Vera: «Die Playbar ist mein Kind und mein Herz» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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22. August 2021 um 07:00

Vera: «Die Playbar ist mein Kind und mein Herz»

Vera Widmer steht seit 12,5 Jahren hinter dem Tresen ihrer Playbar, wo schon Céline Dion und Muhammad Ali verkehrten. Wird ein Gast frech, wirft sie ihn mit den Worten «Schätzeli, zahle, da isch d’Türe» raus.

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Fotos: Elio Donauer

Dieser Beitrag ist zum ersten Mal am 24. Juli 2020 während unserer Portraitserie «Frauen des Nachtlebens» erschienen. Im Rahmen einer Repost-Woche kramen wir unsere liebsten Artikel aus dem Archiv hervor.

Jung und unerfahren. So beschreibt Vera Widmer die 20-jährige Vera, lacht und zündet sich eine Zigarette an. Im Hintergrund läuft 90er-Jahre Grunge, nicht etwa aus der Jukebox, diese sei das Spielzeug der Gäste. Geht es nach der Besitzerin, läuft in der Playbar alles ausser Hard-Rock und Schlagermusik. Für Stammgäste drückt sie gerne mal ein Auge zu. Draussen scheint die Sonne und Autos quetschen sich durch den Feierabendverkehr an der Badenerstrasse. «Mit 12 Jahren wusste ich schon, dass ich in die Gastro will», erzählt Vera, die mit knapp 20 Jahren aus der Innerschweiz nach Zürich kam. Sie arbeitete in Diskotheken und Bars, führte über fünf Jahre ein Cabaret. Irgendwann war genug, sie wollte ihr eigenes Lokal. So übernahm sie vor 12,5 Jahren die Playbar: «Das Play ist mein Kind und mein Herz. Das spüren auch die Gäste. Sobald sie reinkommen, fühlen sie sich wie zuhause.»

Jung, Alt, Frauen, Männer, Homosexuelle, Trans Menschen – die Kundschaft der Playbar sei sehr divers. «Alle sind willkommen und sprechen miteinander. Ich kann tatsächlich behaupten meine Bar sticht heraus. Das gibt es nicht oft in Zürich», sagt Vera. Täglich sei sie in der Bar, daran führe kein Weg vorbei, denn Leute schauten vorbei und wenn sie die Besitzerin nicht sähen, so sei die erste Frage: Wo ist Vera? «Die Leute kommen wegen mir», sagt sie, ohne arrogant zu klingen, denn das sei der Unterschied von ihrer Bar zu den trendigen, hipster Lokalen. «Man kommt ins Play nicht, weil man halt jetzt dorthin geht, sondern wegen den Menschen und dem Ort.» Das vermisse sie manchmal: «Das ging verloren, in vielen Bars bist du einfach irgendjemand, die Besitzer*innen interessieren sich nicht für die Gäste.»

Dass sich das Quartier rund um den Idaplatz und das Lochergut in den letzten Jahren wahnsinnig änderte, stört Vera hingegen wenig. «Als ich hierher kam, war das Quartier überaltert. Jetzt hat es auch viele junge Menschen, das ist toll. Aber ich verstehe schon, dass ältere Quartierbewohner*innen Mühe mit der Gentrifizierung und den Veränderungen haben», so Vera, die selbst nicht übers Alter spricht. Ihr Alter? «Jahrgang Steinbock.»

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Vera vor der Playbar an der Badenerstrasse 277 im Kreis 3.

Champagner oder Bier – alle sind gleich

«Weisst du, ich habe zwei Seiten: Eine liebe und eine dominante. Beide sind unglaublich wichtig, die Leute haben Respekt vor mir», sagt Vera. Spannungen erkennt sie sofort. In ihren 12,5 Jahren im Play hätte sie noch nie – sie schlägt auf den Tresen, Holz anfassen – eine Auseinandersetzung gehabt. Komme jemand zur Türe rein, merke sie sofort, wenn er*sie ihr den Abend ruinieren würde. «Wenn die Person sitzt, ist es zu spät. Du musst das vorher auf eine ruhige, aber bestimmte Art ansprechen.»

Egal, wie hoch die Rechnung ist, wenn sich jemand daneben aufführt, fliegt er*sie raus.

Vera erzählt von ihren legendären Apéroplatten oder Geburtstagspartys im Play. Sie liebt es, ihre Gäste zu verwöhnen. Aber Respekt sei das oberste Gebot und diesen schaffe man sich. Egal, ob jemand nur ein Bier trinke oder eine Flasche Champagner bestelle, jeder Gast werde gleich behandelt. «Führt sich jemand daneben auf, egal wie hoch seine Rechnung ist, ich gehe zu ihm und sage: Schätzeli, zahle, da isch d’Türe.» Ohne wenn und aber. Es gäbe zwei Themen – Religion und Politik – darüber diskutiere sie in der Bar nicht, früher oder später sorge das für eine ungute Stimmung. Veras Lachen kommt vom Herzen, aber gegen sie aufmucken wagt man nicht.

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Veras Team besteht aus Frauen, zu 200 Prozent stehe sie hinter diesen. «Aber viele Frauen haben irgendwann genug vom Nachtleben, sie wollen einen geregelten Tagesablauf und Familie. Für mich war das alles nie, nie ein Thema», sagt Vera, «aber ja, die Gastro ist ein hartes Business, du musst gewillt sein, Präsenzzeit zu geben und dich durchsetzen können.»

