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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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2. Februar 2022 um 13:50

Aktualisiert 02.02.2022

Klimawandel bleibt an Zürcher Schulen ein Nischenthema

Eine kürzlich veröffentlichte Studie legt nahe, dass das Verständnis des Klimawandels unter Schweizer Schüler:innen nicht allzu gross ist. Liegt das an einer mangelnden fachlichen Ausbildung des Lehrpersonals, vielleicht sogar an dessen Angst vor politischer Positionierung? Fest steht nur: Im neuen Lehrplan 21 hält das Klima zwar Einzug, bleibt aber ein Nischenthema.

Hanna und Julia Fischer sind beide beim Klimastreik aktiv. Alle Fotos: Steffen Kolberg

«Vier von zehn Schülern in der Schweiz können den Klimawandel nicht erklären», titelte die Sonntagszeitung Anfang Jahr. Im internationalen Vergleich sei das Klimabewusstsein von Schüler:innen hierzulande besonders tief, hiess es. Zitiert wurden die Ergebnisse einer Pisa-Studie aus dem Jahr 2018. Diese fragte unter anderem nach dem Energiesparverhalten von Jugendlichen und nach deren Selbsteinschätzung, den Klimawandel erklären zu können.


Doch seit 2018 ist eine Weile vergangen. Im selben Jahr begann Greta Thunberg ihren Schulstreik fürs Klima, die globale Klimabewegung brachte das Thema in der Folgezeit stärker ins öffentliche Bewusstsein und in die Politik. 2019 tat sich auch im Zürcher Schulsystem etwas: Nach den Primarschulen trat der neue Lehrplan 21 damals auch für die Sekundarschulen in Kraft. Er definiert im Fachbereich Geografie erstmals das Lernziel, sich über den Klimawandel informieren, seine Ursachen und Auswirkungen einschätzen sowie Beiträge zur Begrenzung des Klimawandels formulieren zu können. Ausserdem sieht der Lehrplan 21 vor, dass in der Volksschule die überfachliche Kompetenz «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» vermittelt wird. Sie soll eine Auseinandersetzung «mit der Komplexität der Welt und deren ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen» anregen, was eben auch den Klimawandel umfasst.

Wie steht es also fast vier Jahre nach der Pisa-Erhebung um das Thema Klimawandel im Unterricht? Fragt man bei der Bildungsdirektion des Kantons nach, verweist diese an das Volksschulamt. Das wiederum erklärt schriftlich, der Bildungsauftrag der Volksschule bestehe darin, die Schüler:innen «über die Situation, Entwicklungen, Zeithorizonte und Auswirkungen zu informieren, und sie dafür zu sensibilisieren, welches ihr Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt sein könnte.» Man formuliere keine expliziten Verhaltensmassnahmen, sondern rege dazu an, «über nachhaltige Lebensweisen nachzudenken und das eigene Verhalten zu reflektieren.» Für weitere Auskünfte empfiehlt das Amt Lehrende der Pädagogischen Hochschule PH Zürich, die sich fachlich mit dem Thema befassen.

Hanna Fischer sagt, in ihrer Schulzeit war das Klima kaum Thema.

Verständnisschwierigkeiten wie in der Politik


Eine davon ist die Dozentin für Geografie und Geografiedidaktik Monika Reuschenbach. Sie war Projektleiterin bei der Arbeit am neuen Geografielehrmittel «Weltsicht», das nach den Vorgaben des Lehrplan 21 entstanden ist. «Im Fokus stehen die Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Umwelt», antwortet sie auf die Frage, welche Rolle das Klima darin spielt. Doch sie vermutet auch, dass «aufgrund der Komplexität des Themas Schwierigkeiten im Verständnis der Zusammenhänge und Fakten bestehen.» Das sei übrigens nicht nur in der Schule, sondern auch in der Politik so.

Im Gegensatz zu früheren Geografielehrmitteln werde in «Weltsicht» verdeutlicht, «dass Klimaschutzmassnahmen nicht mehr zu optionalen Handlungen gehören, sondern nötig sind», so Reuschenbach. Dabei erfolge die fachliche Auseinandersetzung mit der globalen Erwärmung aufgrund der Komplexität des Themas erst in der 9. Klasse. Ihre Auswirkungen und die daraus abgeleiteten notwendigen Handlungsoptionen würden aber schon vorher thematisiert.

