Kolumne: Der Kampf gegen Rassismus hat viele Gesichter - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Mandy Abou Shoak

Kolumnistin

18. Dezember 2022 um 08:18

«Wir haben uns dazu entschieden, die Stille zu brechen»

Ein Stempel gegen diskriminierende Inhalte in Schulbüchern, eine postmigrantische Late Night Show oder Politabende im eigenen Zuhause: Zum Jahresende blickt unsere Kolumnistin Mandy Abou Shoak darauf zurück, wie vielfältig der Kampf gegen Rassismus in den vergangenen Monaten war.

Illustration: Zana Selimi

Um die antirassistische Community war es in den letzten Monaten etwas still. Wir haben geschwiegen zu Themen wie «Cultural Appropriation» oder dem Neonazi-Angriff auf die Drag Story Time im Tanzhaus. Aber wir sind zurück. Wir haben uns dazu entschieden, die Stille zu brechen. Unser antirassistisches Engagement ist gross, vielfältig und vielschichtig.

Zum Beispiel: Habt ihr das Interview schon gelesen, dass Tsüri.ch mit Yuvviki Dioh (Diversitätsbeauftragte am Schauspielhaus) und Danielle Isler (Critical Race Theoretikerin) geführt hat? Oder jene mit Brandy Butler, in denen sie erklärt, weshalb der Neonazi-Angriff auf die Drag Story Time im Grunde ein Angriff auf die ganze Gesellschaft war? Wenn nicht, lest hier und hier. Im November haben Mani Owzar, Tilo Bur und Rahel El-Maawi gemeinsam das Buch «no to racism» veröffentlicht, das erste schweizerische Praxisbuch zum Thema «Rassismus in der Schule». Die Vernissage war ein historischer Moment für die ganze Community, denn mit diesem Buch hat sich was verändert. Die Community wächst nun nicht mehr um einzelne Personen herum, sondern potenziert sich.

Das Thema bewegt mich übrigens auch persönlich, habe ich doch bis vor einem Jahr noch als Sozialpädagogin an einer Oberstufenschule gearbeitet. Dabei fiel auch mir auf, dass die Lehrmittel in viel zu vielen Fächern diskriminierende Inhalte aufweisen. In beinahe allen Büchern halten sich zum Beispiel hartnäckige Geschlechterstereotype. Geschichtsbücher waren voll mit rassifizierenden Bildern und Texten über die «vermeintlich Anderen». In den Deutschlehrmitteln gab es praktisch keine vielfältige Repräsentation von Lebensrealitäten.

Ich war darüber so irritiert, dass ich mich dazu entschieden habe, mein Masterstudium dafür zu nutzen, um zu beweisen, dass es an und in Schweizer Schulen Rassismus gibt. Und während ich das schreibe, kommt mir ein Zitat von Toni Morrison in den Sinn. Sie schreibt: «The very serious function of racism is distraction. It keeps you from doing your work. It keeps you explaining over and over again». Kürzlich erschien übrigens eine Studie der Universität Neuenburg zu strukturellem Rassismus in der Schweiz. Sagen wir es mal so: Neben den Lebensbereichen Arbeit, Politik und Gesundheit kommt auch dort die Bildung nicht wirklich gut weg.

Diskriminierende Inhalte abstempeln

Schon vor vier Jahren fragte ich mich, wie es wäre, wenn man solche Inhalte in Lehrmitteln als das abstempeln könnte, was sie sind: Diskriminierend. Ich dachte mir, dass es grossartig wäre, wenn es tatsächlich einen Stempel gäbe, um all die problematischen Stellen zu kennzeichnen. Der Stempel müsste einerseits nachhaltig sein, andererseits müssten in der ganzen Wertschöpfungskette der Produktion nur Menschen daran verdienen, die von einer Diskriminierungsform betroffen sind. Soziales Unternehmer:innentum halt. Der Name des Projekts war ziemlich schnell klar «Abgstempflet».

Die Tage, die Monate, die Jahre vergingen. Ich habe gedacht, geträumt, geredet, geträumt, geredet, geredet, nochmals geredet, gedacht. Mit den richtigen Menschen gedacht und dann –  drei Jahre später, im Jahr 2021: Im Kontext des Jubiläums zum 50-jährigen Frauenstimmrechts erhielt ich endlich die notwendige Grundfinanzierung, um die Entwicklung voranzutreiben. Nach der Finanzierung dauerte es nochmals ein Jahr. Prototyp 1, Prototyp 2, Prototyp 3 und 4. Vor kurzem konnten wir endlich die ersten Stempel produzieren. Auf diesen steht die Einladung:  Abstempeln, fotografieren und schicken. Die so gesammelten Fotos werden nun als Diskussionsgrundlage zur Verfügung gestellt. 

