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3. März 2020 um 07:52

Aktualisiert 27.01.2022

Lebenslanges Lernen als soziale Innovation

Heute trennen wir scharf zwischen Hobby, persönlicher Entwicklung und dem beruflichen Werdegang. Gedacht war lebenslanges Lernen einst als gesellschaftliches Projekt auf allen Ebenen.

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Photo by Edwin Andrade on Unsplash

Text: Björn Müller (STRIDE the unSchool)

Die politische Idee des lebenslangen Lernens hat sich in den letzten Jahren nicht zu Unrecht einen immer schlechteren Ruf erworben. In einer von Verwertbarkeit getriebenen Gesellschaft wurde lebenslanges Lernen von politischer Seite zuletzt immer eindimensionaler propagiert: es sollte primär die Arbeitsmarktfähigkeit («employability») einer alternden Arbeitsbevölkerung sichern. Nicht, dass dies nicht wichtig wäre. In Zeiten gewaltiger gesellschaftlicher Herausforderungen, nicht zuletzt einer kriselnden Demokratie an sich, ist die Tatsache, dass lebenslanges Lernen zu einer individuellen Aufgabe und Pflicht im Rahmen der Humankapitalentwicklung verkommen ist, aber ein Unglücksfall und eine verlorene Chance. Dort, wo Weiterbildung technisch geschultes Humankapital produziert, anstatt auch die kritische und persönlich motivierte Teilnahme am öffentlichen Leben zu fördern, bedroht die einseitige Vision und Form lebenslangen Lernens unsere Gesellschaft. Sie verschenkt ein noch ungeahntes Potential: Kreative und unternehmungslustige Bürger*innen lernen und arbeiten an der sich transformierenden Gesellschaft.

Gedacht war lebenslanges Lernen einst als gesellschaftliches Projekt und Bürgerrecht und, in diesem Sinne, als soziale Innovation. Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen und der persönlichen Bedürfnisse vieler Menschen nach sinnvoller Betätigung und gesellschaftlicher Wirksamkeit, wird es Zeit, uns und die Beteiligten an die ursprüngliche Vision lebenslangen Lernens zu erinnern. Beispielhaft erkor die EU, hier aus einem Sonderbericht von 2002, Bildung und Weiterbildung zur «höchsten politischen Priorität» und propagierte lebenslanges Lernen als zentral für die «persönliche Entwicklung aller Bürger» (sic) und die «Partizipation in allen gesellschaftlichen Bereichen, von aktiver Bürgerschaft bis zur Arbeitsmarktintegration» (EU Sonderbericht, 2002).

Wie könnte lebenslanges Lernen sein ursprüngliches Potential (wieder) entfalten und uns als gewünschte und benötigte Entwicklungszeit in der Auseinandersetzung mit Neuem dienen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein zweiter, vertiefter Blick auf die derzeitige Lage. Dabei gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht.

Die gute Nachricht ist, dass im Rahmen der weltweiten «Ziele für nachhaltige Entwicklung» (die sog. SDGs) die Themen Bildung und lebenslanges Lernen gefördert werden sollen. Hierbei soll auch explizit «Bildung für nachhaltige Entwicklung» in den Mittelpunkt rücken (SDG 4.7). In der Praxis des lebenslangen Lernens erleben wir in der Schweiz hierzu allerdings bisher wenig. Dies liegt daran, dass die eben genannte Förderung von Bildung für nachhaltige Entwicklung sich in der Schweiz vor allem auf schulische und, wenn überhaupt, berufliche Ausbildung konzentriert.

Lebenslanges Lernen als eine neue, transformative Art und Weise Weiterbildung für erwachsene Menschen zu denken, zu arrangieren und zu tun.

Nicht nur in der Schweiz liegt die noch grössere Hürde allerdings darin, dass die drei grundlegenden Dimensionen lebenslangen Lernens immer noch getrennt behandelt werden. Entweder geht es um private Hobbys (Mal-, Theater- oder Gartenkurse) und persönliche Entwicklung, oder um berufliche Weiterbildung oder um einen gesellschaftlichen Beitrag und Teilhabe. Letzteres wird dabei in unserer Gesellschaft meist im Ehrenamt verortet und sowieso selten als relevante Weiterbildungsmöglichkeit (an)erkannt. In dieser Trennung der drei Dimensionen erhält das vordergründig dringendste Bedürfnis für die politischen Entscheidungsträger und industriellen Nutzniesser, nämlich die berufliche Qualifizierung, die höchste Aufmerksamkeit und damit die meisten Ressourcen.

Lebenslanges Lernen als soziale Innovation würde die persönliche, berufliche und gesellschaftliche Funktion neu zusammen denken und tun. Es geht dann um die Entstehung und Verbreitung - unter Einbezug der Beteiligten - von lebenslangem Lernen als einer neuen, transformativen Art und Weise Weiterbildung für erwachsene Menschen zu denken, zu arrangieren und zu tun. Zusammengenommen sollen so die persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen (Weiter)bildungsbedürfnisse besser als bisher adressiert werden.

Damit lebenslanges Lernen eine tatsächliche soziale Innovation werden, und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel leisten kann, müssen die meist separat verstandenen Dimensionen zusammen und in ihren wechselseitigen Beziehungen gedacht werden. Wie verhält sich lebenslanges Lernen zu einer lebendigen Demokratie? Wie hängen persönliche Entwicklung und gesellschaftlicher Wandel miteinander zusammen? Wie könnte «Upskilling» dem gesellschaftlichen Engagement dienlich sein? Wie wichtig ist die persönliche Dimension für die professionellen Herausforderungen der Zukunft? Was wären beispielhafte Weiterbildungsformate, die gleichzeitig dem persönlichen Wohl, der Arbeitsmarktfähigkeit und der Gesellschaft dienen würden?

Wir bei Stride, der unSchule für Unternehmungslust, arbeiten seit drei Jahren an einem solchen Format, dem «unDiplom für Kollaborative Führung und Soziale Innovation». Die bisherigen Teilnehmer*innen sind ein lebendiger Beweis, dass ein integral gedachtes Format des lebenslangen Lernens die persönliche Sinnhaftigkeit, die berufliche Relevanz und den gesellschaftliche Mehrwert nicht gegenseitig ausspielt, sondern als verwobenes Miteinander fruchtbar macht. So entsteht ein Freiraum, um unternehmungslustig mit den eigenen Talenten und neu Gelerntem einen echten Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation zu leisten, wie z.B. bei dem im Rahmen des unDiplom entstandenen Foodwaste Start-Ups ZüriChips.

Ein Fazit für uns: Lebenslanges Lernen muss als Agora verstanden werden: als intermediärer, öffentlich-privater Raum, in dem persönliche Anliegen in die Sprache öffentlicher Angelegenheiten übersetzt werden und soziale Innovationen für persönlich relevant erlebte Probleme getestet, verhandelt und entwickelt werden. Dann wird lebenslanges Lernen selber zur sozialen Innovation.

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