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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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5. April 2020 um 09:56

«Unser Einkommen ist zurzeit gleich Null»

Kulturschaffende sind direkt von der Corona-Krise betroffen – wir haben mit vier Personen aus der Branche gesprochen. In Teil 2 unserer Interview-Serie erzählen uns Grafikerin Sara Arzu Hardegger und Booking Agent Kilian Mutter, wie und ob sie mit der aktuellen Lage klarkommen und wie es um die Zukunft ihrer Unternehmen steht.

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Kilian Mutter

Kilian Mutter ist vor einem Jahr bei der Konzertagentur Just Because ausgestiegen und hat sich mit zwei Geschäftspartnern mit der Orange Peel Agency selbstständig gemacht. Die meisten Schweizer Künstler*innen mit denen er damals zusammengearbeitet hat – etwa Crimer, Sensu und Pablo Nouvelle – sind ihm damals gefolgt. Uns erzählt er, wie er nun mit dem Stillstand des kulturellen Lebens klarkommt.

Rahel Bains: Das erste Jahr einer frisch gegründeten Firma ist nicht immer einfach. Konntet ihr von euren Einnahmen leben?

Kilian Mutter: Die Resonanz auf unsere neue Firma war durchwegs positiv. Nicht nur Veranstalter und Bands, sondern auch Agenturen haben es begrüsst, dass wir diesen Schritt zur Selbstständigkeit gewagt und so dazu beigetragen haben, dass es nebst all den grossen Agenturen ein kleines, organisch gewachsenes Unternehmen mehr gibt.

Finanziell hatten wir ein sehr gutes Jahr. Aber man bedenke: Wir haben die Fixkosten stets niedrig gehalten, sind ohne Büroräumlichkeiten und ohne weitere Angestellten gestartet und haben keine riesigen Löhne ausbezahlt. Dafür ist es umso schöner, bei den jeweiligen Projekten viel näher, unabhängiger und gezielter arbeiten und eine enge Beziehung zu den Künstler*innen pflegen zu können.

Und plötzlich steht das kulturelle Leben still. Wie hat euch die Corona-Krise getroffen: Schlag auf Schlag oder schleichend?

Am Anfang der Krise merkten wir: Die Unsicherheit wächst, Veranstaltungen werden nach und nach abgesagt. Unsere Agentur war nicht von Beginn weg betroffen, da unsere Künstler nur für Shows mit unter 1000 Personen gebucht waren. Doch dann kam der 12. März: Konzerte, die noch am gleichen Abend geplant waren, wurden abgesagt, die Bands waren teils bereits vor Ort. Wir realisierten, dass der März und April – rund 80 Konzerte – komplett wegfallen.

Diese Zeit wäre für unsere Künstler*innen, von denen viele auf Tour waren, der Höhepunkt des Jahres gewesen. Mittlerweile wurden auch Konzerte für die Monate Mai und Juni abgesagt. Während grosse, internationale Festivals derzeit noch zuwarten, konnten die kleinen aus der Schweiz, bei denen die meisten Mitarbeiter*innen ehrenamtlich mitwirken, das Risiko nicht eingehen.

Wir müssen damit leben können, dass man im alternativen Musik- und Kulturbereich nicht viel Geld verdient.

Booking-Agent Kilian Mutter

Wie ist die Stimmung in der Branche?

Die Clubs und Agenturen fangen seit Kurzem an, wieder ein bisschen nach vorn zu schauen. Wir zum Beispiel haben versucht, Clubshows in den Herbst zu schieben und zu kommunizieren, dass die gekauften Tickets ihre Gültigkeit behalten. Auch sammeln wir Ideen für das kommende Jahr. Unser Einkommen ist zurzeit aber gleich Null. Wir haben, seit die Bedingungen gelockert wurden und auch Geschäftsinhaber Kurzarbeit anmelden können, genau das getan und warten jetzt ab. Die Künstler haben ihre Ausfälle über Sonart und andere Musikerverbände eingetragen – um dem Bund zu zeigen, wie viel Geld verloren geht.

Wart ihr auch schon in der Versuchung, nun alles hinzuschmeissen?

