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Von Antoine Schnegg

Papi-Kolumnist

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9. März 2020 um 12:05

Papikolumne: Was ist Politik?

Vater zu werden und zu sein, ist ein Abenteuer. Antoine Schnegg bezeichnet sich zwar nicht als Experten auf dem Gebiet, Vater ist er trotzdem geworden. In dieser Kolumne soll es darum gehen, wie man Kindern komplexe Themen näherbringt.

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Bild: Paweł Czerwiński, Unsplash

Letztes fragte mich mein Sohn L.: «Was ist Politik?» Keine Ahnung wo er das Wort aufgeschnappt hat, aber ich vermute, dass wenn Mama Politologin und Papa Jurist ist, bei den Tischgesprächen wohl etwas hängen bleibt. Meine kindergerechte Antwort war dann etwas in dieser Richtung: «Politik ist wenn wir entscheiden, wie wir entscheiden und wer entscheidet.» L. schaute mich etwas verwirrt an und sagte: «Also ich.» Sollte die Schweiz in 30 Jahren von einem blutrünstigen Diktator regiert werden, tut es mir an dieser Stelle schon heute ausdrücklich Leid.

Der Papi ohne Haare

Corona, Menschen auf der Flucht in Griechenland, Frauenstreik. Momentan gehen einem die Gesprächsthemen nicht aus. L. ist ein aufgewecktes Kind und kriegt sehr viel mit. So müssen wir neu in der Kita die Hände desinfizieren und die Kinder lernen in den Ellenbogen zu niessen.

Ich glaube, dass wir Kindern das Weltgeschehen durchaus zumuten können. Vor Kurzem führte ich ein Gespräch mit einer Psychologin (und vierfachen Mutter). Sie meinte, man soll Kindern die Sachen erklären, die in der Welt passieren. Hingegen versucht sie bei den Kleinsten, immer ein positives Narrativ zu verwenden. Diese Strategie wendete ich letztens mehr oder weniger erfolgreich an.

Ich las Zeitung und Bundesrat Berset schaute mich an. L. kam zu mir und fragte mich: «Wer ist der Papi ohne Haare?» Ich erklärte möglichst simpel: «der Papi ohne Haare heisst Alain und ist der Chef der Spitäler und Ambulanzen. Er kümmert sich um die kranken Menschen und schaut, dass wir nicht krank werden.» Die etwas beunruhigten Folgefragen: «Wer muss ins Spital? Warum? Muss ich auch zum Doktor?» Nun musste ich L. erklären, dass jetzt grad viele Menschen krank sind, aber Alain wird schauen, dass es ihnen bald besser geht und dann können alle aus dem Spital und wieder raus auf den Spielplatz. L. war wieder beruhigt. Er sieht jetzt auch ein, dass wir uns immer brav die Hände waschen müssen.

Bundesrat Berset ist jetzt in den Augen von L. sowas wie ein Held, und Männer mit Glatze sind zu Autoritätspersonen geworden. Ich habe lieber Haare auf dem Kopf.

Schwierige Themen

L. schaut mir gerne über die Schulter, wenn ich am lesen bin. Ich las vor Kurzem einen Bericht über Yiying Shao und Pascal Steiner, die von Zürich nach Shanghai geradelt sind. Tolle Geschichte und tolle Bilder, die ich gerne mit L. angeschaut habe. Am Schluss des Berichts erfuhren wir jedoch, dass zurück in Zürich Yiying Shao am Letzigraben mit dem Velo auf dem Weg zur Arbeit verunfallte und an den Folgen des Unfalls verstorben ist. L. fragte mich, was mit der Velofahrerin passiert sei. Ich rang in diesem Moment etwas mit den Worten, erklärte ihm aber, dass die Frau nun im Himmel sei (da fällt mir ein, über religiöse Erziehung muss ich wohl auch mal was schreiben), dass dies sehr traurig sei, aber dass das Leben nun weitergeht. Er fragte, ob die Velofahrerin nun bei Grand-Papa (sein Urgrossvater, der letztes Jahr verstorben ist) sei. Als ich dies bejahte, sah ich in seinen Augen, dass dies für ihn genug Happy End ist. In seiner Vorstellung sitzt Grand-Papa auf einer Wolke, raucht seine Pfeife und schaut Yiying beim Velofahren zu.

Eine Geschichte, die auf einer positiven Note endet, muss also nicht unbedingt ein Happy End haben. Vielmehr muss sie ein Grundgefühl von Optimismus vermitteln und nicht in Hoffnungslosigkeit verfallen. Und so kann ich L. den Frauenstreik erklären und ihm vermitteln, dass wir uns alle für eine gerechtere Welt einsetzen müssen. So kann ich ihm die hungrigen Menschen auf Lesbos erklären und ihm aufzeigen, dass wir alles machen müssen, um diesen Menschen zu helfen.

Ein positives Narrativ hilft mir nicht nur, L. die komplexe Welt zu erklären, sondern garantiert auch, dass ich nicht selber verzweifle. Auch wenn die Welt manchmal aus den Fugen gerät und alles ziemlich dunkel scheint, wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren und müssen alles daran setzen, dass die Welt auch für L. ein schöner Ort bleibt.

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