Der Klimawandel ist kein grosses Thema

Wie es in der Praxis des täglichen Unterrichts aussieht, darüber weiss wohl am besten das Lehrpersonal bescheid. Doch Lehrer:innen zu finden, die sich zum Thema Klimawandel im Unterricht äussern wollen, ist nicht ganz einfach. Warum das so ist? «Man stellt sich ein Stück weit aus», meint Sebastien Disch: «Das gibt einen Einblick in die eigene Arbeitsweise und Einstellung, den man vielleicht nicht so gerne geben möchte.» Sebastien ist der Lehrer, der sich dann doch dazu bereit erklärt, über das Thema zu reden. Er unterrichtet an einer Zürcher Volksschule Primarschulklassen. Nach der Einteilung des Lehrplan 21 ist er also noch nicht für das explizite Behandeln des Klimawandels zuständig, Geografie wird sowieso  erst ab der Sekundarschule als Einzelfach unterrichtet. Was der Lehrplan aber bereits in der Primarschule, im Rahmen der Leitidee «Bildung Nachhaltige Entwicklung», vorsieht, ist die Auseinandersetzung mit seinen Auswirkungen und unseren Handlungsmöglichkeiten.

Sebastien jedoch meint: «Der Klimawandel ist in der Volksschule kein grosses Thema.» Am ehesten sei er im Fach «Natur, Mensch, Gesellschaft» zu verorten, dem modernen Sachunterricht. «Fast alles, was man da anschaut, hat mit uns Menschen zu tun, damit, wie wir miteinander und mit der Welt umgehen. Folglich ist der Klimawandel auch ein Teil davon.» Im aktuellen Lehrmittel «NaTech» werde immer wieder erwähnt, «dass es Folgen für die Welt hat, wie wir uns verhalten.» Damit wird seiner Ansicht nach eine Basis für das Verständnis des Klimawandels geschaffen. Insgesamt habe sich mit dem Lehrplan 21 zwar der Blick auf den Unterricht selbst etwas verändert, der Lehrinhalt aber kaum.

Julia Fischer würde sich eine eigene Unterrichtsstunde zum Klima wünschen.

Das Wissen zum Klima selbst erarbeitet

Und was sagen diejenigen, die dem Klimathema so starken Aufwind gegeben haben, zum Thema Bildung? Die Klimastreik-Bewegung hat auf ihrer Webseite als Teil ihres Klimaaktionsplans detaillierte Forderungen aufgestellt, wie die Klimakrise ihren Vorstellungen nach in den Unterricht einfliessen sollte. Darin ist beispielsweise die Rede davon, eine faktenbasierte Grundlage für öffentliche Diskussionen zu schaffen, «wie wir eine klimaneutrale Welt schaffen können.» Doch auch beim Klimastreik ist es zunächst nicht ganz einfach, Gesprächspartner:innen zum Thema zu finden. Bis sich Hanna Fischer findet. Die Studentin erlangte Bekanntheit als Teil des Klimacamps vor dem Bundeshaus und weil sie sich weigerte, mit Roger Köppel in einer Talkshow zu sitzen.

Hanna hat an besagtem Bildungstext auf der Webseite des Klimastreiks mitgewirkt, «aber eher editorisch», wie sie sagt: «Der Inhalt stammt hauptsächlich von Wissenschaftler:innen.» Sie selbst hat die Matura 2018 abgeschlossen, also im Jahr der Pisa-Erhebung und vor der Einführung des Lehrplan 21. «In meiner Schulzeit war das Klima kaum Thema», erinnert sie sich: «Auch nicht in Geografie. Ich habe alles selbst nachgelesen und mir selbst erarbeitet.» Der Klimastreik habe die Menschen damals sicherlich aufgerüttelt, aber sie habe nicht mitbekommen, dass das Thema seither verstärkt zum Schulstoff wurde. Dazu wisse ihre Schwester aber sicher mehr.

«Es ist wichtig, Schüler:innen zu vermitteln, dass es immer noch Hoffnung gibt, auch wenn das Problem sehr drängend ist.»

Sebastien Disch, Lehrer

Fehlende fachliche Ausbildung oder Angst vor Politik?

