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3. Januar 2019 um 14:19

Keine Lust, zum Abfalleimer zu laufen

Auf der Suche nach den Verursacher*innen von Littering stösst man immer wieder auf Jugendliche, die Party feiern und sich für Ordnung und Sauberkeit nicht verantwortlich fühlen. Ein Samstagabend in der Langstrasse.

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Dieser Text ist entstanden in Zusammenarbeit mit der technischen BMS-Klasse von Seluan Ajina. Für mehr Informationen, siehe hier.

Text: Ismael Kagny

Deutschrap dröhnt aus den Boxen der Partygänger*innen. Junge Frauen und Männer haben es sich auf einem der vielen Bänkli auf der Piazza Cella, im Herzen der Zürcher Langstrasse bequem gemacht und feiern in den Abend hinein. Sie tragen Bomberjacken oder Wollmantel. Ein Schrank von Türsteher steht vor dem Eingang der Piranha-Bar, welche gleich am Platz liegt. Jetzt wo der Winter vor der Tür steht, hat es nicht mehr so viele Leute auf den Strassen wie im Sommer. Die meisten zieht es in die Bars und Clubs. Trotzdem wird die Langstrasse an diesem Abend wie so oft zum Ort hoher Lärmemissionen und Vermüllung.

Spätestens am frühen Morgen, wenn sich all die Partygänger*innen verzogen haben, merkt man, dass die Langstrasse eigentlich ein ganz normaler Ort sein könnte. Doch der Müll, der hier auf der ganzen Strassenbreite und -länge herumliegt, lässt erkennen, dass es sich um eine besonders strapazierte Strasse handelt. Die Massen von Menschen sind zwar verschwunden, der Abfall aber ist geblieben. Aber wer ist für diese Sauerei eigentlich verantwortlich?

Die Clubbesitzer*innen winken ab

Wie mir der Geschäftsführer eines Restaurants, Reto N., an der Langstrasse mitteilt, sei es ärgerlich für seriöse Lokalbetreiber*innen, jeden Morgen Müll vor der eigenen Tür liegen zu haben. Seiner Meinung nach seien die Clubbesitzer*innen dafür verantwortlich. Aber nicht nur die Clubs und Bars sind Brennpunkte immer wiederkehrender Vermüllung, sondern auch Getränke-Kiosks und Take-Aways. Auch gibt es immer mehr 24-Stunden-Shops, wo Partygänger*innen während der ganzen Nacht ihren Alkohol günstig beziehen können. Ein Mitarbeiter eines solchen Shops winkt ab. Er sei doch nicht für den ganzen Müll verantwortlich. «Wir verkaufen hier nur», meint er. Zum Glück gibt es die Zürcher Stadtreinigung, die jeden Morgen verlässlich die Langstrasse reinigt. Sonst würde man hier wohl in Abfallbergen ersticken.

«Wenn es ja schlussendlich sowieso einer wegräumt»

Auch ein Anwohner macht einen wenig erfreuten Gesichtsausdruck auf die Frage, wie er mit dem Abfall zurechtkomme. «Ich finde es richtig Scheisse von den Partyleuten, dass sie einfach ihren verdammten Müll auf die Strasse werfen», wird er deutlich. Auf die Nachfrage, wer denn sowas mache, gibt er den Jugendlichen die Schuld. Diese würden nicht verstehen, dass es auch Leute gäbe, die der Abfall stört. Es sei eine Frage der Erziehung. Verstehen könne er es aber; er sei selbst auch mal jung gewesen, lacht er. Jugendliche? Dem wollen wir jetzt mal auf den Grund gehen.

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Der Piazza Cella ist einer der Brennpunkte der Langstrasse (Foto: Marco Büsch)

An dem beissend kalten Samstagabend, 22 Uhr, will ich herausfinden, wer und vor allem wieso seinen*ihren Abfall einfach so wegwirft. Als Erste befrage ich eine junge, leicht angetrunkene Frau, die vor dem Eingang der Piranha-Bar steht. Sie heisst Elena und hat nur ein Sweatshirt und eine zerrissene Jeans an, was bei dem frostigen Wetter wohl darauf hindeutet, dass sie hier draussen lediglich eine Rauchpause macht. Aus einem Becher trinkt sie Bier. Ich stelle ihr die Frage, ob sie ihren Becher immer korrekt entsorge. Die junge Dame gesteht, dass sie im Ausgang nicht so genau auf ihr Entsorgungsverhalten achte. Vor allem Zigaretten werfe sie einfach auf den Boden. Sie habe keine Lust, jedes Mal einen Abfalleimer zu suchen, «wenn es ja schlussendlich sowieso einer wegräumt».

