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Von Hanna Fröhlich

Redaktorin

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10. Februar 2021 um 10:53

Wie ich die natürliche Verhütung kennengelernt habe

Natürliche Verhütung: Was ist das eigentlich und wie funktioniert es? Methoden wie Temperaturmessen werden schnell als unsicher abgetan und sind deswegen nicht besonders verbreitet. Dabei bringen sie auch Vorteile mit sich.

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Bild: Unsplash

Wie der weibliche Zyklus im Detail funktioniert und wie man mit dem Wissen darüber eine Schwangerschaft verhindern kann, ist längst nicht allen klar. Auch mir nicht, wie ich bei der Recherche zu diesem Beitrag bemerkt habe.

In der Schule wird das Thema nur kurz angeschnitten und das in jungem Alter, wo es noch wenige interessiert. Danach werden den Frauen als Verhütungsmethoden von Frauenärzt*innen meist die Pille oder andere Hormone wie die Hormonspirale verschrieben. Diese stehen aber seit Jahren immer mehr in der Kritik. Viele meiner Freund*innen haben schlechte Erfahrungen damit gemacht. Diskutiere ich mit ihnen über die besten Methoden, eine Schwangerschaft zu verhindern, herrscht am Ende meist Resignation über das Nichtvorhandensein der perfekten Alternative zur hormonellen Verhütung und den Fakt, dass es sich bei der Verhütungsfrage im Endeffekt um eine Entscheidung für das kleinere Übel handelt.

Nachdem ich bei der Recherche zu einem Artikel über die Aus- und Nebenwirkungen von Hormonen auf den weiblichen Körper darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die natürliche Verhütung nicht nur Kondom oder Kupferspirale beinhaltet, wurde ich neugierig. Ich habe zwar schon von Verhütungscomputern gehört, die jedoch oft als unsicher abgetan werden, weswegen ich mich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gross damit auseinandergesetzt habe.

Dass natürliche Verhütung auch darauf basieren kann, welche Signale der Körper aussendet, war mir neu. Um herauszufinden, was hinter der Beobachtung von Zervixschleim und Basaltemperatur steckt und ob man damit wirklich verhüten kann, beschliesse ich, einen Kurs zu besuchen.

Mit Stift und Block am Verhütungskurs

Weil aufgrund Corona in Zürich kein entsprechender Kurs stattfindet, mache ich mich auf nach Cham. Während der Zugfahrt bin ich aufgeregt, habe keine Ahnung was mich erwartet. Ich kann mir schwer vorstellen wie der Kurs ablaufen wird; frage mich, wieviel ich von mir preisgeben muss und was für Menschen ich dort vorfinden werde.

Der Kurs findet in der Nähe des Bahnhofs in einem grossen Raum statt. Die Teilnehmer*innenzahl ist auf 12 Personen begrenzt. Ich werde sehr freundlich begrüsst, alle stellen sich vor. Die Stimmung ist etwas angespannt. Aber Elisabeth und Rainer Barmet, die den Kurs leiten, sind quirlig und offen. Ein paar Minuten und etliche Witze später fühlen sich alle sichtlich wohler.

Wider Erwarten sind die meisten Teilnehmer*innen zu zweit als Paar gekommen. «Ich möchte meiner Frau keine Hormone zumuten», sagt ein Kursteilnehmer auf die Frage, wieso er heute gekommen sei. Von Kondomen halte er eher weniger. Die Methode, die am Kurs gelernt wird, sei hilfreich, um den Zyklus seiner Frau und ihre entsprechenden Empfindungen in den einzelnen Zyklusphasen zu verstehen und kennenzulernen.

Auch eine Mutter mit ihrer 18-jährigen Tochter ist da. Sie hat schlechte Erfahrungen mit Hormonen gemacht und möchte ihrem Kind eine Alternative aufzeigen. Die Tochter macht sich interessiert Notizen auf einem iPad.

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Bild: Hanna Fröhlich

Zervixschleim und Temperatur als Indikator der Fruchtbarkeit

Zu Beginn lernen wir den weiblichen Zyklus und seine einzelnen Phasen genauer kennen. Elisabeth zeigt auf den Flipchart in der Mitte des Raumes und erklärt: Da die Scheide eigentlich einen sauren PH-Wert habe und Spermien diesen nicht mögen, werde bei Zyklusbeginn durch das Östrogen im Gebärmutterhals (Zervix) der sogenannte Zervixschleim produziert. In diesem könnten Samenzellen überleben und so in die Gebärmutter gelangen.

In der zweiten Zyklusphase verändere sich der Schleim nicht mehr. Dafür steige durch den Anstieg des Hormons Progesteron die Temperatur im Körper. Die Beobachtung des Zervixschleims (sympto) und der Temperaturmessung (thermal) bilden zusammen die symptothermale Methode.

