Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: Fatima Moumouni - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

emailwebsite

25. März 2022 um 11:25

Künstler:innen nach 2 Jahren Corona: «Es ist eine fucking weltweite Pandemie, ich darf zugeben, dass auch ich darunter leide»

Seit dem ersten Lockdown sind zwei Jahre vergangen. Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute? Wir haben einige von ihnen auf ihrem Sofa besucht und nachgefragt. Themen, die Spoken Word Poetin Fatima Moumouni die letzten zwei Jahren beschäftigt haben: Der sehr weisse Kunstbetrieb, der Umgang mit BLM, die Kommerzialisierung von Protest, die Angst, vereinnahmt zu werden und das Bedürfnis eigene Kunst zu machen.

Fatima Moumouni war während des Lockdowns oft auf den Sitzbänken Oerlikons anzutreffen. Foto: Elio Donauer

Fatima Moumouni (30) ist seit mehr als zehn Jahren Spoken Word Poetin, Moderatorin und Kolumnistin, schreibt Prosa, Lyrik, Rap und «hauptsächlich was dazwischen». Sie wohnt und arbeitet in ihrer Wohnung in Oerlikon, von wo aus sie die Skyline des Zürcher Ostens geniesst. «Hier hat es tatsächlich es paar Hochhäuser – ungewöhnlich für den Blick aus einem Schweizer Fenster», findet sie. Die letzten zwei Jahre waren auch für sie herausfordernd: «Dieses Abwarten ohne Sicherheit, wann das aufhört, das Dreifachplanen und dann doch absagen müssen, die vielen Leute im Umfeld, denen es nicht gut ging, für die es kein Rezept gab, weil Altbewährtes aufgrund der Massnahmen gar nicht möglich war.»

Tsüri.ch: Welches Werk beschreibt die letzten zwei Pandemie-Jahre für dich am besten?

Fatima Moumouni: Ich habe im letzten Jahr ein Spoken Word Video für die Fondation Beyeler gemacht, das mich sehr beschäftigt hat. Ich glaube, einerseits, weil es ein Produkt ist, das nicht schreit: «Ich wäre viel cooler, wenn ich nicht unter Covid-Bedingungen hätte hergestellt werden müssen!», die Covid-Massnahmen waren in diesem Fall mehr Chance als Einschränkung – und andererseits, weil ich viele Themen verarbeitet habe, die mich in den letzten zwei Jahren beschäftigt haben: der sehr weisse Kunstbetrieb, der Umgang mit BLM, die Kommerzialisierung von Protest, die Angst, vereinnahmt zu werden und das Bedürfnis eigene Kunst zu machen und zu behaupten.

Wie haben dich die vergangenen zwei Jahre als Künstlerin beeinflusst?

Ich habe unglaublich viel gearbeitet und gelernt, dass ich mehr chillen muss.

Die Kulturbranche hat sehr unter den Corona-Massnahmen gelitten – was waren deine schwierigsten Momente?

Ich hatte so viel Glück, dass ich ständig ein schlechtes Gewissen hatte – bis ich gemerkt habe: Es ist eine fucking weltweite Pandemie, natürlich bin auch ich davon betroffen und darf zugeben, dass auch ich darunter leide. Für mich ist die psychische Dimension am schwierigsten. Dieses Abwarten ohne Sicherheit, wann das aufhört, das Dreifachplanen und dann doch absagen müssen, die vielen Leute im Umfeld, denen es nicht gut ging, für die es kein Rezept gab, weil Altbewährtes aufgrund der Massnahmen gar nicht möglich war. Was machst du, wenn du nicht einfach vorbeischauen und umarmen kannst, wenn Videotelefonie halt irgendwann unbefriedigend ist und ein Engpass bei freien Therapieplätzen und in den Psychiatrien herrscht. 

Gleichzeitig habe ich gemerkt, wie prekär mein Aufenthaltsstatus (B) ist. In meiner Konstellation aus Aufenthaltsstatus und Beschäftigungsverhältnis hatte ich keinen normalen Anspruch auf Erwerbsersatzentschädigungen und ausserdem hatte ich Ende letzten Jahres allen Ernstes eine Drohung im Briefkasten, dass meine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert werden würde.

