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30. Mai 2019 um 10:59

Mahnwache vor dem Schlachthof Zürich

Jeden Freitagmorgen früh versammeln sich Aktivist*innen vor dem Schlachthof Zürich und halten Mahnwache. Sie wollen den Schweinen, Kälbern und Rindern, die täglich angeliefert, geschlachtet und zu Fleischwaren verarbeitet werden, ein Gesicht geben. Unsere Redaktor*innen Florentina und Elio waren mit dabei.

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Fotos: Elio Donauer

Die Strassen sind noch leer, die Stadt still. Es liegt ein Geruch in der Luft, der an die rohen Fleischabfälle des Metzgers erinnert, die ich früher an meine Katze verfütterte.

Kurz vor sechs Uhr morgens versammelt sich eine Handvoll Menschen vor dem Zürcher Schlachthof. Die meisten kennen einander, zur Begrüssung werden alle umarmt – auch wir, die zum ersten Mal mit dabei sind. Die Stimmung ist entspannt, aber alles andere als verschlafen.

Organisator der Mahnwache ist der Tierrechtsaktivist Silvano Lieger. In einer Ikea-Tasche hat er Strassenkreide, Kerzen und Schilder dabei. Er lebt seit zweieinhalb Jahren vegan und ist aktives Vereinsmitglied von Zurich Animal Save.

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«Unser Ziel ist es, eine nationale Debatte anzustossen und ein Bewusstsein zu schaffen, dass dieses Leid nicht nötig ist», erklärt Silvano. Die Aktion vor dem Schlachthof sei ein friedlicher Protest und diene mitunter dazu, so viele Fotos und Videos wie möglich zu sammeln. «Diese verbreiten wir via Social Media, um den Leuten zu zeigen, wer für ihr Filet Mignon gestorben ist», erzählt er und ergänzt: «1'200 bis 2'000 Tiere werden hier täglich angeliefert und geschlachtet, 200’000 sind es in der ganzen Schweiz».

Hinter den Zaun verbannt

Die Mahnwachen gibt es in Zürich seit knapp einem Jahr. Seit 2019 finden sie nicht mehr nur monatlich, sondern wöchentlich statt. «Früher hatten wir ein gutes Verhältnis zum Schlachthof», sagt Silvano. Vor wenigen Monaten noch durften die Tierrechtsaktivist*innen bei ihren Mahnwachen das Schlachthofgelände betreten, die Fahrer*innen anhalten, mit ihnen sprechen und von den Tieren in den Transportern Abschied nehmen, sie streicheln und Fotos machen. Sogar einen Tisch mit Kaffee und Kuchen für die Fahrer*innen hätten sie aufgebaut und nicht selten gute Gespräche geführt. Dies sei heute anders: «Die Medienaufmerksamkeit wurde zu gross und der Schlachthof hat Verluste gemacht, weil die Fahrer*innen auf andere Schlachtbetriebe ausgewichen sind.»

Seither dürfen die Aktivist*innen nur noch auf einem Strassenabschnitt neben der Einfahrt oder hinter einem Zaun stehen und von weiter weg den Fahrer*innen beim Ausladen der Tiere zusehen. So spektakulär wie in den Berichten von beispielsweise SRF und Blick sind die Mahnwachen deshalb nicht mehr.

Die neue Vereinbarung mit dem Schlachthof ist für Silvano ein enormer Rückschritt. Die Mahnwachen in Zürich seien so aussergewöhnlich gewesen, dass Leute aus Deutschland und aus dem Wallis um zwei Uhr morgens aufgestanden und hergefahren seien, um dabei zu sein – manchmal waren es bis zu 100 Aktivist*innen. Zur heutigen Mahnwache sind nur ein gutes Dutzend Leute erschienen, Männer und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren. Dass alle von ihnen vegan leben, ist höchstwahrscheinlich.