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Lisa und Rainer haben jahrelange Erfahrung mit natürlicher Verhütung.

Eine konsequente Anwendung ist das A und O

Elisabeth und ihr Mann Rainer geben seit zehn Jahren Kurse zur natürlichen Verhütung. Sie sind überzeugt, dass mit der symptothermalen Methode bei richtiger Anwendung ein Leben lang sicher verhütet werden kann. Doch sie gehören mit dieser Verhütungsart zu einer kleinen Gruppe. Obwohl immer weniger Frauen hormonell verhüten möchten und die Nachfrage nach Alternativen steigt, ist die symptothermale Methode den meisten unbekannt. Bei der Gynäkologin werden in den der Regel zuerst hormonelle Mittel empfohlen. Dies, weil natürliche Methoden viel Disziplin erfordern, damit sie sicher sind.

Auch am Kurs wird ein besonderes Augenmerk auf die richtige Anwendung der Methode gelegt, um genau dieser Unsicherheit entgegen zu wirken. Nur wenn berücksichtigt werde, was Temperaturschwankungen auslösen können und der Körper gut beobachtet werde, sei frau vor einer Schwangerschaft geschützt, betont Elisabeth.

Uns wird nun geheissen, Beispielzyklen zu analysieren, um den sogenannten Schleimhöhepunkt, den Zeitpunkt mit der «besten» Schleimqualität, bestimmen zu lernen. Dieser ist wichtig, um in Kombination mit dem Temperaturanstieg zu berechnen, wann die fruchtbare und die unfruchtbare Zeit beginnt.

Auch der Mann ist involviert

Die Männer beteiligen sich aktiv an der Diskussion über die unterschiedlichen Konsistenzen des Zervixschleims. Rainer erzählt offen von seiner Rolle in diesem Prozess: «Ich bin dafür verantwortlich, Elisabeth morgens das Thermometer hinüber zu reichen und ihre Beobachtungen in die Tabelle einzutragen.» Festgehalten werde auch, wenn sie Alkohol getrunken hat, spät ins Bett gegangen ist oder spät gemessen hat. Diese Faktoren verändern die Körpertemperatur. «Mit der Zeit kennt man sich und den eigenen Zyklus und kann Schwankungen auch besser einordnen», erklärt Elisabeth.

Auch in der fruchtbaren Zeit ist die Mitarbeit des Mannes wichtig. Er muss dann entweder Abstinenz oder Kondome in Kauf nehmen können. «Oft sind die Männer, die mit an den Kurs kommen, anfangs zurückhaltend», so Elisabeth. Dies würde sich aber ändern, sobald diese mit dem Analysieren der Zyklen begonnen hätten. Einige würden danach gar aktiver an den Diskussionen teilnehmen als ihre Partnerinnen.

«Lieber selber beobachten, als mit App»

Verhütung-Apps, die mittels der Kalendermethode die fruchtbare Zeit im Zyklus bestimmen, lehnen Elisabeth und Rainer ab. Die Kalendermethode rechnet aufgrund der Daten der letzten Zyklen den Einsprung aus. Da sich der Eisprung aber verschieben könne, sei das nicht zuverlässig. «Solche Apps sind dafür verantwortlich, dass die natürliche Verhütung einen so schlechten Ruf hat», sagt Rainer. Apps könnten nützlich sein, um die selber beobachteten Daten einzutragen, anstatt sie manuell auf ein Blatt Papier zu schreiben, für mehr aber nicht.

Auch gegenüber Verhütungscomputern sind die beiden skeptisch. Sie seien teuer (zwischen 300 und 600 Franken), bräuchten länger, um die Person kennenzulernen und gäben weniger unfruchtbare Tage an, da sie öfters unsicher seien. Wenn frau den Körper selbst beobachtet, könne viel genauer beurteilt werden, wo im Zyklus sie sich gerade befindet. «Frauen sind eben keine Maschinen. Jede Frau ist unterschiedlich und so auch ihr Zyklus», sagt Elisabeth.

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Der Computer ermittelt mit der Messung der Aufwachtemperatur die Fruchtbarkeit.

Natürliche Verhütung

Natürliche Empfängnisregelung (NER):

  • Temperaturmethode: Messung der Basaltemperatur
  • Billingsmethode: Beobachtung des Zervixschleims
  • Symptothermale Methode: Kombination von Temperaturmessung und Beobachtung des Zervixschleims

-> Es gibt diverse elektronische Hilfsmittel für das Anwenden dieser Methoden wie z.B. den Verhütungscomputer.
Verhütungsmittel ohne Hormone:

  • Kondom
  • Diaphragma
  • Kupferspirale/-kette/-ball

«Die Frau entscheidet, was sie möchte»

Gynäkologin Gabriele Susanne Merki-Feld stellt eine Nachfrage nach Alternativen zu Hormonen fest. Mit einem zuverlässigen Partner und einem regelmässigen Zyklus könne frau natürliche Methoden in Betracht ziehen. Sie müsse sich dabei aber bewusst sein, dass ein Schwangerschaftsrisiko besteht.