«Hamstern würde ich gute, enge, schwitzige Abende mit vielen Leuten, ohne ständig über Aerosole nachdenken zu müssen.»

Fatima Moumouni

Hattest du mal den Gedanken, dein Künstlerinnen-Leben aufzugeben – wenn nein, wieso nicht? Wenn ja, wieso?

Ich habe sehr lange gebraucht, um mich selbst als Künstlerin wahrzunehmen, obwohl ich inzwischen seit zehn Jahren auf der Bühne stehe und sehr viel Zeit in meine Kreativität gesteckt habe. Das gebe ich nicht mehr so schnell her. Trotzdem frage ich mich natürlich immer wieder panisch, ob es angesichts einer Pandemie, des Klimawandels und des weltweiten Krieges nicht sinnvoller wäre, auf ein anderes Standbein umzusatteln. 

Was war gut in den letzten zwei Jahren? Woran hast du dich gewöhnt, was willst du beibehalten?

«Wenn du krank bist, bleib zu Hause!», und: «This could have been an email/video call!»

Die unsicheren Zeiten halten an, wenn auch nicht mehr nur pandemiebedingt. Wie willst du die kommenden Monate angehen? Auf welches Projekt von dir können wir uns freuen?

Laurin Buser und ich haben in den letzten zwei Jahren viel und eng zusammengearbeitet. Daraus ist unser Theaterstück BULLESTRESS entstanden, das im April nochmals im Schauspielhaus aufgeführt wird. Ausserdem kommt sehr bald Musik von uns raus und Ende Jahr unser zweites Abendprogramm auf die Bühne. Und dann bin ich noch an DIASBOAH dran, ein Projekt das zusammen mit Uğur Gültekin, Mona Lisa Kole und Carlos Hanimann entstanden ist: Ein Podcast, Insta-Content und eine Live Late Night Show mit Migrationsvorsprung, die am 20. Mai endlich in der roten Fabrik stattfinden wird, nachdem wir letztes Jahr wegen den Massnahmen verschieben mussten. 

Angenommen, Corona würde erst heute ausbrechen: Welches Produkt würdest du –  mit der Erfahrung aus den letzten zwei Jahren Pandemie – hamstern?

Gute, enge, schwitzige Abende mit vielen Leuten, ohne ständig über Aerosole nachdenken zu müssen.

Am 1. April findet in der Gessnerallee Fatima Moumounis Gesprächsreihe «Die Neue Unsicherheit. Disco Edition» statt, wo sie mit der Schauspielerin und Rom*nja Aktivistin Joschla Weiss spricht.

 

Serie «So geht es Künstler:innen nach 2 Jahren Corona»

Am 16. März 2020 wurde in der Schweiz der erste Corona-Shutdown angeordnet, während dem das öffentliche Leben vom Bundesrat weitgehend zum Erliegen gebracht wurde: Leere Strassen, Plätze und Cafés boten ein ungewohntes Bild. Dass die Pandemie bis heute andauern wird, hätte damals wohl keine:r erwartet. Besonders die Kunst- und Kulturbranche wurde von den immer wieder neu definierten Corona-Massnahmen hart getroffen. Wir wollten deshalb wissen: Wie geht es den Zürcher Kunst- und Kulturschaffenden heute? 

1. Schriftstellerin und Kolumnistin Julia Weber: «Aus der Ruhe entstand eine Sprache»

2. Musikerin und Frontfrau von Black Sea Dahu Janine Cathrein: «Als wäre ich konstant auf Abruf»

3. Malerduo Boskovic-Scarth: «Es lief bei uns so gut wie noch nie»

4. Autorin und Filmemacherin Lara Stoll: «Lähmung hilft niemandem»

5. Dancehall- und Reggae-Musiker Cali P: «Ich verbringe gern Zeit alleine; dann entstehen oft neue Ideen»

6. Synth-Pop-Duo Bikini Showers: «Der Live-Moment kann durch nichts ersetzt werden»

7. Illustrator Nando von Arb: «Die Inspiration war am Tiefpunkt, aber die Produktivität hoch»

8. R&B-Sängerin Naomi Lareine: «Hatte Angst um meine Existenz»

9. Rapper Luuk: «Ich hatte alle paar Tage einen Meltdown»

Das könnte dich auch interessieren