Liebesbriefe an die Brücken unserer Stadt: Teil 3 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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6. Juni 2022 um 11:07

Brückenliebe: «Was soll ich sagen? Von unten siehst du noch viel besser aus»

Zürich ist eine Brückenstadt. Wir haben Liebesbriefe an unsere Lieblingsbrücken geschrieben und die wichtigsten Fakten zu ihnen zusammengetragen. Ampère-Steg, Lettenviadukt, Dammsteg und Hardbrücke machen den Schluss.

Es ist zwar nicht ganz korrekt, aber Steffen Kolberg schaut seine Herzensbrücke, die Hardbrücke, meist von unten an. (Foto: Alice Britschgi)

Liebe Hardbrücke….

Zugegeben: Ich bin recht selten auf dir unterwegs. Denn obwohl Google Maps das vermutet und auch ernsthaft vorschlägt, ist es keine gute Idee, dich mit dem Velo zu befahren. Du bist Autobahnzubringer und Hauptverkehrsstrasse und deshalb ganz und gar dem motorisierten Verkehr vorbehalten. Hin und wieder fahre ich mit dem Mietauto über dich und fühle mich jedesmal, als würde ich durch eine Grossstadt cruisen: Von der Rosengartenstrasse aus geht es mit dir auf Betonstelzen im dichten Verkehr vorbei an den Balkonen der Wohnhäuser, im Blick die reflektierenden Sonnenstrahlen auf der Fassade des Prime Tower, dann öffnet sich der Horizont und das Gleisbett breitet sich unter mir aus, bevor mich die Banalität der Erdgeschossebene wieder einholt.

Meist bin ich aber nicht auf dir, sondern unter dir unterwegs, auf der Wipkingerbrücke und der Hardstrasse. Und was soll ich sagen? Von unten siehst du noch viel besser aus als von oben. Nicht-Zürcher:innen zeige ich dich gerne als Beispiel dafür, dass Beton auch elegant sein kann: Wer sonst hat schon solche geschwungenen Linien, solche sich windenden Treppenaufgänge und noch dazu solch eine dezente und doch auffällige Beleuchtung wie du? Eben, Niemand.

Steffen Kolberg

Velotauglichkeit: 0 von 5 Punkten

Ausblick: 5 von 5 Punkten

Romantik: 3 von 5 Punkten

Gut zu wissen:

Die Hardbrücke ist Teil der Westtangente der Stadt Zürich und transportiert damit einen grossen Teil des Autoverkehrs vom Norden in den Süden und umgekehrt. Die 1350 Meter lange Brücke wurde in den Jahren 1969 bis 1972 gebaut und war eigentlich als Zwischenlösung gedacht, bis das Expressstrassen-Y, ein geplantes Autobahndreieck mitten in der Stadt, fertiggestellt sein würde. Dazu kam es allerdings zum Glück nie. Die Hardbrücke blieb erhalten, wurde 2009 bis 2011 umfassend saniert und bekam 2017 durch die Verlängerung der Linie 8 ein Tramtrassee dazu. Wäre die Abstimmung zum Rosengartentunnel 2020 angenommen worden, hätten ein bis zwei neue Tramlinien über die gesamte Länge der Brücke vom Hardplatz bis nach Wipkingen geführt werden sollen.

Der Ampère-Steg: Bei einem Blick aus einem Loch nach Wahl kommt fast ein bisschen Bullaugen-Hochsee-Stimmung, findet Seraina Manser. (Foto: Alice Britschgi)

Lieber Ampère-Steg…

Besonders mystisch und eklig bist du in den Sommernächten. Die Spinnen werden von deiner Beleuchtung angezogen, flechten unzählige Netze zwischen deinen Löchern und Lampen. Diese vermögen aber längst nicht alle Limmatfliegen zu fangen und so empfiehlt es sich, dich möglichst schnell zu überschreiten und dabei am besten nicht einzuatmen. Vielleicht sogar noch die Sonnenbrille aufzusetzen. Abertausende Mücken tanzen in deinem Licht und verleiten Passant:innen zu einem spontanen Ausweich-Limbo.

Ich habe dich als Lieblingsbrücke ausgewählt, weil du über den Fluss führst, dich Autos nicht überqueren dürfen und du mit deinen gelochten Wänden von den anderen Limmatbrücken abhebst. Im Winter – wenn es auf dir gelassener zu und her geht – lohnt es sich, einen Blick aus einem Loch nach Wahl zu werfen. Richtung Hardbrücke oder flussabwärts zum Hardturmsteg. Da kommt fast ein bisschen Bullaugen-Hochsee-Stimmung auf.

