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2. Dezember 2018 um 08:54

Aktualisiert 26.01.2022

Legal, illegal, scheissegal – es wird konsumiert

Die Gesellschaft konsumiert Drogen. Das ist ein Fakt. Trotzdem können wir nicht rational darüber sprechen. Warum Alkohol einer rationalen Debatte über Drogen im Weg steht und alle Drogen legalisiert gehören. Ein Kommentar von Redaktor Timothy Endut.

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Der Konsum von Drogen ist Realität. Es wird gekifft im Park, gekokst am Arbeitsplatz, werden Pillen geschmissen an Partys. Trotzdem ist dieser Teil des gesellschaftlichen Lebens nicht nur kriminalisiert, sondern auch tabuisiert.

Harte Drogen werden verteufelt, Alkohol und Tabak verharmlost. Diese Kategorisierung verunmöglicht einen rationalen Diskurs. Und genau diesen hätte unsere Gesellschaft dringend nötig. Würde man einen Schritt zurücktreten und die Lage sachlich betrachten, dann wäre klar: Wenn Alkohol legal ist, muss es Heroin auch sein.

Selbsttötung ist okay – Drogen nehmen nicht

Es ist ja schön, dass sich Vater Staat dermassen um uns und unsere Gesundheitskosten sorgt und es auf sich nimmt, uns vor Drogen zu beschützen. So heisst es im Betäubungsmittelgesetz BetmG: «Dieses Gesetz soll Personen vor den negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen suchtbedingter Störungen der Psyche und des Verhaltens schützen».

Trotzdem ist diese Bevormundung alles andere als unproblematisch. Weshalb kann man sich nicht selbst aussuchen, ob und wie man sich schaden darf? Jährlich reisen über hundert alte Menschen in die Schweiz, um sich durch «Exit» selbst zu töten. Die Selbsttötung ist okay – Drogen nehmen jedoch nicht.

Beim Suizid ist man gewillt zu sagen, dass jeder das Recht hat, zu gehen, wann er*sie will. Denn es ist eine moralische Frage, die jede*r mit sich selbst auszumachen hat. Und im Vergleich zu Drogen hat der Selbstmord rational gesprochen keine negativen ökonomischen Folgen für die Gesellschaft. Es geht um Ängste und nicht um den Schutz der Bürger*innen.

Die Schreckensbilder der offenen Drogenszene in Zürich in den 90er-Jahren haben ihren Teil dazu beigetragen. Auch wenn das Verbot schon vorher galt, konnte man trotz Tabu nicht mehr über Drogen schweigen. Die Politik musste handeln. Mit der Vier-Säulen-Politik «Prävention, Repression, Schadensminderung, Therapie» hat die Schweiz gut reagiert und gar eine Vorreiterrolle eingenommen.

Stigmata Drogen

Seit damals hat sich nicht viel getan, denn das Problem «Drogen» scheint ja beseitigt. «Leider funktioniert die Politik so», sagt Thilo Beck, Chefarzt der Arud, Zentrum für Suchtmedizin. «Man setzt nur dort an, wo es brennt. Der Schwarzmarkt im Bereich des Substanzkonsums funktioniert für die breite Öffentlichkeit so störungsfrei, dass politisch wenig Motivation besteht, da etwas zu tun.»

Trotzdem wird konsumiert und dies illegal. «Was heute in der Schmuddelecke stattfindet und gesetzlich verfolgt wird, sollte sinnvoll in das gesellschaftliche Leben eingebunden werden», sagt Beck. Auch er sieht das Problem darin, dass psychoaktive Substanzen zu sehr verteufelt würden, als dass man sich rational mit dem Thema befassen könne.

