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Von Florentina Walser

Redaktorin

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19. Dezember 2019 um 08:39

Liebes Opernhaus Zürich, wie sieht europäisch aus?

Eine Annonce des Opernhauses schlägt auf Social Media hohe Wellen. Grund der Empörung: Es werden zwei Schauspieler*innen mit «europäischem Aussehen» gesucht. Was soll das bedeuten?

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Die beiden jungen Schauspieler*innen werden für eine Neuinszenierung der Oper «Iphigénie en Tauride» gesucht. Sie sollten den Sänger*innen Cecilia Bartoli (Iphigénie) und Stéphane Degout (Oreste) ähneln. Das Problematische daran: Im Rollenbeschrieb nannte Regisseur Andreas Homoki als Kriterium «europäisches Aussehen». Wie sieht europäisch aus?

Die Annonce des Opernhauses hing an einer Pinnwand, wo Leoni Ha zufällig auf sie aufmerksam wurde. Diese Wortwahl «europäisches Aussehen» hat sie irritiert und dazu veranlasst, Homoki in einem offenen Brief persönlich damit zu konfrontieren.

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Bild: zvg

Über ihre eigene Person mag Leoni lieber nichts preisgeben. «Ich sehe meine Aufgabe darin, im Kulturbereich Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen, um dadurch einen Diskurs zu öffnen.»

Um dem Opernhaus klarzumachen, dass eine solche Ausdrucksweise nichtssagend, rassistisch und bestenfalls veraltet ist, hat Leoni Ha ausserdem einen Instagramaccount ins Leben gerufen, auf der sie Videos von Menschen postet, die immer dieselbe Frage stellen: «Hallo Opernhaus Zürich, sehe ich europäisch aus?» All diese Menschen sehen komplett unterschiedlich aus. Nicht, weil sie Europäer*innen sind oder nicht sind, sondern weil jeder Mensch so einzigartig ist, dass sogar eineiige Zwillinge bei genauem Hinschauen unterscheidbar sind.

Die Videos hat sie jeweils auf Facebook und Instagram geteilt sowie eine Ketten-Nachricht verfasst, die sie an einzelne Leute verschickte, welche ihre Nachricht wiederum weiterleiteten. «So habe ich bereits nach wenigen Tagen Videos aus verschiedenen Ländern erhalten.»

Etwa gut vier Wochen nach ihrem ersten Post hat Leoni von Homoki endlich eine Antwort erhalten.

«Das Opernhaus Zürich beschäftigt festangestellte Mitarbeiter*innen aus rund 40 Ländern. Als aufmerksame Begleiterin unseres Programmes ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass wir auch die Besetzung von Sänger*innen und Tänzer*innen nach rein künstlerischen Kriterien vornehmen. Wir sind weit davon entfernt, jegliche Zuweisungen etwaiger ‹Identitäten › oder die Herkunft von Künstler*innen für ein Engagement in Betracht zu ziehen.» - Andreas Homoki

Nur, dass auch dieses Schreiben die zentrale Frage nicht beantwortet. Deshalb hat Leoni Ha Andreas Homoki erneut um Auskunft gebeten und Folgendes geschrieben:

«Hallo Herr Homoki, vielen Dank für Ihr Schreiben. Es beantwortet aber meine zentrale Frage nicht. Nämlich: Was bedeutet ‹europäisches Aussehen›? Das Einführen einer solchen Begrifflichkeit in Zeiten von sich verschärfenden Debatten der Migration, Integration und aufkommendem Rassismus in Europa ist höchst problematisch. Darauf bitte ich Sie, zu antworten. Es wäre toll, wenn Sie meine Meinung teilen und die Verwendung einer solchen Begrifflichkeit als eine unglückliche Formulierung betrachten. Übrigens teilen diese Meinung bereits mehrere Leute aus verschiedenen Ländern, wie Sie den Videos auf Instagram und Facebook entnehmen können. Bis bald, Leoni»

Vermutlich hatte Herr Homoki mit seiner ungeschickten Formulierung wohl helle Haut und glatt bis leicht gelocktes Haar im Kopf. Damit bedient er sich eines uralten kolonialistischen (europäischen!) Menschenbildes, bei dem seit der Antike versucht wird, Menschen anhand ihres Aussehens in Rassen einzuteilen. Eine Idee, die sich, auf die Spitze getrieben Eugenik nennt und gerne in Sklaverei, Genoziden und Kriegen endet.

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Schulwandbild für Rassenkunde um 1940

Der Begriff Europide ist eine Sammelbezeichnung für die Menschenrasse der Europäer*innen und stammt aus der Rassentheorie des Nationalsozialismus. Genausowenig wie wir heute noch «Arier», «der Jude», «Volk» oder «Endlösung» sagen, sollen die rassistischen Theorien in unseren Köpfen weitergepflegt werden. Also, liebes Opernhaus: Solange ihr von «europäischem Aussehen» sprecht, wundert euch nicht, wenn die roten Samtsessel nur von alten, weissen Herren und Damen besetzt sind, welche eure Sprache verstehen. Wir wollen sie nicht verstehen.

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