Ich und meine Geschäftspartner haben alle die gleiche Einstellung: Wir müssen Freude am Job haben und damit leben können, dass man im alternativen Musik- und Kulturbereich nicht viel Geld verdient. Wir wollen auf keinen Fall aus Prinzip an der Branche sprich an einem «coolen Job» hängen und gleichzeitig aber immer jammern und frustriert sein. Klar gab es seit der Krise schon Momente, in denen wir gedacht haben: «Fuck, was machen wir jetzt.» Aber dann ging es immer schnell wieder darum, wie wir weitermachen und uns in Zukunft vielleicht besser absichern können.

Du bist berufsbedingt viel unterwegs. Geniesst du derzeitige zwangsverordnete Ruhephase auch ein bisschen?

Vor der Krise fanden zum Beispiel an einem Abend oft drei Konzerte gleichzeitig statt und ich konnte mich nicht entscheiden, an welches ich gehen soll. Ich schätze es im Moment sehr, am Anfang der Woche nicht schon planen zu müssen, wann ich wo sein muss, ob ich genügend Schlaf bekomme usw. Abgesehen von den negativen Auswirkungen auf das Business ist es für mich derzeit nicht das Dümmste, jetzt einfach mal zu entschleunigen.

Kilian Mutter
Kilian Mutter (*1989 in Luzern) leitet gemeinsam mit Adrian Erni und Mike Walker die Schweizer Künstler*innen-Agentur Orange Peel Agency und ist Mitbegründer des Musikblogs und Kollektivs Orange Peel. Nebenbei ist er als DJ unterwegs und kuratiert verschiedene Playlists. Von 2011 bis 2015 war er Musikredaktor des Luzerner Jugend- und Kulturradios 3FACH. Zusätzlich studiert er Kulturwissenschaften an der Universität Luzern und lebt heute in Zürich.
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Sarah Arzu Hardegger und Vanja Ivana Jelić

Die beiden Grafikerinnen Sara Arzu Hardegger (30) und Vanja Ivana Jelić (31) haben sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht und ihr eigenes Grafikbüro Sava gegründet. Beide waren zuvor fest angestellt – und haben dabei nicht wirklich viel verdient. «Da haben wir gedacht: Das Risiko können wir auch selber tragen», so die zwei Frauen.

Die Liste der Projekte, die sie seither umgesetzt haben, ist lang: Hauptsächlich arbeiteten die beiden für NGO’s und kulturelle Institutionen. 2018 waren sie etwa für das Ausstellungskonzept der Ausstellung «Reclaim the Radio» des Zürcher Radiosenders Lora in der Shedhalle verantwortlich. Sie haben aber auch Filmplakate für verschiedene Regisseure gestaltet und mit Verlagen und Künstlern wie zum Beispiel Ella Ziegler und Kristina Jurotschkin Buchprojekte umgesetzt. Wie sich das Blatt für die beiden seit der Corona-Krise gewendet hat, erzählt Sara Arzu Hardegger im Interview.

Rahel Bains: Ihr habt bei unzähligen Projekten mitgewirkt. Hat sich die Selbstständigkeit bislang auch finanziell ausbezahlt?

Sara Arzu Hardegger: Wir finden es wichtig, dass man transparent informiert, denn das tun nicht alle in unserer Branche. Fakt ist: Wir haben uns bislang nur knapp über Wasser halten können. Da wir beide noch keine Kinder sprich keine anderweitigen finanzielle Pflichten haben, ging es für uns bis anhin auf. Wir leben auf sehr kleinem Fuss, haben zum Glück ein günstiges Atelier und wohnen in WG’s. Wir haben aber kein Sicherheitsnetz sprich keine Pensionskasse und keine 3. Säule.

Künftige Aufträge sind komplett abgesagt oder auf Eis gelegt worden.

Grafikerin Sara Arzu Hardegger

Wie schnell hat euch die Corona-Krise getroffen?

Wir schliessen derzeit noch Aufträge ab, die wir schon vor der Krise begonnen haben. Künftige Aufträge sind aber komplett abgesagt oder auf Eis gelegt worden. Auch, weil Veranstaltungen gestrichen worden sind. Konkret heisst das für uns, dass dafür auch der Lohn ausfällt. Für uns wird die Krise längerfristige Konsequenzen haben: Kulturelle Institutionen, unsere Auftraggeber*innen, werden vieles aufholen müssen und bis sie das getan haben, müssen wir mit einer Lücke rechnen.

