Denn wer diese nach 20 Uhr sucht, wird neben Convenience-Food aus Avec und Co. eher spärlich fündig.
Bis jetzt ist es eine Nische, die nur sehr Wenige zu füllen wissen, wie etwa der «Alpomat», der kleinste Hofladen der Stadt Zürich oder der «POT Mitgliederladen» beim Triemli.

«Bei uns gibt es auch krumme Rüebli zu kaufen.»

Alexander Bösch, Geschäftsführer von Rüedu Zürich

Zürcher Geschäftsführer Bösch weiss, dass das Bedürfnis der Bäuer:innen, ihre Produkte ohne Umwege über Grossverteiler direkt an die Kund:innen in urbane Gebiete zu bringen, gross sei. Anders als bei Grossmärkten findet man bei Rüedu auch Gemüse abseits der Norm. «Bei uns gibt es auch krumme Rüebli zu kaufen», bekundet Bösch.

Parkplätze sind günstiger als Gewerbeflächen

Das Konzept scheint sich zu lohnen. Während viele Quartier- und Bioläden in Zürich aufgrund mangelnder Kundschaft und hohen Gewerbemieten schliessen müssen, wächst das Berner Unternehmen. Das liegt wohl auch daran, dass Rüedu anders als herkömmliche Quartierläden bei den Personal- und Mietkosten sparen kann. Schliesslich beruht Rüedus Ansatz auf Selbstbedienungskassen und zu einem grossen Teil auf unabhängigen Holz-Containern, die sich auf Parkplätzen oder anderen offenen Plätzen befinden.

Damit fallen die hohen Gewerbemieten, die andere Quartierläden in die Knie zwingen, für Rüedu weg. Bösch möchte angesprochen auf die Mietkosten keine Zahlen nennen. Ein Blick in die Homegate-Anzeigen in den Quartieren Altstetten und  Albisrieden zeigt: Während man hier einen Parkplatz bereits für maximal 2400 Franken jährlich findet, muss man bei Gewerbeflächen in gleicher Grösse mit mindestens 3600 Franken im Jahr rechnen.

IT statt Bio


Daneben verweist Bösch auf die «ausgeklügelte Technologie im Container», an welche die komplette Logistik des Unternehmens gebunden ist. «Wenn jemand jetzt irgendwo in einem Rüedu etwas kauft, kann ich das direkt zeitgleich nachschauen », erklärt Bösch.  So mache die IT neben den Abgaben für die Produzent:innen den grössten Teil der Kosten aus. «Eigentlich sind wir ein IT- und Logistikunternehmen», sagt Bösch.

Doch auch wenn Rüedu bei Personal- und Mietkosten sparen kann, sind die Preise im Container-Laden auf einem ähnlichen Niveau wie in Bioläden. Das, obwohl bei Rüedu nur sehr wenige Produkte bio-zertifiziert sind. Bösch erklärt das fehlende Bio-Label seiner Produkte damit, dass sich eine Bio-Zertifizierung für Kleinst-Produzent:innen oft nicht lohne, auch wenn die Produkte bio-ähnliche Standards aufweisen würden. Dadurch liesse sich laut Bösch auch der Preis rechtfertigen. Der grösste Teil der Einnahmen komme den Produzent:innen zugute, versichert er.

Nicht alle freuen sich über die Rüedu-Container

Die Rechnung von Rüedu scheint aufzugehen. Zumindest vorerst. Wie schätzen andere konkurrenzierende Quartierläden das Konzept von Rüedu ein? Ein Blick nach Bern verrät mehr. Am Wyler im Breitenrein, direkt gegenüber des ersten Rüedus überhaupt, liegt der Wyleregg-Laden: Ein genossenschaftlich betriebener Bioladen, der seit nun gut 37 Jahren Produkte aus der Region, heutzutage mit Demeter-Qualität, ins Quartier bringt. Die Ähnlichkeiten im Sortiment sind bezeichnend, auch in der Frischeabteilung.

Auch bei Rüedu gibt es teilweise Demeter-Produkte, die sich mit dem Angebot vom Wyleregg-Laden decken. (Foto: Coraline Celiker)

«Die Leute, die zu uns kommen, wollen etwas anders. Sie wollen kein anonymes Erlebnis.»

Thomas Iseli, Präsident der Genossenschaft Wyleregg-Laden

Nach mittlerweile zwei Jahren Nachbarschaft zieht Thomas Iseli, Präsident der Genossenschaft, sein Resümee: «Die Leute, die zu uns kommen, wollen etwas anderes. Sie wollen kein anonymes Erlebnis.» Inwiefern sich die Konkurrenz auf der gegenüberliegenden Strassenseite in den letzten zwei Jahren aufs Geschäft auswirke, könne Iseli nicht explizit sagen. Die Flaute, die einige Bioläden in Zürich jetzt erleben, sei beim Wyleregg-Laden trotz Konkurrenz ausgeblieben. Das Jahr 2022 würde laut Prognose gar den Umsatz von 2019 übertreffen. Daher sieht Thomas Iseli in Rüedu trotz gewisser Spannungen keine Gefahr. «Es ist keine wahnsinnig erfreuliche Nachbarschaft, aber wir lassen einander in Ruhe», sagt Iseli.

Transparenz statt «Label-Schwingel»


Anders in Zürich. Da freut sich beispielsweise Fred Frohofer, Projektleiter der Genossenschaft Chornlade und Co-Autor des Buches «Eine Ökonomie der kurzen Wege», über den Zuzug des Berner Unternehmens. Frohofer findet: «Alles, was keine Grossverteiler sind, ist gut». Frohofer kritisiert die Grosshändler der Schweiz scharf: Eigen-Labels wie beispielsweise «von der Region – für die Region» der Migros seien «verlogen», denn es würden sowieso alle Produkte von den Grossproduzent:innen erst über die zwei grossen deutschschweizer Verteilzentren der Migros laufen und so, «trotz Label», weite Strecken zurücklegen. Die strengen Reglementierungen von Gemüse und Obst würden derweil einen erheblichen Teil zum Foodwaste unserer Gesellschaft beitragen. Kleinbetriebe könnten durch diese Bedingungen gar nicht erst mithalten.

«Rette uns!!!» - So geht Rüedu gegen Foodwaste vor. (Foto: Coraline Celiker)

Frohofer unterstützt deshalb Konzepte, wie das von Rüedu, die sich für mehr Regionalität und Transparenz, gegen Foodwaste und für kleine Produzent:innen, statt Grossbetriebe einsetzen. Ausserdem sieht er in Rüedu keinen direkten Konkurrenten, da «viele Leute den persönlichen Kontakt und die Beratung speziell in Quartierläden schätzen» und je mehr sich für eine «wirkliche nachhaltige Direktvermarktung mit fairen Bedingungen für die Produzent:innen einsetzen desto besser».

Weg vom intransparenten Grossverteiler hin zu kleinen Lokalproduzent:innen – in diesem Punkt scheinen sich Bioläden-Betreiber:innen und Rüedu einig. 

Das könnte dich auch interessieren