Es ist noch viel mehr passiert

Selten durfte ich so lachen wie bei der postmigrantischen Late Night Show von Fatima Moumouni und Uğur Gültekin, die vor wenigen Tagen stattgefunden hat. Es war eine regelrechte Zelebration postmigrantischer Lebensrealität. Kürzlich sagte Ugur in einem Interview mit dem Onlinemagazin das Lamm: «Ziel ist, dass das Publikum die Show verlässt und Bock hat, weiter zu kämpfen». Ein weiterer Höhepunkt waren auch die Politabende mit Sarah Akanji und Tamara Funiciello bei mir zu Hause.  Zwei Abende mit spannenden Diskussionen, gutem Essen und Wein. Für mich haben solche Anlässe eine besonders wichtige Funktion. Weil ich mich dort immer wieder vergewissern kann, dass ich nicht alleine bin, dass gewisse Erfahrungen, die ich mache, kollektive Erfahrungen sind von Frauen und nicht eine individuelle von mir selbst.

In den letzten Wochen sind so viele weitere wundervolle Dinge passiert: Yuvviki Dioh wurde zur Tsürcherin des Jahres gekürt und das Netzwerk RAKSA (Rassismuskritische Soziale Arbeit), das aus der Dringlichkeit heraus entstand, Rassismus in der Sozialen Arbeit zu benennen, hat zum Austausch unter BIPOC Sozialarbeiter:innen eingeladen, nachdem sie in diesem Jahr ihre Appelle zu einer rassismuskritischen Hochschule veröffentlichten. 

«Ja, wir sind viele und es gibt seit einiger Zeit einiges, das wir zu sagen haben.»

Mandy Abou Shoak

Apropos kollektive Erfahrungen: Am Sonntag vor der Schliessung des Kosmos war ich auf einem Podium, welches das Black Film Festival im Rahmen des Human Rights Film Festivals organisiert hat. Das Podium fand begleitend zum Screening des sehr intimen Film «Je suis noires» von Rachel M`Bon über Schwarze Frauen in der Schweiz statt. 

Und weil es so kurz vor Weihnachten ist und ich immer nach Geschenkideen suche, freute ich mich vor einigen Tagen wie ein kleines Kind, als ich sah, dass das antirassistische Kollektiv «Vo da» neue T-Shirts und Taschen in ihrem Shop führt. Übrigens ist es das Kollektiv «Vo da», das die Debatte rund um die rassistischen Häusernamen im Zürcher Niederdorf massgeblich vorantreibt. Deshalb:  «Support your local Community Workers».

Ja, wir sind viele und es gibt seit einiger Zeit einiges, das wir zu sagen haben. Was für ein Jahresabschluss.

Mandy Abou Shoak

Menschen beschreiben sie als erfrischend unbequem. Unsere neue Kolumnistin Mandy Abou Shoak ist in Khartum im Sudan geboren, mit ihrer Familie in die Schweiz geflüchtet und im Zürcher Oberland aufgewachsen. Schon früh beschäftigte sie sich mit Ungerechtigkeiten. Einer der erweckensten Momente war jener, in dem sie realisierte, dass marginalisierte Menschen, wie sie selbst, im Kontext von Diskriminierungs- sowie Gewalterfahrungen meist verstummen. Sie verstand, dass das Heraustreten aus der Scham, das Teilen von Erfahrungen, fundamental ist, um in ein Verständnis darüber zu kommen, dass gewisse Erfahrungen kollektiv und damit strukturell sind. Diese Erkenntnis durchzog ihr Leben.

Mandy hat Soziokultur im Bachelor und Menschenrechte im Master studiert. Hauptberuflich arbeitet sie heute bei Brava als Expertin für Gewaltprävention und gibt Weiterbildungen im Bereich geschlechtsspezifischer Gewalt. Als Selbstständige berät sie Organisationen zu Themen rund um Diskriminierung und rassismussensiblen Strukturen. Auch in den zwei Podcasts «Wort.Macht.Widerstand» und «Reden wir! 20 Stimmen zu Rassismus» spricht sie über genau diese Thematiken. Sie ist zudem im Schwarz Feministischen Netzwerk Bla*sh, im Berufsverband der Sozialen Arbeit AvenirSocial und in der SP engagiert. 

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