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6. Juni 2017 um 07:31

Nur 90er-Kinder werden das verstehen

MSN hat eine ganze Generation von Teenagern geprägt. Das Spiel «Emily is Away Too» erweckt diese Zeit wieder zum Leben. Mit viel bittersüsser Nostalgie.

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Wir versteckten uns hinter Nicknames wie `°o¤ø, ̧ RoBin_TsÜri °o¤ø, ̧ ̧, oder —(••÷[ RoBin_MeTaLHeAd89 ]÷••— und die Zeiten waren noch ganz anders. Wir sassen 14-jährig im Chemie-Unterricht und überwanden uns dazu, den Schwarm neben uns nach dessen «MSN-Namen» zu fragen. Nach der Schule sind wir nach Hause gerast, nur um uns vor den Computer zu setzen und uns «is MSN» einzuloggen bis zur Schlafenszeit. Mit Liedernamen von Linkin Park oder Sum 41 im Anzeigenamen, Emo-Lyrics in unseren Profilen und Herzklopfen, wenn bestimmte Personen sich mit einem Pling-Geräusch einloggten.

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Altbekannt: Das Logo des «Windows Live Messenger», früher MSN. (Quelle: Wikimedia Commons)

Damals, als noch alles, was im Netz stand, voll bunter Gifs und augenkrebsinduzierenden Schriften in grellen Farben war, wir noch Emoticons und nicht Emojis brauchten – und wir als Jugendliche die Wunder des andämmernden Internets zu erkunden begannen. Etwas, was sich noch anfühlte, als stössen wir vor in unbekannte Gefilde der Welt, als wäre das Netz zu durchforsten die moderne Version des Zeitalters der Entdeckungen und der Internetbrowser unsere Santa Clara.

Der MSN-Instant-Messenger war (neben AOL, ICQ und AIM) für die Generation von jetzt 25–30-Jährigen ein formatives Stück Software, es war Dreh- und Angelpunkt für Freundeskreise, Beziehungen und Teenie-Dramen. Es ist eine der Säulen, die aus unserer Oberstufenschulzeit übrig geblieben ist.

Nachahmung der 00er-Jahre

Software-Entwickler Kyle Seeley versucht, diese identitätsstiftende, generationsprägende Zeit in «Emily is Away Too» einzufangen in einem – im weitesten Sinne – PC-Spiel. «Emily is Away Too» ist eine Art MSN-Simulator, der versucht, das Gefühl, die Klänge und Geschichten der Teenager-Zeit in den 2000er-Jahren nachzuahmen. Es beginnt damit, dass man sich ein Profil anlegt, mit Namen, Nickname und Anzeigebild und sogleich in Gespräche mit Schulgspänli geworfen wird. Das Spiel reiht sich also indirekt in die Tradition der Textabenteuer ein.

Retro-Pixel-Optik: Ein kurzes Intro. (Quelle: Kyle Seeley)

Es ist möglich, aus mehreren Antworten auszuwählen und sie dann «simuliert» einzutippen, perfekt untermalt mit dem Klang alter Tastaturen. Auf den Plan treten «emerz35», Emily und «punk4eva», Evelyn, zwei Mädchen, mit denen man sich (leider nur als männlicher Protagonist) in fünf Kapiteln unterhalten kann, die sich über ein Jahr von 2006 bis 2007 erstrecken. Alsbald findet man sich mitten in Gesprächen über Liebe, Sex, Musik, Filme, Videospiele, Schule und Lehrer, heckt Dates aus und hilft bei Beziehungsproblemen – Coming-of-Age 2.0.

«Emily is Away Too» emuliert das Gefühl der 00er-Jahre so perfekt, die Chatgespräche so authentisch, die manchmal irrationalen Teenager-Gefühle so verblüffend echt, dass bereits nach wenigen Minuten fast vergessen geht, dass hier alles nur ein Spiel ist, dass da keine echten Teenies vor ihren Heimbildschirmen sitzen und miteinander flirten – und man eigentlich gar nicht mittlerweile 28, 30 Jahre alt ist, im Berufsleben angekommen, möglicherweise schon mit Kindern oder Eigenheim. Nein, für die Dauer von «Emily is Away Too» ist man tatsächlich wieder 16, auch dank des unheimlich guten Soundtracks von Snow Patrol, Mogwai bis The Shins. Dass «Emily is Away Too» auch den Internetbrowser und den Desktop des eigenen Computers ins Spiel miteinbezieht (mehr sei an dieser Stelle nicht verraten), macht die Immersion perfekt.

Bunt, bunter, Emily: Einblick in die Chat-Funktion. (Quelle: Kyle Seeley)

Doch die Immersion hat ihren Preis: «Emily» ist ein Nostalgietrip, der in einem ungeahnte Emotionen weckt. Das sind nicht immer diese warm-flauschigen Gefühle, die sonst mit nostalgiegefüllten Filmen oder Spielen allenthalben rekreiert werden. Nein, es sind auch die unangenehmen, schwierigen Seiten des Teenagerdaseins, die «Emily is Away Too» beleuchtet – und zwar in so universell-nachfühlbarer Weise, dass es wehtut. So berichten Spieler auf der Gameplattform «Steam»: «Warum verursacht ein Videospiel so viele Schmerzen in mir?! Schaut mich jetzt an, ich sitze an meinem Computer und schmolle wegen meiner gescheiterten Fake-Beziehung und verfluche Emilys Namen.» Eine andere Person, etwas lakonischer: «Hätte nie gedacht, dass ich mal ein Bier wegen eines virtuellen Mädchens trinken würde.»

«Youtoob» und «Facenook»: «Emily is Away Too» spielt sich nicht nur im Chat ab. (Quelle: Kyle Seeley)

«Emily» lässt es dank cleveren (aber manchmal unfairen) Spielmechaniken nicht einfach zu, dass man sich den Geschehnissen des Spiels entzieht. Es ist bitter, zu sehen, wie die eigenen Aktionen im Spiel Konsequenzen nach sich ziehen, und noch bitterer, weil das Spiel klar macht, dass die Geschichte verschiedene Enden hat. Und weil «Emily» ein Spiel und nicht das reale Leben ist, kann man nach dem Scheitern noch mal neu beginnen.

«Emily is Away Too» ist eine emotionale Achterbahnfahrt. Es ist, was «Stand By Me» nostalgisch und «Catcher in the Rye» authentisch macht – verkleidet in ein digitales, interaktives Gewand. Ein Generationenporträt und ein Liebesbrief an die Kinder der 90er-Jahre, die noch den Wilden Westen, das Goldene Zeitalter der Social Media erleben durften.


«Emily is Away Too» ist erhältlich auf Steam und Itch.io für ca. 5 Franken für Windows und Mac. Der Vorgänger «Emily is Away» ist kostenlos.

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