Der Bundesrat hat am 20. März ein vom Bundesamt für Kultur und Pro Helvetia mitentwickeltes Hilfspaket von 280 Millionen Franken für den Kultursektor verabschiedet mit dem Zweck, die wirtschaftlichen Folgen der gegen die Verbreitung von Covid-19 ergriffenen Massnahmen für Kulturschaffende abzufedern. Welche Gelder habt ihr nun beansprucht?

Wir haben viel herumtelefoniert. Etwa beim AWA (Amt für Wirtschaft und Arbeit), der SVA (Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich) und dem Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft). Dabei hat sich herausgestellt, dass wir durch jegliche Raster fallen, es gibt im Moment nicht wirklich eine Lösung. Bei der SVA ist es zum Beispiel schwierig, weil wir keine Veranstaltungen haben, die von uns selbst abgesagt worden sind. Wir können uns in diesen Fällen zum Beispiel nur als Mitträgerinnen angeben, weil wir zum Beispiel die Fyler dazu gestaltet haben. Und da wir den Betrieb – zum Glück – nicht ganz schliessen mussten, können wir auch keinen Totalausfall geltend machen.

Uns wurde aber von offizieller Seite gesagt, dass Grafiker*innen derzeit auf einer Liste stehen, für die Lösungen gesucht werden, weil unsere Berufsgattung wie gesagt langfristig von der Krise betroffen sein wird. Derzeit klären wir Kurzarbeit für Selbstständige ab, doch die Infos sind nicht so klar. Keine der Stellen weiss, wohin sie uns weiterleiten sollen.

Die Kultur wird hinterherhinken, bis die Wirtschaft wieder angekurbelt ist.

Grafikerin Sara Arzu Hardegger

Wie soll es nun weitergehen?

Wir haben uns noch keinen richtigen Plan zurechtlegen können, weil es schwierig abzuschätzen ist, wie sich die Situation entwickeln wird. Wir versuchen, unser Umfeld auf unsere Situation aufmerksam zu machen und vertrauen darauf, dass alle Ohren und Augen offen halten und wir weiterempfohlen werden. Wir werden allenfalls auch für eine gewisse Zeit vermehrt ausführende Jobs als Freelancerinnen annehmen.

Wenn wir nicht mehr weiter wissen, würden wir eine Teilzeitanstellung bei einem Grafikbüro suchen. Aber: Auch diese sind betroffen wie auch Werbeagenturen. Während zum Beispiel die Gastrobranche nach dem Lockdown ab Tag 1 wieder voll in Betrieb gehen kann, wird die Kultur hinterherhinken, bis die Wirtschaft wieder angekurbelt ist. Künftig möchte ich mich deshalb umso mehr für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzen.

Wie kommst du privat mit dem Lockdown klar?

Ich wohne zu Acht in einer grossen WG. Ab und zu gibt es zwar Stimmungsschwankungen, doch wir organisieren uns gut und führen regelmässig offene Gespräche um zu spüren, wie es allen geht. Privat treffe ich nur ausgewählte Menschen aus meinem Umfeld und das aus Distanz. Da wir in unserem Grossraumatelier an der Badenerstrasse beschlossen haben, dass alle von Zuhause aus arbeiten, habe ich mir in meinem Zimmer ein Pult eingerichtet. Dort verbringe ich viel Zeit, gehe aber auch regelmässig an die frische Luft.

Sara Arzu Hardegger
Sara Arzu Hardegger arbeitet als selbständige visuelle Gestalterin in Zürich. Durch Kollaborationen mit Künstler*innen aus dem In- und Ausland entwickelt sie unter anderem Buchprojekte. Aktuell ist sie in der Projektleitung für die Jubiläumspublikation der Roten Fabrik Zürich und ist im Rahmen des Projekts für die Bildredaktion und Recherche zuständig. Ihr Engagement und Interesse wendet sich zudem an verschiedene NGO’s, mit dene Sie zusammen arbeitet.

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