Liebesbriefe an die Brücken unserer Stadt: Teil 1 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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23. Mai 2022 um 14:50

Brückenliebe: «Auf dir duftet es immer ein bisschen nach Meer»

Zürich ist eine Brückenstadt. Wir haben Liebesbriefe an unsere Lieblingsbrücken geschrieben und die wichtigsten Fakten zu ihnen zusammengetragen. Kornhausbrücke, Negrellisteg, Duttweilerbrücke und Kohlendreieckbrücke machen den Anfang.

Alle Wege führen zur Kornhausbrücke: zumindest in der Flussbadi Oberer Letten. (Foto: Alice Britschgi)

Liebe Kornhausbrücke…

Du warst bei fast allen die erste Wahl, als es darum ging, die Lieblingsbrücke dieser Stadt zu küren. Doch wir zwei, wir sind uns besonders verbunden, nicht wahr? Seit meinem Umzug nach Zürich vor genau zehn Jahren sind wir uns fast jeden Tag nah. Zuerst wohnte ich zu deinen Füssen, heute fahre ich dir morgens jeweils aus dem Kreis 6 entgegen. Wobei dies immer wieder für Verwirrung sorgt, bietest du doch nur auf einer Seite einen Velostreifen. Auf dir duftet es immer ein bisschen nach Meer, obwohl es nur Limmat und Sihl sind, die sich unter dir durchschlängeln. Besonders magisch bist du abends in der Dämmerung. Dann, wenn unten in den Bars Lichterketten alles in warmes Grün, Orange und Rot tauchen. Wenn von dir die letzten Klippenspringer:innen des Tages ins kühle Nass springen und vom Steg Reggae-Bässe und Skateboards, die über die Halfpipe brettern, herauf tönen. Und man sich denkt: Zürich, du bist schön. 

Rahel Bains

Velotauglichkeit: 3 von 5 Punkten

Ausblick: 5 von 5 Punkten

Romantik: 5 von 5 Punkten

Gut zu wissen:

Nach einem Jahr Bauzeit wurde die Kornhausbrücke 1929 fertiggestellt. Der Lettensteg als erste Verbindung für Fussgänger:innen an dieser Stelle besteht seit 1885. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Kornhausbrücke als Sprengobjekt vorbereitet, um bei einem drohenden Angriff auf die Limmatlinie diese wichtige und leistungsfähige Verkehrsachse über die Limmat zu zerstören. Einst war übrigens geplant, dass eine Tramlinie darüber führen soll.  

«Mit dem Jahrgang 2021 gehört der Negrellisteg wohl zu den Babys unter den Zürcher Brücken.» (Foto: Alice Britschgi)

Lieber Negrellisteg...

Geplant warst du als Velobrücke, geworden bist du eine Fussgänger:innenbrücke. Zu teuer sei eine Velobrücke, hiess es. «Was für ein sinnloser Steg aus dir geworden ist», dachte ich anfangs. Aber muss denn immer alles einen Sinn haben? Nein. 

Die beiden Kreise 4 und 5, die sich etwa ideologisch so nahe stehen, sind durch das breite Gleisfeld, das in den Zürcher Hauptbahnhof führt, getrennt – und dieses versuchst du zu überbrücken. Rechts und links von dir ragen die Europaallee, das Zollhaus und weiter hinten der Prime Tower empor. Mit diesem mächtigen Ausblick auf Beton weisst du einen zu täuschen und löst ganz grossstädtische Gefühle aus. Von der eher charakterlosen Europaallee landet man im eher langweiligen Teil des Kreis 5. Die Erwartungen dürfen beim Überqueren nicht allzu hoch sein, aber der Weg ist ja bekanntlich das Ziel. Gilt besonders für dich, Negrellisteg. Auf dir können wir dem Beton entfliehen und in die Weite starren, Sonnenuntergänge geniessen oder Züge beobachten. Und weisst du, was das Tolle ist? 2031 bekommst du vielleicht eine grosse Schwester, die dann wirklich eine Velobrücke sein soll.

Lara Blatter

Velotauglichkeit: 2 von 5 Punkten (es hat im Lift Platz für ein Velo)

Ausblick: 4 von 5 Punkten

Romantik: 3 von 5 Punkten

Gut zu wissen: 

Mit dem Jahrgang 2021 gehört der Negrellisteg wohl zu den Babys unter den Zürcher Brücken. An diesem 160 Meter langen Steg wurde 18 Monate gebaut und an den jeweiligen Enden steht ein runder Turm mit Lift, um welchen sich eine breite Wendeltreppe schlängelt. Rund 11 Millionen Franken hat der Bau gekostet. Benannt wurde er – wen erstaunts – nach einem Mann. Nach Alois Negrelli, einem österreichischen Ingenieur. Mit Zürich verband ihn die Projektleitung der «Spanisch-Brötli-Bahn», der ersten Schweizer Eisenbahn, die von Zürich nach Baden führte. Auch hat er die Münsterbrücke entworfen und den Suezkanal geplant. 