Wie man unschwer erkennen kann, ist sie wohl nicht die einzige, die vor der Piranha-Bar ihren Abfall einfach liegen lässt. So liegen Bierdosen rum, Zigarettenstummel, Zigarettenpackungen und die Resten einer Dönerbox: Cocktailsauce und Pommes. Und dies, obwohl es nicht wenige Abfalleimer hier stehen hat. Man kann sehen, dass sich auf den Strassen mehrheitlich junge Leute aufhalten. Einer von ihnen meint auf Nachfrage, wieso er seinen leeren Bierbecher wegschmeisse: «Bro, eine list das scho no uf, isch ja nöd so schlimm.»

Statt Geldbusse, mit Vorteil Sozialstunden

Da hat er allerdings Recht, irgendjemand wird das alles noch aufräumen müssen, und das sind dann die Strassenfeger*innen. Da der öffentliche Reinigungsdienst der Stadt Zürich einwandfrei funktioniert, scheint es für junge Partygänger*innen selbstverständlich, dass man Leergut fallen lässt und dass die Strassen am nächsten Tag trotzdem wieder sauber sind.

Seit 2012 gibt es im Kanton Zürich eine Busse von 80 Franken für das Wegschmeissen eines Zigarettenstummels. In Bezug auf Strafe für Litteringvorfälle sind die Kantone selbst verantwortlich. Ein Leser von «20 Minuten» meinte zu einem Artikel über Litteringstrafen: «Statt Geldbusse, mit Vorteil Sozialstunden. Der Litterer muss ein auffälliges Shirt mit der Aufschrift ‚ich bin ein Ferkel‘ tragen und dabei einige Stunden Müll zusammenlesen.» Ein anderer wiederum schlägt vor: «1) 500 Franken Busse; 2) An zehn Wochenenden Abfalldienst; 3) Mehr Container aufstellen mit unerwarteten Kontrollen. Wenn der Mensch schlecht erzogen ist, dann muss man ihn auf drastische Art zur Vernunft bringen!»

«Wer den Alkohol im Club kauft, ist dumm»

An diesem Abend kann ich gut beobachten, dass es hauptsächlich junge Partygänger*innen sind, die ihren Müll liegen lassen. Der meiste Müll ist Verpackungsmaterial aus den umliegenden Kiosk-Shops, in denen man billig Bier kaufen kann, beinahe fünfmal günstiger als in einer der benachbarten Bars. Der günstige Alkohol wird dann auf dem Weg in ein Lokal getrunken und der Rest wird einfach an einem Hauseck stehen gelassen oder schlimmer noch: In ein Gebüsch geworfen.

Was meint ein Jugendlicher dazu? «Ja klar, kaufen wir den Alkohol an der Tankstelle oder am Kiosk. Er ist dort viel günstiger und das liegt ja gerade um die Ecke. Wer den Alkohol im Club kauft, ist dumm.» Bemerkenswert ist auch, dass, wenn einer seinen Müll über die Schulter wirft, die Hemmschwelle der anderen sinkt, dessen cooles Gebaren nachzuahmen. Sicherlich hat es auch einen Einfluss darauf, ob man angetrunken ist oder nicht; Betrunkene schmeissen ihren Abfall deutlich leichtsinniger weg als Nüchterne; wobei man Letzteres abends an der Langstrasse kaum mehr antrifft.

Littering in der heutigen Zeit unvermeidlich?

Nun ist es bereits kurz nach ein Uhr und der Lärm der Feiernden scheint gedämpfter als noch vor Mitternacht, obgleich es noch genauso viele Leute hat. Nur der Müll ist mehr geworden. Auf den Ruhebänken sind leere oder halbvolle Flaschen und Gläser zurückgeblieben. Eine Wodkaflasche steht auf dem Brunnenrand. Plastiksäcke und anderes Verpackungsmaterial flattert vom Wind und den durchfahrenden Autos getragen die Strasse abwärts. Taxis kommen vorbei, um Partygänger*innen nach Hause zu bringen. Die Beobachtungen des Abends sind klar: Jugendliche sind die häufigsten Abfall-Sünder*innen hier an der Langstrasse – im Besonderen vor der Piranha-Bar.

Titelbild: Timothy Endut

Dieser Text ist entstanden in Zusammenarbeit mit der technischen BMS-Klasse von Seluan Ajina.

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