Lockdown, Blumen und Bar-Mythen

Der Lockdown sei ein Test gewesen: Was ist, wenn es die Playbar eines Tages nicht mehr gibt? In ein paar Jahren könnte das der Fall sein, doch Vera zieht gleichzeitig das «ein paar» derart in die Länge, dass klar ist, das Play wird es noch eine Weile geben. Anfangs der Corona-Krise erwachte sie morgens und dachte es handle sich um einen schlechten Traum. Es war die Realität und so machte sie das Beste daraus. Langweilig sei ihr jedenfalls nie gewesen, aber die Gesellschaft um sie herum fehlte. «Ich habe gekocht, die Bar von oben bis unten geputzt und den Garten zu Hause auseinandergenommen – da hatte ich ein Blumenbeet, das von Unkraut übersät war, schrecklich», erzählt Vera. Sie selbst wohnt etwas ausserhalb der Stadt. «Nein, nein um Himmelswillen, klar ich liebe die Stadt, aber ich bin kein Stadtkind.» Die Bar ist ihr Zuhause und der Garten ihr Ausgleich: «Wir haben teils heavy Nächte hinter uns, da gibt es nichts Schöneres, als im Liegestuhl im Garten zu liegen.»

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Vera liebt Blumen, so landet das Gespräch bei einer Beobachtung: Läuft man spätnachmittags durch die Strassen, so sieht man des öfteren Blütenblätter vor den Eingängen kleiner Bars liegen. Zufall? Vera verneint, die Blätter werden aus einem simplen Grund zerstreut: «Das bringt Glück! Es ist so bisschen wie Voodoo, wobei Voodoo ist das falsche Wort...» Vera erzählt von anderen, ähnlichen Bräuchen. Am frühen Abend zünde man ein getrocknetes Lorbeerblatt an, brenne es sofort, so werde der Abend gut, wenn nicht, sei das Gegenteil der Fall. Oder Knoblauzehen: Versteckt in den Ecken einer Bar, vertreiben sie böse Geister. Im Play findet man keinen Knoblauch und Blumen hätte sie gerade keine bekommen. Neben einer Flasche Averna steht ein Buddha und wacht über die Bar. Dieser bringe ihr Glück.

Wenn Wände sprechen könnten

«Junge Kund*innen erzählen mir, dass ihre Eltern schon im Play waren, das ist doch toll», so Vera und erzählt, dass in diesen Räumen schon 1962 Leute ein- und ausgingen, auch Prominenz wie Muhammad Ali oder Célin Dion. Das mit Ali sei so eine Geschichte. Zwei Männer hätten miteinander um eine Flasche Whiskey gewettet, ihn nach Zürich zu bringen. Ali kam, siegte und feierte im Play. Für den Innenausbau der Bar, sei der Architekt Aldo Rossi verantwortlich. «Ein spezieller Architekt, ich sah ihn früher in anderen Bars, stets mit Meter und Kugelschreiber und er wollte immer gleich alle Bars umbauen.»

Veras Blick fliegt durch die Bar, vom Tresen, über die Marmorwand hinauf zur verspiegelten Decke: «Könnten diese Wände sprechen, die würden Geschichten erzählen, das wäre spannend», sagt sie mit einem Funkeln in den Augen. Und wer schon im Play war, weiss genau, dass Vera genauso viele Dinge über das Leben zu erzählen hat.

Was magst du am Zürcher Nachtleben, was nicht?

«Vom Nachtleben bekomme ich nicht sehr viel mit, meine Nächte verbringe ich im Play. Arbeitest du in einer Bar, so musst du lernen, Dinge für dich zu behalten, diskret zu sein. Die Leute aber sind getrieben von Neugierde, es ist teils phänomenal, wie sie tratschen – aber auch anstrengend. Früher haben die Leute mehr aufeinander geschaut, als Gastronom*in besuchte man sich untereinander. Ich habe diesen Kreis noch, aber ich weiss auch, dass das verloren geht. Vieles ist anonymer. Komme ich in eine Bar und werde nicht wahrgenommen, so tut das als Gast weh. Gehe ich persönlich in ein Restaurant oder eine Bar, so will ich wissen, wer dahinter steckt.»

Portraitserie – Frauen des Nachtlebens
Das Nachtleben gilt als Männerdomäne – zu Recht: Der Frauenanteil in den Bar- und Club-Berufen ist sehr gering. Wir haben sieben Frauen getroffen, die die Nächte in der Stadt prägen. Die Frage «Was magst du am Zürcher Nachtleben, was nicht?» haben wir jeder gestellt. Ansonsten haben wir mit ihnen über Platten, Wein und den Alltag fernab der Nacht geplaudert.

1. Zarina Friedli – Kollektiv F96
2. Zinet Hassan – DJ Verycozi
3. Nathalie Brunner – DJ Playlove
4. Jenny Kamer – DJ und Bookerin Zukunft
5. Timea Horváth – Selekteurin Gonzo
6. Vera Widmer – Besitzerin Playbar
7. Valentina – DJ MS HYDE und Veranstalterin Konzerte Bar3000

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