«Ein schmuckloses Betonstück», nennt Elio sein Schätzchen, die Duttweilerbrücke. (Foto: Alice Britschgi)

Liebe Duttweilerbrücke...

Du schmuckloses, an jenem Ort der Stadt mit dem wenigsten Charme liegendes Betonkonstrukt. Von der gähnenden Leere des Industriequartiers bringst du die Blechlawinen über das Gleisfeld zur öden Hohlstrasse, die Szenis von der ZHdK zurück in den Kreis 4 und die Schweine von der Autobahn zur Endstation Schlachthof. 

Hier die Gründe, weshalb du du eine Liebeserklärung verdienst, obwohl ich mich bei jedem Besuch nerve, wenn ich die Kreuzung beim Toni-Areal überqueren muss: Nirgendwo in der Stadt lassen sich solche Aussicht und Weitblick ganz alleine geniessen wie bei dir. Auf dem Negrellisteg teilt man das Panorama mit Apérotouristen und Ferrophilen, die Hardbrücke ist mehr Autobahn als Aussichtspunkt und die Kornhausbrücke ist zwar schön, bietet aber nicht dieselbe Weitsicht. Niemand aber verirrt sich freiwillig zu dir. Bleibt man bei Sonnenuntergang ganz oben bei dir stehen, erstrecken sich Gleisfeld und Stadt bis zum Horizont. In der Nacht hingegen fühlt sich die Überquerung an wie ein urbaner Thriller. Auch ich besuche dich selten einfach so, aber wenn ich wieder mal mal bei dir bin, bleibe ich gerne ein paar Minuten länger. 

Elio Donauer

Velotauglichkeit: 3 von 5 Punkten (Abzug für die Wartezeit an der Toni-Kreuzung)

Ausblick: 5 von 5 Punkten

Romantik: 1 von 5 Punkten

Gut zu wissen:

Der Hauptsitz der Migros liegt am Nordende der Brücke beim Toni-Areal. Aus diesem Grund wurde die Brücke nach dem Migros Gründer Gottlieb Duttweiler benannt. Der Bau der Duttweilerbrücke wurde 1968 von der Zürcher Stimmbevölkerung mit 84 Prozent Ja-Stimmen angenommen. 

So russlos strahlt die Kohlendreieckbrücke heute. (Foto: Alice Britschgi)

Liebe Kohlendreieckbrücke…

Du wirst täglich von so vielen Menschen überquert, aber die wenigstens kennen deinen Namen. Meist wirst du wegen deiner grossen Schwester – der Letzigrabenbrücke – gar nicht wahrgenommen. Aber ohne dich wäre die Durchmesserlinie von Oerlikon nach Altstetten gar nicht möglich. Auch bei deiner Konstruktion wurde dir nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die du verdient hättest. So mussten deine Pfeiler nachträglich verstärkt werden, damit du die schweren Züge nach Bern, Basel und in den Rest der Schweiz überhaupt tragen magst. Aber genau du verdienst eine besondere Erwähnung.

Dein Name erinnert an ein vergessen gegangenes Stück Eisenbahngeschichte. Unter dir wurde vor vielen Jahren die Kohle gelagert, welche vor der Elektrifizierung der Eisenbahn für die Dampflokomotiven benötigt wurde. Heute erlaubst du allen Reisenden, die Zürich verlassen, einen letzten Blick über die Stadt, so dass diese noch einmal Abschied nehmen können. Und seit kurzem ist es dank dir auch möglich, dem neu errichteten PJZ einen entsprechenden Gruss auszurichten. Ob das ein Kopfnicken oder eine erhobene Faust ist, sei der Pendler:in überlassen.

Nico Roos

Velotauglichkeit: 1 von 5 Punkten (könnte sehr holprig werden)

Ausblick: 5 von 5 Punkten

Romantik: 3 von 5 Punkten (mehr was für Bahnliebhaber:innen)

Gut zu wissen:

Der Baubeginn war im Februar 2010 und hat zusammen mit der Letzigrabenbrücke 300 Millionen Franken gekostet. Eröffnet wurde die Brücke am 26. Oktober 2015. Sie überquert das denkmalgeschützte Hilfiker-Haus. Hans Hilfiker war Elektroingenieur und ist bekannt für die Bahnhofsuhr der SBB.

Liebesbriefe an die Brücken unserer Stadt

In einer dreiteiligen Serie gestehen wir 11 Zürcher Brücken unsere Liebe:

1. Brückenliebe: «Auf dir duftet es immer ein bisschen nach Meer»

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