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18. Mai 2017 um 12:37

«Dass Jugendliche im öffentlichen Raum nicht geduldet sind, ist ein komischer Mythos»

Viel wird toleriert, wenig wird Angeboten. Für Zürichs Jugend gibt es wenige Orte, wo sie hin dürfen und unter sich sein können.

Das Lauter-Festival lud letztes Wochenende zu Konzerten ein. Gratis und ohne Alterslimite. «Uns ist wichtig, dass alle kommen können, die gute Live Musik geniessen wollen» sagt Aurelia Weber vom Lauter gegenüber Tsüri am Telefon. Als die vier Jungs, die als Hauptorganisatoren hinter dem Festival stehen, zum ersten Mal Konzerte im Rahmen eines Quartierfestes organisierten, seien sie selbst noch nicht 18 gewesen. «Wir wollen niemanden ausschliessen», so Aurelia. Deshalb gab es auch bei der neunten Ausgabe keine Alterslimite.

Im Zürcher Nachtleben sind solche inklusiven Veranstaltungen rar. In Clubs gibt es strikte Alterslimiten. Nur wer volljährig ist oder dies dem Türsteher verklickern kann, kommt rein. In Bars sieht man selten Minderjährige und wenn, wird dies von ältere Gäste nicht immer goutiert. «Unsere Bars scheinen nicht auf dem Radar von Jugendlichen zu sein», meint mehrfacher Barbetreiber Christian Käser zudem. Minderjährige Gäste habe er so gut wie keine.

Eigenes Ding

«Ich glaube nicht, dass die ganz Jungen unbedingt in einen Club oder eine Bar wollen. Vielmehr wollen sie ihr eigenes Ding machen», bestätigt Luca Rey vom Nachtstadtrat diese Wahrnehmung. Doch dies sei aus zwei Gründen nicht ganz einfach. «Die jungen wissen nicht recht, wo sie anfangen müssen.» Zum einen sei es schwer, den Zugang zu bestehenden Angeboten der Stadt zu finden. Die Stadt biete grundsätzlich viele Optionen an, da sieht Luca kein Problem, doch die Hürden, diese in Anspruch zu nehmen, seien hoch. Wolle man im Dynamo zum ersten mal etwas veranstalten, müsse man 500.- bezahlen – für Minderjährige viel Geld. Eine günstige Alternative böten einige GZs mit ihren Partykellern, doch dort wolle man oft nicht bis nach 22:00 Uhr offen haben.

Es fehlt an permanenten Institutionen und nicht-kommerzialisierten Orten, wo sich Minderjährige das ganze Jahr hindurch treffen können.

Luca Rey, Nachtstadtrat

Zum anderen seien die jetzigen Institutionen, welche das städtische Nachtleben dominieren, von einer älteren Generation geprägt. Jene Generation, die in den 80er und 90er für mehr Freiraum in Zürich gekämpft hatte, – und diesen erfreulicherweise auch erlangte – bestimmten heute das Programm. «Da gibt es wenig Platz um mitzuwirken» so Luca Rey. Dies gelte gleichermassen für In-Clubs sowie für städtische Kulturplätze, also für Hive und Profitreff. Die Interessen der Unter-18-Jährigen würden im jetzigen Angebot schlicht vernachlässigt, pflichtet Isabelle von Walterskrichen vom Nachtstadtrat bei.

«Ich will nicht schwarzmalen. In Zürich wird viel toleriert», wendet Luca Rey ein. Waldpartys dürfe man veranstalten, am See könne man sich bis spät in die Nacht aufhalten, mit der Streetparade und ähnlichen Veranstaltungen gebe es auch ein üppiges gratis Angebot im Sommer. Auch die sip finde er ein gutes Instrument, um Konflikte zwischen schlafen wollenden Anwohnern und ausgelassenen Jugendlichen zu lösen.

