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27. Juli 2020 um 04:00

Schauspielerin Ramona Fattini: «Kussszenen in Zeiten von Corona? Undenkbar.»

Ramona Fattini lebt für das Schauspiel. Fast ihr ganzes Leben steht die junge Winterthurerin auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Zuletzt unter anderem als Pippi Langstrumpf, der Heldin aus Astrid Lindgrens gleichnamigen Kinderbüchern. Bis Corona kommt – und selbst das stärkste Mädchen der Welt ins Wanken bringt.

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Fotos: Pat Wettstein

Text: Simone Bächler

«Ins Kinderheim? Kommt überhaupt nicht in Frage!», schmettert das sommersprossige Mädchen den beiden unbedarft wirkenden Polizisten entgegen. Und spurtet davon, flink wie ein Eichhörnchen, hoch aufs sichere Dach. Die Szene gipfelt in einer Verfolgungsjagd, wie sie im Buche steht. Am Schluss setzt sich Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf nicht nur gegen die tölpelhaften Beamten, sondern auch gegen Lehrerinnen und Einbrecher durch – und gegen die resolute Dame, die das allein lebende Mädchen aus ihrer Villa Kunterbunt herausholen und im Kinderheim platzieren möchte. Pippi Langstrumpf, das stärkste Mädchen der Welt, triumphiert.

Unter den Sommersprossen und den lustigen roten Zöpfen versteckt sich Ramona Fattini, Schauspielerin aus Leidenschaft. Als die 31-jährige Winterthurerin und ihr Ensemble an diesem Nachmittag auf der Bühne im Theater am Hechtplatz im Schlussapplaus versinken, ahnen sie noch nicht, dass sie sich soeben zum vorerst letzten Mal verbeugt haben.

Gegen das Coronavirus kann selbst Pippi Langstrumpf nichts ausrichten. Der Publikumsraum im Theater am Hechtplatz – und allen anderen Theater- und Kulturhäusern in der Schweiz – bleibt vom einen auf den anderen Tag leer. Bis auf unbestimmte Zeit wird sich Ramona Fattini keine Sommersprossen mehr ins Gesicht pinseln.

Alles begann mit der Jasskarte

Pippi Langstrumpf ist nur eine von unzähligen Rollen, in die Ramona Fattini bereits geschlüpft ist. Angefangen hat alles als Jasskarte. Im Stadttheater Winterthur wird «Die Schöne und das Biest» als Ballett aufgeführt, die damals 8-jährige Ramona Fattini darf als Jasskarte über die Bühne flattern. Der Funke springt über: «Ich war auf dieser Bühne und habe den anderen Schauspielern zugeschaut. Und dann bin ich nach Hause zu meinen Eltern und habe gesagt: Ich werde Schauspielerin!»

Es folgen Einsätze in verschiedenen Ballett- und Theateraufführungen, kleinere Rollen zunächst, dann die erste Hauptrolle. Die Eltern verfolgen das Tun ihrer engagierten Tochter mit Interesse, bewerten deren Leidenschaft aber zunächst als klassischen Mädchentraum: «Sie haben sich eine Zeit lang schon gedacht, wann ich wohl mit diesem Seich wieder aufhöre», sagt Ramona Fattini.

Nach der Sekundarschule macht Ramona Fattini eine Lehre als Drogistin, vier Jahre später beginnt sie an der Schauspielschule SAMTS in Adliswil. Und verschickt schon während der vierjährigen Ausbildung reihenweise Bewerbungen. Engagements im Schauspielhaus, auf der Thuner Seebühne, im Märchentheater Fidibus, an zahlreichen Dinner-Events und in der Fernsehserie «Best Friends» des Schweizer Fernsehens sind die Folge.

«Nach Abschluss der Schauspielschule konnte ich dann direkt die Hauptrolle in Romeo & Julia an den Schlossfestspielen in Hagenwil spielen. Danach Othello im turbine theater in Langnau am Albis. Von da an ging es Schlag auf Schlag.» Ramona Fattini gibt die Stelle in der Drogerie auf, will voll auf die Schauspielerei setzen. 2015 kommt es erstmals zur Zusammenarbeit mit Erich Vock und Hubert Spiess: Die beiden Theaterproduzenten und Leiter der Zürcher Märchenbühne engagieren die junge Schauspielerin. Die Chemie stimmt. Seit diesem ersten Einsatz arbeitet Ramona Fattini regelmässig mit den beiden: Ist die rätselhafte Susanne im Klassiker «8 Frauen», Prinzessin Li Si im «Jim Knopf», Heilsarmistin in der Kleinen Niederdorfoper, die Prinzessin im Froschkönig, Pippi Langstrumpf – und unterstützt die beiden immer wieder als Assistentin.