Wenig sehen, viel hören

Die Gruppe teilt sich auf: Einige bleiben auf der Strasse stehen, zünden Kerzen an und halten die Schilder hoch, die Silvano mitgebracht hat. Zwei der Aktivist*innen werden mit ihren Transparenten vorne an der Hohlstrasse ihren Platz einnehmen, wo auch Passant*innen sie sehen können. Alle anderen stellen sich an den Zaun. Silvano warnt seine friedlichen Mitstreiter*innen: «Einiges, was ihr dort seht, ist vielleicht schwer zu verarbeiten. Wer merkt, dass ihm*ihr das zu viel wird, darf gerne Abstand halten oder hier zur Strasse zurückkommen.» Einige Tiere sind derart verwirrt und verängstigt, dass sie in den Anhänger zurückwollen, sich weigern, in den Stall zu gehen und die Mitarbeitenden sie mit Stockschlägen zum Weitergehen prügeln.

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Eine Teilnehmerin erzählt, sie sei seit letztem November dabei. Früher habe sie wöchentlich mitgemacht. Irgendwann begannen ihr die Bilder jedoch auf die Psyche zu schlagen, weshalb sie nun noch einmal pro Monat dabei sei.

Auch wenn sich das Geschehen nur noch aus der Ferne beobachten lässt, kommen die Aktivist*innen trotzdem – «symbolisch, um zu sagen: Wir gehen nicht weg», sagt Silvano.

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Silvano nimmt uns mit an den Zaun und erklärt: «Nach dem Ausladen kommen die Tiere für etwa eine halbe Stunde in die Stallungen, um sich zu erholen.» Ob die Tiere wissen, was ihnen bevorsteht? Viele der Kälber sind noch keine sechs Monate alt und es ist ihr erster Transport, der bis zu sechs Stunden dauern kann.

Ein Transporter fährt vor, zwei Männer laden ein Kalb aus. «Dieses ist etwa drei Monate alt», schätzt Silvano. Verwirrt stakst es herum, läuft nicht auf Anhieb zum Stall. Der Fahrer lässt das Kalb an seiner Hand lutschen und führt es langsam, aber bestimmt durchs Gatter. Dieser Umgang erscheint alles andere als brutal. Silvanos Kommentar: «Es stehen auch 20 Leute da, die filmen.»

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Die Schweine quieken wie am Spiess; es könnte auch ein kleines Kind sein, das schreit. Silvano ist Experte, was die Abläufe im Schlachthof angeht: «Schweine werden per Elektroschock, Kühe durch einen Bolzenschuss betäubt – unbetäubtes Schlachten (anm. d. Red.: Schächten) von Tieren ist in der Schweiz, ausser bei Geflügel, verboten. Der eigentliche Tod erfolgt dann durch einen Halsschnitt.»

«Pro Schlachtung verdient der Schlachthof etwa 50 Franken. Dabei gehört das Tier nie dem Schlachthof selbst, er ist lediglich ein Dienstleister zwischen Bauerbetrieb oder Viehhändler*in und Fleischhändler*in», erklärt Silvano. Im Fall des Schlachthofs Zürich sei dies die Metzgerei Angst, die über 600 Gastronomiebetriebe, Metzgereien und Detailhändler im Grossraum Zürich mit Fleisch beliefert.

Inzwischen ist es hell geworden, die Strasse belebt durch den Berufsverkehr. Die Zürcher*innen machen sich auf zur Arbeit, dem letzten Tag vor dem Wochenende. Es ist 8 Uhr, und Silvano führt uns zur Rückseite des Schlachthofs, wo die Endverarbeitung des Fleisches stattfindet. Durch ein Fenster sehen wir, wie Hacktätschli aus einer Maschine auf das Fliessband purzeln.

Informationen zur Mahnwache und weiteren Veranstaltungen von Zurich Animal Save findet ihr hier.

Alle Bilder: Elio Donauer

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Was ist eine Mahnwache?
Eine Mahnwache ist eine friedliche Demonstrationsform, mit der eine Gruppe Menschen an einem öffentlichen Ort auf einen gesellschaftlichen Missstand oder ein politisches Anliegen aufmerksam machen will. Mahnwachen erinnern meist an traurige Ereignisse und finden deshalb oft schweigend oder in stiller Atmosphäre statt.
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