Die Wahrnehmung von der Schädlichkeit gewisser Drogen

Dabei machen es sich die Politik und Justiz nur allzu einfach. Für sie gibt es zwei Kategorien: Einerseits Genussmittel wie Alkohol und Tabak, andererseits alles andere, also Drogen. Dass Alkohol eine Sonderstellung in unserer Gesellschaft hat, rührt wohl daher, dass bereits die Bibel Wein predigte und Mönche sich der Bierbrauerei hingaben.

Dass gewisse Drogen schlimmer sind als andere, lernt man bereits in der Prävention. So mag ich mich erinnern, wie uns in der Oberstufe beigebracht wurde, dass Alkohol und Tabak im Mass okay sind, Cannabis aber eine Einstiegsdroge ist zu harten Drogen. Diese Kategorisierung lässt sich direkt aus dem BemG ableiten.

Dies bildet eine gesellschaftlich geschaffene Rangliste, welche Droge wie schädlich ist – fernab jeglicher moderner Wissenschaftlichkeit. Es gibt die zwei Pole «Alkohol und Tabak» und «Heroin». In der Mitte befindet sich Cannabis, während Psychedelika und Kokain wiederum näher bei Heroin sind.

Die Rangliste der Schädlichkeit von Drogen

Zieht man jedoch eine wissenschaftliche Erklärungsweise herbei, um Drogen in ihrer Schädlichkeit zu beschreiben, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Drogenforscher Nutt hat sich mit Mediziner*innen und Expert*innen aus aller Welt zusammengetan und diese Rangliste von 20 Drogen erstellt. Dabei betrachtet sie einerseits, wie schädlich eine Substanz für die Konsument*innen ist, und andererseits, wie viel Schaden für andere durch Gewalt, Straftaten oder Arbeitsunfähigkeit entstehen.

Laut dieser Studie ist Alkohol am schädlichsten, während psilocybinhaltige Pilze als «harte Droge» den letzten Platz belegen. Allein der Vergleich dieser zwei Drogen – die eine legal, die andere illegal – zeigt auf, wie faktenfern diese Diskussion über Substanzen stattfindet. Es geht nicht um die Schädlichkeit der Drogen, sondern um ein Stigma, welches die Gesellschaft einzelnen Drogen angeheftet hat.

Gefahr für die öffentlichen Ordnung und Sicherheit

Der Staat gaukelt dabei vor, uns beschützen zu wollen. Das Betäubungsmittelgesetz «soll die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor den Gefahren schützen, die von Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen ausgehen.» Wie genau ist die Gefahr, die von LSD-Verstrahlten ausgeht, grösser als jene von Betrunkenen? Wie sind die Folgen von LSD schlimmer für die Gesellschaft als jene von Alkohol? Dafür gibt es keine Beweise.

Dabei gilt es nicht, den Alkohol zu verbieten, sondern ihm bloss jenen Status zu verleihen, den er gewiss verdient: Auch er ist Droge. Ist die irrational gezogene Grenze zwischen Alkohol und illegalen psychoaktiven Substanzen aufgelöst, kommt die Gesellschaft vielleicht endlich zum Schluss: Jede Droge ist schädlich, jede Droge findet Konsument*innen. Wie gehen wir damit um?

Das Betäubungsmittelgesetz ist nicht mehr zeitgemäss. Es findet ein Umdenken statt. Wenn gar ein Teil der FDP losprescht und die Legalisierung aller Drogen fordert, ist das ein Zeichen.

Wenn wir es geschafft haben, einen rationalen Dialog über Drogen und Sucht zu führen, können wir endlich damit beginnen, jenen Menschen zu helfen, die heute kriminalisiert werden. Und jene Menschen zu beraten, die sich einer illegalen Droge zuwenden wollen. Denn sie werden es tun, ob auf legalem oder illegalem Weg.

Über die Frage «Wie weiter mit der Drogenpolitik?» hat Tsüri.ch am vergangenen Montag mit SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr, GLP-Stadtrat Andreas Hauri und dem Professor für Strafrecht Martin Killias diskutiert:

Die Diskussion in voller Länge:

Titelbild: Pixabay

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