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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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25. Juli 2020 um 13:00

Valentina: «Was bleibt übrig, wenn die Sonne aufgeht?»

Als MS HYDE legt sie auf und gründete die Konzertreihe «Bukowski» mit. Seit über zehn Jahren ist Valentina im Zürcher Nachtleben aktiv – Zeit für eine Pause oder gar einen Schlussstrich, findet sie. Gemüse zieht sie gerade dem Vinyl vor und den Tag der Nacht. Das Nachtleben als Hassliebe.

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Ihr neuer Ort der Verwurzelung: Zio Ludi (Foto: Lara Blatter)

Sie will nicht mehr. Immer am Mittwoch findet in der Bar3000 die Konzertreihe «Bukowski» statt, zusammen mit einem Freund organisiert Valentina diese seit fast zehn Jahren. An den Wochenenden legt sie jeweils selber auf. Dann kam Corona und das Nachtleben stand still. «Ich kann das nicht mehr und das ist gut so», so Valentina. Sie sitzt vor dem Quartierladen Zio Ludi im Kreis 4 und nippt an ihrem Espresso. «A presto, ciao», ruft sie Kund*innen zu. Valentinas neue Welt scheint zu passen, die Leute aus dem Quartier kennen und schätzen die 33-Jährige.

Mit Gemüse statt Platten jonglieren

«Ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich verzweifelt war und irgendwo in der Gastro gearbeitet habe. Ich kam manchmal gegen 22 Uhr nach Hause, legte mich für ein, zwei Stunden hin, stellte den Wecker, packte die Platten ein und ging in den Club.» Konzerte organisieren und dann noch bis zu dreimal die Woche als MS HYDE auflegen – für Valentina kam der richtige Zeitpunkt für einen Schlussstrich und die Frage, was denn wichtig im Leben sei. «Das Nachtleben war so ein grosser Teil von mir als Person, dass ich den anderen Teil vom Leben nicht hatte. Und jetzt merke ich, dass das Leben, das ich gelebt hatte, vielleicht nicht so echt war, wie es sich anfühlte.» Klar sei das Nachtleben zauberhaft, aber auch energieraubend.

«Ich war immer überall, aber nirgendwo richtig – irgendwie wurzellos», so Valentina. Jetzt sei sie an einem Punkt, wo sie diesen Ort der Verwurzelung gefunden habe – der Quartierladen. «Für manche hört sich das blöd an, ein bisschen in einem Lädeli arbeiten – was ist das schon.» Aber für Valentina stimmt es so, sie liebt die Arbeit am Tag und dass sie unter Menschen ist. «Endlich habe ich einen Rhythmus, ich wache sogar sonntags um 7 Uhr auf, das passierte mir schon lange nicht mehr», sagt Valentina. Den Tag zu erleben sei ein neues und schönes Lebensgefühl.

Musik, Tanz und Rausch verbindet

Mit 19 zog Valentina von Bellinzona nach Zürich und landete in der Gastronomie. Schon damals war Musik ihre Leidenschaft und sie half ihr auch in der fremden Stadt Fuss zu fassen: «Ich lernte viele neue Leute kennen, so musste ich mich dem Alleinsein gar nicht stellen.» Denn wenn sie draussen war, war sie nie alleine – doch gerade dieser Aspekt habe sie teils einsam gemacht. Wie echt ist das Nachtleben und die Menschen? Sie kenne viele Leute in der Stadt, aber viele davon seien flüchtige Bekanntschaften, mit denen sie den Rausch und das Tanzen teile – sehe man sich am Tag, so merke man, dass man gar nicht so viel gemeinsam hat. «Musik verbindet, aber wenn die Sonne aufgeht, wie viel verbindet dann noch, was bleibt übrig?»

