Zürich vs. Bern: Wer in Sachen Klimaschutz das Rennen macht – Runde 1/3 - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Isabel Brun

Redaktorin

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6. Juli 2022 um 04:00

Wer hat die besseren Klimaziele? Bern und Zürich im Duell – Runde 1/3

Zürich und Bern haben im vergangenen Jahr ihre Klimaziele stark überarbeitet; beide Städte verfolgen eine Politik, die weniger Emissionen und mehr Klimaschutz will. Doch welche Massnahmen sind ausgereifter? Expert:innen schätzen ein.

In der ersten Runde werden die Verkehrspolitik sowie die geplanten Absenkpfade beleuchtet. (Foto: Simon Boschi)


Die Klimakrise ist in der Schweiz angekommen: Klimareglement hier, Netto-Null dort. Immer mehr Städte werden klimapolitisch aktiv, passen ihre Strategien an, definieren Massnahmen gegen die fortschreitende Klimaerwärmung. Auch Bern und Zürich ziehen die Schrauben im Kampf gegen die CO2-Emissionen an: Während in der Bundeshauptstadt im September das neue Klimareglement in Kraft tritt, hat sich die Stimmbevölkerung der grössten Schweizer Stadt im Mai dieses Jahres für Netto-Null bis 2040 entschieden. Zürich soll also bis in 18 Jahren nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstossen, als ihr wieder entzogen werden können.

Beide Städte bauen mit ihren neuen Klimazielen auf vergangenen Bestrebungen auf. Doch wer von beiden macht den besseren Job? In einer dreiteiligen Serie haben die Hauptstadt und Tsüri.ch die wichtigsten Klimaschutzmassnahmen von Bern und Zürich zusammengetragen und von Expert:innen einschätzen lassen. Auf Basis dieser Einschätzungen werden die Punkte für das Duell vergeben.

Tschüss Auto, hallo Velo – freie Fahrt für CO2-arme Verkehrsmittel

Bern

Die Stadt will den Veloanteil am Verkehr bis 2030 auf 20 Prozent erhöhen, also nahezu verdoppeln im Vergleich zu 2015. Der öffentliche Verkehr wird je nach Nachfrage ausgebaut – bis 2030 soll sein Anteil bei 32 Prozent liegen (2015: 28 Prozent). ÖV und Velos werden gegenüber den Autos Priorität eingeräumt – etwa durch eine Bevorzugung bei Ampeln oder Radwegen. Und bei Neubauten gilt die Vorgabe von maximal 0,2 Parkplätzen pro Wohnung bei ausreichender Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr. Die Zahl der öffentlichen Parkplätze soll um die Hälfte (8'500) reduziert werden.

Bis 2040 sollen alle Buslinien von Bernmobil auf CO2-freie Antriebe umgestellt sein. All diese Massnahmen stehen in der Energie- und Klimastrategie der Stadt Bern. Ausserdem hat die Stadt seit zwei Jahren ein Logistikkonzept, das unter anderem vorsieht, die Schadstoffemissionen von Strassentransporten zu reduzieren. Die Luft- und Aufenthaltsqualität in der Stadt soll verbessert werden, indem die Lieferfahrten zunehmend mit Cargo-Bikes und Elektrofahrzeugen erfolgen. Das Klimareglement schreibt einen Absenkpfad für den Sektor Mobilität vor: Bis 2035 müssen im Bereich Mobilität die CO2-Emissionen von 0,8 (Stand Ende 2019) auf 0,17 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr reduziert werden.

Zürich

Der kommunale Verkehrsrichtplan nimmt die Ziele des regionalen Richtplans auf: Bis in 20 Jahren werden mindestens 80 Prozent aller Wege auf Stadtgebiet mit dem öffentlichen Verkehr, zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt. Dabei wird der Anteil des öV auf mindestens 45 Prozent am Gesamtverkehr erhöht. Im Plan ist zudem verankert, dass sich die städtische Mobilität auf das Klimaschutzziel von Netto-Null-Treibhausgase bis ins Jahr 2030 ausrichtet. Ein Netz von Velorouten soll die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden erhöhen und die Rahmenbedingungen für Velofahrende verbessern, was gemäss der Stadt auch einen positiven Einfluss auf das Klima haben soll. Von den über 100 Kilometern sollen 50 grundsätzlich frei sein von motorisiertem Individualverkehr (MIV). Die Stadt will die Velovorzugsrouten, wie das Netz genannt wird, bis 2030 fertigstellen.

