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Von Isabel Brun

Redaktorin

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9. März 2022 um 05:00

Keine Kinder ist auch eine Lösung

Klima-Krise, Pandemie, Krieg: Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. Grund genug, den eigenen Kinderwunsch zu überdenken, findet unsere Redaktorin.

Hurra, die Welt geht unter? (Foto: Unsplash)

«Will ich eigentlich mal Kinder?» Es ist eine Frage, die mir seit einigen Tagen fast täglich im Kopf herumschwirrt. Ausnahmsweise kommt sie mal nicht von einer Freundin oder einem Arbeitskollegen, auch nicht von meiner Mutter oder meinem Bruder. Nein, ich stelle mir die Frage selber – und das, obwohl ich bis vor ein, zwei Jahren nie ausschliessen konnte, dass ich zwar «noch nicht jetzt, aber in der Zukunft vielleicht» einmal Kinder haben möchte.

Doch in meiner Position als Klima-Redaktorin beschäftigte ich mich zwangsläufig mit Themen, die meist eher deprimieren, als positiv stimmen. Der Gedanke, dass es womöglich besser wäre, kein Menschlein auf diesen kaputten Planeten zu setzen, wurde dabei immer lauter. Die Pandemie verstärkte meine Zweifel, doch das Fass zum Überlaufen brachte schliesslich Putin, als er der Ukraine den Krieg erklärte. Wer hätte gedacht, dass ein Mann aus Russland meine Lebensplanung manifestieren wird. 

Der konstruierte Kinderwunsch

Klar, Krisen und Katastrophen hat es auch schon gegeben, als ich noch nicht existierte. Bereits in der Generation vor mir hatten sich Menschen deshalb die Frage gestellt, ob sie Kinder wollen oder nicht. Doch ich würde behaupten, nie war die Situation so festgefahren wie jetzt. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt: Gelänge es, die Erwärmung bei plus anderthalb Grad zu bremsen, könnten sich Menschheit und Natur noch einigermassen mit den Folgen arrangieren. Und wenn nicht? Je nach Ausmass und Dauer der Überschreitung werden gemäss Bericht «manche Folgen unumkehrbar sein, selbst wenn die globale Erwärmung verringert wird.» Keine rosige Zukunftsaussichten also. 

Im Kreis meiner Freund:innen bin ich nicht die einzige, die sich fragt, ob es in Zeiten wie diesen Sinn macht, ein Kind buchstäblich «in die Welt zu setzen». Die Diskussionen darüber werden stets sehr emotional geführt. Auch, weil wir alle Ende Zwanzig, einige sogar bereits Eltern oder in freudiger Erwartung sind. Mit meinem Partner spreche ich ab und an über das Thema Nachwuchs. Er sieht das lockerer als ich, zerbricht sich nicht so sehr den Kopf darüber. 

Das Kind kann sich nicht die Meldungen in den Medien anschauen und sagen: «Oh, so sieht die Welt aus? Nee, dann will ich lieber nicht geboren werden.»

Für ihn wäre ein Leben ohne Kinder auch denkbar – ganz egal aus welchen Gründen. Und für mich? Ich schwanke. Es stresst mich, wenn ich daran denke, dass ich vielleicht nie Kinder haben werde. Und ich so nie erfahren würde, wie es ist, eine Geburt durchzustehen, einen Mensch aufwachsen zu sehen, der die eigenen Gene weiterträgt und (hoffentlich) für einen da ist, wenn man alt und einsam wird. «Es macht etwas mit einem», heisst es dann jeweils von frischgebackenen Eltern. Ja, man werde gar ein besserer Mensch. Solche Aussagen machen mich manchmal unsicher.

Obwohl ich mir eigentlich sicher bin, dass diese vielbesagte Annahme nicht zwangsläufig stimmt. Klar, ein solch einschneidendes Erlebnis prägt unser Leben. Auf einmal dreht sich alles um ein kleines Persönchen, das ohne das Zutun anderer und derer Fürsorge nicht überleben würde. Wenn das nichts mit einem macht, dann weiss ich auch nicht. Aber macht nicht jede Veränderung des Alltags etwas mit einem? Der Umzug in eine fremde Stadt, der Antritt einer neuen Stelle, der Verlust eines Familienmitglieds. Das sind doch alles Dinge, die dich, mich und uns prägen. Es gibt doch nicht nur: Du hast ein Kind, oder du hast kein Kind. Du bist ein guter Mensch, du bist ein schlechter Mensch. Theoretisch zumindest nicht. Praktisch gesehen leben wir jedoch in einer Gesellschaft, die sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen möchte. Noch nicht: Ein Kind scheint das Ziel Nummer eins eines jeden Paares zu sein. Alles, was davon abweicht, wird kritisch hinterfragt.

Wer ist hier egoistisch?

Das Thema «Kinder haben – keine Kinder haben» treibt die Menschen um. Es gibt etliche Dokumentationsfilme, die über unerfüllte Kinderwünsche oder Personen ohne Kinderwunsch berichten. Vor einigen Monaten fragte sich eine SRF-Reporterin, warum sich Menschen bewusst gegen Kinder entscheiden. Das war sicher gut gemeint von ihr, allerdings wurde die Frage danach, wieso man heutzutage überhaupt noch Kinder haben soll, im Beitrag kaum thematisiert. Wahrscheinlich würde die Journalistin damit argumentieren, dass es nicht darum ging, Kinder haben zu wollen, sondern eben darum, keine Kinder haben zu wollen. Das ist im Sinne ihres Handwerks natürlich nachvollziehbar. Und doch zeigt ihre Entscheidung, eben der einen und nicht der anderen Frage nachzugehen, einmal mehr was als gesellschaftliche Norm gilt: Nämlich, dass man seine Gene an die nächste Generation weitergibt. Logisch, sonst stirbt der Mensch aus – und anyway, wer finanziert dann unsere Rente? Schliesslich haben nicht alle eine dritte Säule. 

Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass Personen, die einen Kinderwunsch pflegen und diesen auch erfüllen, egoistisch handeln. Für mich sind beide Entscheidungen, ob sie nun für oder gegen ein Kind sprechen egoistischer Natur – auf die eine oder andere Art. Zumindest heute, wo es möglich ist, unsere biologischen Voraussetzungen zu beeinflussen. Wir frei entscheiden können, ob wir ein Kind zeugen und auf die Welt bringen wollen oder eben nicht, und ob wir medizinisch nachhelfen, wenn es nicht klappt mit dem Kinderkriegen.

Das Kind selber hat keine Entscheidungsmacht. Es kann sich nicht die Meldungen in den Medien anschauen und sagen: «Oh, so sieht die Welt aus? Nee, dann will ich lieber nicht geboren werden.» Und umgekehrt hat sich Greta Thunberg als Spermium nicht gedacht: «Ach was, das können wir doch besser. Lass mal aktivistisch werden.» Wir entscheiden also, wie wir wollen, nicht wie unsere zukünftige Generation will. Angesichts der Tatsache, dass mein eigenes Bestehen einzig auf die Entscheidung meiner Eltern zurückzuführen ist, kann ich also niemandem einen Vorwurf machen. Ich bin gerne hier, aber bin auch froh, wenn ich diesen Ort unbeschadet wieder verlassen darf. Und meine Hoffnung, dass dies der Fall ist, schwindet momentan von Tag zu Tag. Aus diesem Grund möchte ich diese Welt, wie sie sich jetzt gerade entwickelt, keinem Lebewesen antun, sofern ich das verhindern kann. Vielleicht wird sich das in ein paar Jahren wieder ändern – aber gut möglich, dass mir diese Entscheidung abgenommen wird.

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