Seraina Manser

Velotauglichkeit: 5 von 5 Punkten

Ausblick: 0 von 5 Punkten

Romantik: 2 von 5 Punkten

Gut zu wissen: 

Der Ampèresteg wiegt 80 Tonnen und kostete insgesamt 1,91 Millionen Franken. Bei der Stadt wurden davor zwei Rekurse gegen das Projekt eingereicht, einer davon von der Besitzerin der Liegenschaft an der Hardturmstrasse, in der die Bar und Buchhandlung Sphères beheimatet ist. Der Steg wurde im Sommer 2005 eingeweiht. 

«Liebes Lettenviadukt, ich gehe nicht in die Ferien, ich gehe zu dir.» (Foto: Alice Britschgi)

Liebes Lettenviadukt….

Ich weiss noch, als ich dich vor ein paar Jahren gefühlt zum ersten Mal überquerte. Es war wie eine völlige Neuentdeckung, nur dass ich dich eigentlich schon kannte – ich hatte dich nur vergessen. Vom Parki führst du mich bis zur Josefwiese, ich blicke hinunter auf all die Sonnenanbeter:innen. Auf dir fahren keine Autos, nur Drahtesel und Kinderwagen. Gesäumt von Mohnblumen und Wegwarte bist du für mich der Inbegriff von frühmorgendlichen Limmatsprüngen und lauen Sommerabenden. Liebes Lettenviadukt, ich gehe nicht in die Ferien, ich gehe zu dir.

Sofie David

Velotauglichkeit: 5 von 5 Punkten

Ausblick: 4 von 5 Punkten

Romantik: 5 von 5 Punkten

Gut zu wissen:

Das Lettenviadukt ist die stillgelegte Eisenbahnbrücke, die zum ehemaligen Bahnhof Letten führt. Es liegt im Schatten der Zugbrücke des Wipkingerviadukts, auf der die Züge vom Zürich HB über den Bahnhof Wipkingen bis nach Oerlikon fahren. Zusammen nennt sich das Brückenduo «Aussersihl Viadukt».

Gebaut wurden die beiden Eisenbahnbrücken 1894 von der Schweizerischen Nordostbahn. Zu Bauzeiten war das Wipkingerviadukt die längste Brücke der Schweiz, mit 823 Metern war das Lettenviadukt aber gerade mal elf Meter kürzer. Dieses ist seit 1989 stillgelegt und seit 2009 mit dem Velo oder zu Fuss zugänglich. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Viadukte sogar einmal bombardiert, weil ein britischer Bomber Zürich wegen schlechter Witterung mit Mannheim verwechselt hatte, wo sein eigentliches Ziel gelegen hätte.

Der Dammsteg wäre fast ein Vollenweidersteg geworden. (Foto: Alice Britschgi)

Lieber Dammsteg…

Du bist für mich der Inbegriff von Sommer. Wenn ich jeweils bei 30 Grad bepackt mit Badesachen über dich gehe, zügig, weil bereits voller Vorfreude auf das kühle Nass, das mich am Unteren Letten erwartet, dann weiss ich, dass das Leben gut ist. In der Nase der Duft von Sonnencreme, die mir am Leibe klebt, weil ich schlau genug war, mich bereits zuhause einzuschmieren. Im Hintergrund das gleichmässige Rauschen der Limmat, das vom lauten Rattern eines Zuges übertönt wird, der über meinen Kopf hinweg fegt – hoch oben auf dem Viadukt. Und am Abend, wenn die Sonne bereits hinter dem Swissmill Tower verschwunden ist, die Haare noch feucht vom letzten Sprung in die Limmat und schon wieder nass vom Gewitterregen, der auf deinen Rücken prasselt, auf dem heissen Teer verdampft und so den Geruch des Sommers entstehen lässt. Dann renne ich über dich drüber, barfuss von Wipkingen ins Industriequartier, frei von allen Sorgen.

Isabel Brun

Velotauglichkeit: 5 von 5 Punkten

Ausblick: 3 von 5 Punkten

Romantik: 5 von 5 Punkten

Gut zu wissen:

Die Realisation des Dammstegs war steinig: Bereits im Jahr 1899 verlangte der Quartierverein Wipkingen eine neue Überquerung im Bereich zwischen Lettensteg und Wipkingerbrücke. Denn wollte man mit einem Kinderwagen über die Limmat, musste wegen der Treppen beim Lettensteg auf die Wipkinger- oder Bahnhofbrücke ausgewichen werden. Der Stadtrat brachte deshalb am Lettensteg Rampen an. Doch die Wipkinger:innen blieben hartnäckig: Allen voran Bernhard Vollenweider, nach dem der Steg nach seiner Eröffnung im Jahr 1926 hätte benannt werden sollen. Die Stadt jedoch fand den jetzigen Namen besser. Er spielt auf die Erweiterung der Dammstrasse an, die vom Steg bis zum Röschibachplatz hochführt.

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