«Zürich versucht, das Leben für Menschen, die nicht mit dem Auto fahren, besser zu machen.»

Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH

Ein weiteres Ziel des Richtplans ist, dass die Kapazität für den MIV nicht weiter erhöht wird: Der Transitverkehr soll vom Stadtgebiet ferngehalten und über das umliegende Nationalstrassennetz geführt werden. Grundsätzlich verfolgt die Stadt drei Stossrichtungen: vermeiden – verlagern – verbessern. Fahrten, welche nicht unbedingt mit Personen- oder Lieferwagen nötig sind, sollen durch eine attraktive Gestaltung der Fuss-, Velowege und des öffentlichen Verkehrs verlagert werden. Müssen die Wege mit motorisierten Fahrzeugen zurückgelegt werden, sind emissionsarme Technologien zu bevorzugen. Dabei setzt die Stadt auf fossilfreie Verkehrsmittel und will diese fördern: Momentan sind Besitzer:innen von Elektroautos von den kantonalen Abgaben befreit. Ausserdem will die Stadt Zürich die Anzahl E-Ladestationen in Parkhäusern und in Parkierungsanlagen gesamthaft erhöhen. Gleichzeitig werden im Kreis 1 oberirdische Parkplätze reduziert. Wie viele es genau sein werden, ist jedoch noch nicht klar. Der historische Parkplatzkompromiss, der einen Ersatz der in der Innenstadt gestrichenen Parkplätze gefordert hatte, wurde mit der Annahme der Richtpläne aufgehoben. Zur Vermeidung von Leerständen in privaten Parkierungsanlagen und zur Entlastung der Strassenräume sollen die Parkplätze in der Blauen Zone reduziert werden.

Einschätzung von Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich

Das einzige wesentliche Kriterium für das Erreichen von null Emissionen im Verkehrssektor ist, dass keine Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Je früher dies geschieht, desto besser fürs Klima. Wenn das geschafft ist und wenn die Abkehr von Kohlenstoff auch in anderen Sektoren – beispielsweise in der Stromerzeugung oder Industrie – weiter voranschreitet, dann ist es für das Klima eigentlich egal, wie viele Autos es gibt. Gleichzeitig sprechen eine Menge anderer Gründe dafür, weniger, kleinere und langsamere Autos in der Stadt zu haben. Wenn man das Auto durch Gehen, Radfahren und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ersetzt, wird das Leben in den Städten sauberer, gesünder, sicherer, ruhiger und sozialer. Kurzum, es ist in vielerlei Hinsicht besser für die Menschen, die dort leben.

Sowohl Bern als auch Zürich ergreifen eine Reihe von Massnahmen, um die Zahl der Autos zu verringern und stattdessen alle anderen Verkehrsmittel zu fördern. Das ist nicht nur fürs Klima gut. Bern tut dies vor allem, indem es die Parkplätze reduziert und somit den Autobesitzer:innen das Leben schwer macht. Zürich hingegen setzt auf eine Verbesserung der Infrastruktur für Fussgänger:innen und Velofahrer:innen – die Stadt versucht, das Leben für Menschen, die nicht mit dem Auto fahren, besser zu machen. Unabhängig davon, ob ich ein Autofahrer oder ein Nicht-Autofahrer bin, würde ich den Zürcher Ansatz vorziehen. 

Wenn es darum geht, sicherzustellen, dass keines der verbleibenden Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen betrieben wird, gibt es in Bern nur ein einziges Konzept: Alle Busse sollen bis 2040 ohne fossile Brennstoffe fahren. Das ist, offen gesagt, ein ziemlich schwaches Ziel. Elektrobusse sind heute verfügbar und preislich wettbewerbsfähig. Es gibt keinen Grund, warum sie nicht bis 2030 flächendeckend eingeführt werden könnten. Und ausserdem sind die meisten Fahrzeuge keine Busse, sondern Autos. Bern macht nichts Konkretes, um die Umstellung auf Elektroautos zu fördern.