Hannas Schwester Julia Fischer ist im letzten Jahr auf das Gymnasium gewechselt, hat also die Volksschule unter dem neuen Lehrplan 21 absolviert. Auch sie ist im Klimastreik aktiv. Der Klimawandel sei immer mal wieder angesprochen worden, erzählt sie, vor allem in Geografie. Aber da sei es vor allem um seine Folgen wie schmelzende Gletscher gegangen, kaum aber darum, was man eigentlich dagegen tun könne. «Da würde ich mir viel mehr wünschen», meint sie. Ausserdem fände sie es wichtig, dem Thema eine eigene Stunde einzuräumen, «was natürlich schwierig ist, weil die Stundenpläne immer sehr voll sind.» Es sei alles «noch sehr lasch», wenn es um den Klimawandel gehe, es sei beispielsweise noch nie die Rede von Tipping Points gewesen: «Ich habe das Gefühl, die Lehrer:innen gehen dem Thema eher aus dem Weg.» Sie hat die Vermutung, dass in der Lehrer:innenausbildung der Klimawandel noch zu wenig im Vordergrund steht.

«Das wäre ja ein spannendes Thema, das man in der Schule diskutieren könnte: Was könnte man machen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, unser Ziel erreichen?»

Hanna Fischer, Studentin und Aktivistin

Ihre Schwester Hanna meint, die Lehrer:innen hätten zu viel Angst, sich politisch zu positionieren, weil sie glaubten das Thema Klimawandel sei Teil einer linken Parteilinie. «Aber es ist wichtig, zu sehen, dass das wissenschaftlich einzuordnen ist», sagt sie: «Man positioniert sich damit nicht politisch.»

Lehrer Sebastien verneint die Angst vor politischer Positionierung. Er findet, man müsse versuchen, den Schüler:innen Lust auf Veränderung zu machen und das Thema Klimawandel nicht pessimistisch und mahnend anzugehen. Es sei wichtig, Schüler:innen zu vermitteln, dass es immer noch Hoffnung gibt, «auch wenn das Problem sehr drängend ist.»

«Es hilft nicht, nur zu sagen, alles ist schlecht. Sondern: Was kann ich dagegen tun?»

Julia Fischer, Schülerin und Aktivistin

Sebastien glaubt, Kinder wollen auch noch ein wenig sorgenfrei sein. Und dazu hätten sie ein Recht, denn sie könnten ja am wenigsten etwas für die Situation, in der wir sind. Hanna dagegen findet, man könne Schüler:innen durchaus etwas zumuten und ihnen erklären, «dass wir nur noch eine kleine Chance haben, unser Ziel zu erreichen.» Es sei sehr wichtig, von der Wahrheit zu reden, «aber es braucht dazu eben einen geeigneten Rahmen, um die Gefühle, die das auslösen kann, einfangen zu können.» Genauso müsse man auch die vorhandenen Lösungsansätze thematisieren: «Das wäre ja ein spannendes Thema, das man in der Schule diskutieren könnte: Was könnte man machen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, unser Ziel erreichen?» Ähnlich formuliert es ihre Schwester Julia: «Es hilft nicht, nur zu sagen, alles ist schlecht. Sondern: Was kann ich dagegen tun?»

Was wäre wünschenswert?

Was sollten Schüler:innen nach ihrer Schulzeit über den Klimawandel wissen? Hanna wünscht sich, dass sie die Fakten zum Klimawandel kennen: «Wo stehen wir, was sind die Szenarien, wann müssen wir auf Netto-Null sein, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?» Aber auch ein Wissen über die Gesellschaft sei wichtig, zum Beispiel wie das politische System funktioniere, wie menschliche Interaktion gelinge und Veränderung passieren könne. Die wichtige Frage sei dabei: «Wie können wir etwas an unserer Lage verändern und die Gesellschaft aktiv mitgestalten?»

Monika Reuschenbach von der PH Zürich listet auf die Frage, welches Verständnis und welche Fähigkeiten bezüglich des Klimawandels Schüler:innen nach der Volksschule haben sollten, eine Reihe von Kompetenzen auf. Diese reichen von der Kenntnis über den natürlichen und anthropogenen Treibhauseffekt und die Klimaentwicklung in der Vergangenheit über die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bis hin zu Lösungsansätzen in den Bereichen Energie, Wohnen, Verkehr, Biodiversität, Landwirtschaft und Konsum. Auch ein Verständnis der eigenen Handlungswirksamkeit wäre für sie wünschenswert, ausgedrückt in der Frage: «Was kann ich dazu beitragen und warum ist das sinnvoll und wichtig?»

Sebastien fasst seine Antwort allgemeiner. Er wünscht sich, dass die Schüler:innen lernen, achtsam mit ihrer Umwelt umzugehen und ihre Hinterlassenschaften immer wieder mitzunehmen. Ausserdem sollten sie den Bezug zu sich selbst nicht verlieren und nur Dinge tun, die sie selbst vertreten könnten. Und nicht, weil sie denken, die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen.

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