Daneben steht Ramona auf Bühnen in Hagenwil, im Sihlwald, in Winterthur. Nicht selten probt sie morgens für das eine Stück, steht nachmittags im zweiten Stück auf der Bühne und schlüpft eine halbe Stunde nach Schlussapplaus in die dritte Rolle. Das Tempo ist hoch, die Träume gross: «Ich möchte mich weiterentwickeln. Ein Ziel ist es zum Beispiel, neben der Theaterbühne auch im Filmbusiness Fuss zu fassen. Darauf arbeite ich hin.»

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Ramona Fattini (links) in «8 Frauen»

Corona lähmt und sitzt im Nacken

Seit ein paar Jahren kann Ramona Fattini von der Schauspielerei leben. Bis zum März 2020: Die Kleine Niederdorfoper feiert soeben Derniere, Pippi Langstrumpf steckt mitten in den Aufführungen, im Sommer warten der Gestiefelte Kater im Sihlwald, die Schwarze Spinne und der Zauberer von Oz in Hagenwil. Dann der Lockdown. «Peng! Von alles auf nichts. Von zwischenzeitlich 13 Aufführungen pro Woche auf null.» Die verbleibenden Pippi-Aufführungen werden verschoben, die Sommer-Produktionen stehen auf der Kippe. Ramona Fattini fällt in ein Loch, ist überfordert. Dann fängt sie sich: «Nach ein paar Tagen habe ich gemerkt, dass ich die Situation jetzt einfach annehmen muss. Und dann hat es mir plötzlich gut getan. Zeit für mich selber zu haben, das habe ich genossen.»

Wie lange diese Situation wohl anhält? Fallen lediglich die Frühlingsaufführungen ins Wasser oder zieht sich die ausserordentliche Lage bis in den Sommer hinein? Ramona Fattini probt für sich, zu Hause. Lernt Texte für die Sommerproduktionen. Obwohl in den Sternen steht, ob sie diesen jemals auf der Bühne wiedergeben würde. Am meisten Mühe bereitet Ramona Fattini ihre Funktion als Produktionsleiterin im Märchentheater im Sihlwald. Hier geht es nicht nur darum, ob sie selber würde spielen können oder nicht – Ramona Fattini trägt Verantwortung für die gesamte Truppe. Muss entscheiden, ob gespielt wird, ob die Spieler*innen, die Maske, die Techniker*innen, das Barpersonal im Sommer einen Job haben oder nicht. Entsprechend angespannt verfolgt sie die Situation, die Medienkonferenzen des Bundesrats. Bis Anfang Mai klar ist: Es darf wieder gespielt werden. Mit strengen Schutzvorkehrungen zwar, aber die Vorhänge im Sihlwald und in Hagenwil werden aufgehen.

Kussszenen in Zeiten von Corona? Undenkbar. Romeo & Julia wäre schlicht unmöglich diesen Sommer.

Ende Mai die ersten Proben. «Theaterspielen unter diesen Umständen ist schwierig.» Die Abstandsregel gilt nicht nur fürs Publikum, sondern auch für das Ensemble auf der Bühne. Kussszenen in Zeiten von Corona? Undenkbar. «Romeo & Julia wäre schlicht unmöglich diesen Sommer», sagt Ramona Fattini. Die Stücke im Sihlwald und in Hagenwil beinhalten glücklicherweise kaum Szenen mit körperlicher Nähe – wo doch, wird angepasst. Die Proben laufen gut, der Vorverkauf auch: «Die Leute wollen raus, wollen ins Theater.»

Das Stück im Sihlwald ist inzwischen angelaufen, in wenigen Wochen folgen die Produktionen in Hagenwil. Also alles back to normal? Nicht ganz. Die Angst vor einer zweiten Welle schwingt mit: «Corona sitzt einem ständig im Nacken. Aber ich gebe mein Bestes, dass mir diese Sorgen nicht allzu viel Energie nehmen», sagt sie, lacht und packt ihre Sachen zusammen, ab zur nächsten Kostümprobe. Fast so flink wie das bärenstarke Mädchen, in das sie sich – so Corona will – im Herbst wieder verwandeln wird.

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