Zürich hingegen hat eine ehrgeizigere Politik für den öffentlichen Verkehr, nämlich dass dieser bis 2030 zu 90 Prozent und bis 2035 zu 100 Prozent fossilfrei sein soll. Die Stadt hat begonnen, Massnahmen dafür zu ergreifen, dass die Autos der Zürcher:innen elektrisch betrieben werden; indem sie zum Beispiel eine Ladeinfrastruktur bereitstellt. Die Forschung zeigt, dass der Hauptgrund, warum sich Menschen derzeit entscheiden, kein reines Elektroauto zu kaufen, das Fehlen von Ladestationen an ihrem Wohnort ist – idealerweise dort, wo sie ihr Auto über Nacht parken. Zürich geht dieses Problem langsam an, obwohl die Stadt noch keinen Plan für die Elektrifizierung der Parkplätze in der Blauen Zone aufgestellt hat.

Letztendlich scheint mir die Zürcher Politik viel besser zu sein, sowohl was die Bewältigung des Umstiegs auf alternative Verkehrsmittel angeht, als auch, was die Elektrifizierung der verbleibenden Fahrzeuge betrifft.

Ergebnis: Punkt für Zürich – Zürich 1, Bern 0

Absenkpfade: Bitte nicht zu konkret

Bern

Bis 2045 sollen weniger Treibhausgase ausgestossen werden, als gebunden werden können – netto Null also. Die Stadt strebt aber an, dieses Ziel bereits 2035 zu erreichen. Zudem besteht ein genereller Absenkpfad: Werden diese Zwischenziele nicht erreicht, ergreift die Stadt zusätzliche Massnahmen. Für die Sektoren Wärme und Mobilität gibt es je spezifische Absenkpfade. Auf den Erwerb von Zertifikaten zur Kompensation will die Stadt «nach Möglichkeit» verzichten.

Zürich

In der Gemeindeordnung ist festgeschrieben, dass die Stadt einen Absenkpfad festlegt, der mindestens zu einer linearen Absenkung der Treibhausgasemissionen führt. Um Netto-Null bis 2040 zu erreichen, soll die Stadt Zürich bis in acht Jahren ihren Ausstoss an direkten Treibhausgasemissionen um mindestens 50 Prozent verringern. Das Parlament hat der Stadt den Auftrag gegeben, einen konkreten Absenkpfad festzulegen.

Einschätzung von Michèle Bättig, Beraterin für energie- und klimapolitische Fragen mit gesellschaftlicher Relevanz bei Standpunkt21

Beide Absenkpfade – von Bern und von Zürich – sind ambitioniert. Sie sind beide weitreichender als das Netto-Null-Ziel 2050, welches der Bundesrat beschlossen hat. Es ist wichtig, dass sich gerade Städte ambitioniertere Ziele setzen, da sie im Umweltschutzbereich immer wieder eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber auch, da es mit dem Netto-Null-Ziel 2050 äusserst knapp wird, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Die Umweltwissenschaftlerin berät Behörden und Organisationen – unter anderem zu Klimaschutzmassnahmen. (Foto: zVg)

Die Ziele von Bern und Zürich sind in etwa vergleichbar: Bern will bis 2045 Netto-Null erreichen, nach Möglichkeit bis 2035. Zürich will das Ziel bis 2040 erreichen. Beide Städte definieren das Stadtgebiet als Systemgrenze. Die indirekten Emissionen ausserhalb des Stadtgebiets sollen die Zürcher:innen pro Person um 30 Prozent gegenüber 1990 senken. Bern hat für die indirekten Emissionen keine Ziele. Soll der Klimawandel global gestoppt oder zumindest gebremst werden, müssen alle Emissionen global, auch die indirekten, auf Null gesenkt werden. Hier müssen also beide Städte noch Lösungen präsentieren, wie sie mit dieser Ziel-Lücke umgehen wollen. Idealerweise sind hier auch Lösungen auf nationaler Ebene zu finden.

Ergebnis: Unentschieden – Zürich 1, Bern 1

Es steht nach der ersten Runde also 2:1 für Zürich. Wie die Städte in den Bereichen «indirekte Emissionen» und «Finanzen» abschneiden werden, gibt es morgen auf Tsüri.ch und Hauptstadt.be zu lesen.

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