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«Ich bin eine Chaotin. Hat es Dreck auf der Platte, so hauche kurz drauf und reibe sie am Shirt.» (Foto: zVg)

Dieses Szenendings, das Sehen und Gesehen werden, brauche sie nicht mehr. Oft hätte sie Zürich gegen das Vorurteil, Zürcher*innen seien arrogant, verteidigt. «Ich sagte immer nein, das stimme nicht. Lege ich aber in anderen Städten auf, so merke ich, dass da schon was dran ist. Die Leute dort sind herzlich und sprechen miteinander, ohne dass man cool sein muss», erzählt sie aus eigenen Erfahrungen. Leute suchten den Kontakt zu ihr, nicht etwa, weil sie Valentina als Mensch toll fanden, sondern weil sie wussten, dass sie Konzerte organisiere. «Sie meinen wohl, das sei cool. Das ist schade, verliert das, geht zum Spass und für euch selber tanzen!» Es hagelt Kritik am Zürcher Nachtleben. Doch spricht man mit Valentina, wird einem klar, dass sie das Nachtleben der Stadt auch liebt und den Schlussstrich für sich gezogen hat. Aber dieser ist fluide, Musik ist und bleibt essenziell in ihrem Leben.

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Im Rausch tanzen bis die Sonne aufgeht – Party geht auch anders

«Viele Leute im Laden fragen mich, wann legst du wieder auf?», sie schmunzelt. Klar werde sie ab und zu wieder hinter dem Mixpult stehen und Konzerte organisieren. «Das mit den Konzerten in der Bar3000 ist momentan auch auf Eis gelegt. Sie ist noch geschlossen und alle meine Bookings ausgefallen, wir wissen noch nicht, wie es weitergeht», so Valentina. Aber wenn es weitergehe, so könne sie sich gut vorstellen, an eine Nachfolgerin abzugeben. «Es ist Zeit für neue, junge Gesichter, die neue Ideen, Energien und Bands bringen.»

Und jetzt merke ich, dass das Leben, das ich gelebt hatte, vielleicht nicht so echt war, wie es sich anfühlte.

Valentina hat eine grosse Sammlung an italienischen Platten aus den 60er- und 70er- Jahren – keine Sammlerstücke versteht sich, sie sei eine Chaotin und behandle Platten zu grob. «Ich werde mit der Musik nicht abschliessen, aber ich kann sie auch anders in meinem Leben integrieren», sagt sie und schwärmt von der Idee einer Party, irgendwo tagsüber draussen im Park oder im Zio Ludi. Mit italienischer Musik. Oder auch im Provitreff liebe sie es montags aufzulegen: «Ich mag Punk und New Wave und in der Boschbar triffst du auf wilde Leute, die zu allem tanzen. Es ist nie too much und ich kann meine düstere Seite mal ausspielen.» Valentina gerät ins Schwärmen. Von düsteren Tönen landet das Gespräch bei Adriano Celentano, dessen Musik immer für gute Stimmung sorge. Die Zeichen sind klar, MS HYDE wird nicht gänzlich von der Bildfläche verschwinden.

Was magst du am Zürcher Nachtleben, was nicht?

«Zürich ist klein, hat aber gleichzeitig so vieles zu bieten, so kommen alle auf ihre Kosten. Bars, Clubs, Konzerte, Festivals und alle musikalischen Ströme sind vertreten. Menschen, die 50 sind und Menschen, die 20 sind, können tanzen gehen. Dieses Szenedings hingegen kann ich nicht haben – das Sehen und Gesehen werden.»

Portraitserie – Frauen des Nachtlebens
Das Nachtleben gilt als Männerdomäne – zu Recht: Der Frauenanteil in den Bar- und Club-Berufen ist sehr gering. Wir haben sieben Frauen getroffen, die die Nächte in der Stadt prägen. Die Frage «Was magst du am Zürcher Nachtleben, was nicht?» haben wir jeder gestellt. Ansonsten haben wir mit ihnen über Platten, Wein und den Alltag fernab der Nacht geplaudert.

1. Zarina Friedli – Kollektiv F96
2. Zinet Hassan – DJ Verycozi
3. Nathalie Brunner – DJ Playlove
4. Jenny Kamer – DJ und Bookerin Zukunft
5. Timea Horváth – Selekteurin Gonzo
6. Vera Widmer – Besitzerin Playbar
7. Valentina – DJ MS HYDE und Veranstalterin Konzerte Bar3000

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