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Gabriele Merki ist Abteilungsleiterin für Kontrazeption und Adoleszenz am Unispital Zürich Bild: zVg

Frau Merki, was sagen Sie einer Frau, die «natürlich» verhüten möchte?

Natürliche Verhütungsmethoden erfordern mehr Disziplin und Zeitaufwand von den Partnern als hormonelle. Die Frage ist immer, was die Patientin letzten Endes möchte: Ist die Bereitschaft da, ein gewisses Risiko einzugehen oder will sie auf keinen Fall schwanger werden?

Welche natürlichen Methoden empfehlen Sie?

Kondome oder auch die Kupferspirale sind zwar nicht natürlich, funktionieren aber ohne Hormone. Jede natürliche Verhütungsmethode hat je nach Frau, Regelmässigkeit des Zyklus und Menstruationsbeschwerden ihre Vor- und Nachteile.

Nach welchem Prinzip funktioniert die «natürliche Empfängnisregelung»?

Man beobachtet den Zervixschleim am Gebärmutterhals. Dieser verändert sich mit dem Eisprung. Zusätzlich misst man regelmässig die Temperatur und wartet mit ungeschütztem Verkehr, bis die Temperatur um ein halbes Grad angestiegen ist. Dann ist der Eisprung vorbei und der Gelbkörper produziert Progesteron. Zu diesem Zeitpunkt könnte man theoretisch bis zur nächsten Periode ungeschützt Geschlechtsverkehr haben.

Wie sicher ist diese Methode?

Die Sicherheit dieser Methode ist stark abhängig von einer konsequenten Verhütung mit Kondom oder Abstinenz an den Tagen, die potenziell fruchtbar sind.

Wie steht es mit der Sicherheit bei Zykluscomputern?

Die Hersteller*innen versprechen eine sehr hohe Sicherheit. Liest man die Packungsbeilage, so steht dann aber, dass grosse Disziplin erforderlich ist: Genug Nachtschlaf, kein Leistungssport oder zu viel Alkohol am Abend und morgens immer um die gleiche Zeit die Temperatur messen. Das entspricht nicht unbedingt dem Lifestyle der jungen Generation.

Wem raten Sie eher zu einer natürlichen Methode?

Bei der Methode muss man einfach wissen, dass es ein Risiko gibt. Wenn man einen zuverlässigen Partner und einen regelmässigen Zyklus hat, empfehle ich es eher.

Die Verfechter*innen der natürlichen Methode sagen, dass es den regelmässigen Zyklus nicht braucht, da die fruchtbare Phase immer gleich lang ist.

Das stimmt. Die fruchtbare Phase ist zwar immer gleich lang, man kann diese aber erst im Nachhinein bestimmen. Die Methode ist bei einem unregelmässigen Zyklus einfach nicht meine erste Empfehlung. Aber die Frau entscheidet, was sie möchte.

Wie viel muss eine Frau dazu über ihren Körper wissen?

Viele Frauen, die natürlich verhüten, kommen für diese Fragen nicht zur Gynäkologin. Sie lesen sich selbstständig ein und kennen ihren Zyklus gut. Einen Computer oder ein Thermometer können sie sich selber in der Apotheke besorgen. Die Frauen, die zu mir kommen, wollen meistens einen sicheren Schutz vor der Schwangerschaft.

Beobachten Sie ebenfalls, dass immer weniger Frauen Hormone nehmen möchten?

Ja, aber ich denke, viele haben dieses Bedürfnis aufgrund von falschen Informationen. Man muss aufpassen mit dem Verteufeln von hormonellen Verhütungsmitteln. Sie sind bei negativem Kinderwunsch eine wichtige Möglichkeit, sicher zu verhüten.

Wie wichtig ist der Partner?

Sehr wichtig. Er muss während der fruchtbaren Phase abstinent sein oder mit dem Kondom umgehen können. Die Frage ist auch, in welchem Alter eine Frau die Fähigkeit erlernt, ihre Verhütungswünsche gegenüber dem Partner selbstbewusst zu vertreten.

Gilt das auch für andere Verhütungsmethoden?

Ich finde es allgemein gut, wenn Verhütung partnerschaftlich ist. Auch wenn ich Hormone verschreibe. Ich frage dann, ob der Partner auch daran erinnert, die Pille zu nehmen und ob er diese mitfinanziert. Einfach, um mal darauf aufmerksam zu machen, dass der Mann auch Verantwortung trägt. Es liegt nicht nur bei der Frau. Aber sie ist halt dann schwanger.

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