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«Doch es fehlt an permanenten Institutionen und nicht-kommerzialisierten Orten, wo sich Minderjährige das ganze Jahr hindurch treffen können», bringt es Luca Ray auf den Punkt. Die Stadt könne sich da noch verbessern. Wegen der ganzen Lärmdiskussion scheint sie sich jedoch davor zu zieren, sich stärker für die Jungen einzusetzen.

Geduldet, aber nicht willkommen?

Sei es weil die Räume fehlen, der Aufwand zu gross oder das Angebot nicht ansprechend ist, die Jungen «hangen» oft draussen rum. «Doch auch aus dem öffentlichen Raum werden sie oft verdrängt», gibt Isabelle von Walterskirchen vom Nachtstadtrat zu bedenken. Weil sie halt laut lachen, rumjolen oder Musik hören, seien sie nicht überall gern gesehen.

Tsüri fragte darum bei der sip nach, wo es draussen typischerweise zu Problemen mit Minderjährigen kommt. «Am Häufigsten kommt es vor, dass die Jugendlichen irgendwo eine kuschelige oder geschützte Nische, etwa in einem Hinterhof, finden und dabei nicht merken, dass ihnen alle zuhören», berichtet Christian Fischer von der sip züri. Dann komme es zu klassischen Nutzungskonflikten, dies vor allem auf Grünzonen von Genossenschaften oder Pausenplätze von Schulen. Anwohner, die schlafen wollten, riefen in solchen Fällen die sip züri.

Der öffentliche Raum ist für alle da

Christian Fischer, sip

«Dass Jugendliche im öffentlichen Raum nicht geduldet sind, ist ein komischer Mythos», sagt Christian Fischer. Schreie jemand herum, mache Sachen kaputt oder sei so betrunken, dass er oder sie auf Hilfe angewiesen ist, könne das zu Konflikten führen. Dies sei jedoch die seltene Ausnahme und habe nichts mit jung sein zu tun. «In den meisten Fällen erklären wir den Jugendlichen, dass sich Anwohner gestört fühlen. Hin und wieder kommt ein engagierter Anwohner tatsächlich mit runter auf den Platz. Es ist ideal und sehr wirkungsvoll, wenn die Betroffenen in Begleitung von sip mit den Jugendlichen direkt das Gespräch suchen. Wir verstehen aber auch, wenn jemand nach Mitternacht im Pyjama keine Lust hat, mit angeheiterten Jugendlichen zu diskutieren. Dann übermitteln wir stellvertretend die Botschaften. Wir sind dann zwar die Spassbremsen, bei der Mehrheit aller Interventionen stossen wir damit aber auf Verständnis», schildert er das Vorgehen der sip. Die meisten Jugendlichen, übrigens auch die Erwachsenen, seien sich schlicht nicht bewusst, dass sie laut sind.

«Jetzt im Frühling kommt es typischerweise zu Situationen wegen Jugendlichen, die ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol machen», so Christian Fischer weiter. Das Hauptproblem sei dabei, dass es den Betroffenen sehr schlecht gehe, wenn sie in zu kurzer Zeit zu viel Alkohol konsumiert haben, und weniger, dass sie störten.

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«Der öffentliche Raum ist für alle da», sagt Christian Fischer klar. In Parks, am See oder an der Langstrasse gäbe es denn auch keine solchen Klagen.

Abholen

Um die konkreten Wünsche der Jungen abzuholen, veranstaltet der Nachtstadtrat einen Roundtable. Dort sollen die Jugendlichen zwischen 16 und 23 Jahren ihre Bedürfnisse diskutieren und selbst überlegen, was ihre Anliegen sind. «Ich glaube nicht, dass die Jungen mehr Freiraum erkämpfen wollen», nimmt Luca Rey an. Viel mehr wünschten sie wohl niederschwellige Unterstützung, wenn sie selbst Veranstaltungen realisieren wollten. Hier könne der Nachtstadtrat vernetzen oder die jugendlichen Anliegen an die entsprechenden Stellen tragen.

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