«Kein Museum» gibt Raum ab: «Uns zu institutionalisieren, war nie das Ziel» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Alice Britschgi

Praktikantin Redaktion

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7. Juni 2022 um 04:00

«Kein Museum» gibt Raum ab: «Uns zu institutionalisieren, war nie das Ziel»

Nach dreieinhalb Jahren und 50 Ausstellungen gibt das neunköpfige Kollektiv um den Off-Space «Kein Museum» seinen Kunstraum an der Mutschellenstrasse 2 ab. Wir trafen drei der Kuratorinnen im leergeräumten ehemaligen Kiosk zum Gespräch über die Struggles von Zürcher Kulturschaffenden, das Regelnbrechen als Analysetool und ihre Zukunftspläne.

Lara Baltsch, Carla Peca und Julie Delnon vor dem leergeräumten Kunstraum im Enge-Quartier. (Foto: Alice Britschgi)

Alice Britschgi: Ihr habt euer Ende mit einer Illustration angekündigt: Ein buntes Stück Wiese, das die Kein-Museum-Flagge gehisst hat, treibt im dunklen Meer. Am Horizont ist bewohntes Land in Sicht, eine Insel. Woher kommt das Kein-Museum-Schifflein?

Lara Baltsch: Der Ausgangspunkt des Schiffleins waren institutionelle Strukturen, wie sie sich uns in Jobs, in Galerien und anderen Institutionen zeigten. Wir wollten das Steuer selbst in die Hand nehmen und wegkommen vom Denken der institutionellen Kunstwelt.

Julie Delnon: In diesem Sinne war der Raum hier an der Mutschellenstrasse 2 der Ausgangsort – ein Raum, in dem wir unsere eigenen Regeln aufstellen, das Programm selbst bestimmen und verschiedenste Leute daran teilhaben lassen konnten. Das fehlte uns zuvor.

Carla Peca: Hier war früher mal eine Apotheke beheimatet, dann ein Kiosk, ein Blumenladen und die Galerie Eva Schumacher. Es ist ein kleines Räumchen, in dem wir in den letzten Jahren kulturelle Phänomene unter die Lupe genommen haben – schwebend zwischen digital und offline. Keiner von uns kam dabei eine feste Rolle zu. Bei jedem Projekt haben wir neue Aufgaben nach unseren jeweiligen Interessen und Bedürfnissen übernommen.

Und wo legt das Schifflein nun an?

Lara Baltsch: Es kommt an einem Hafen an, an einem Steg. Oder es ankert.

Julie Delnon: Ich würde sagen, es ankert vorübergehend.

Lara Baltsch: Wir kommunizieren es als Pause. Das Kollektiv bleibt bestehen, aber nach dreieinhalb Jahren haben wir nicht mehr dieselben Kapazitäten. Wir machen jetzt erstmal Pause, Ferien, sonnen uns auf dem Deck und springen ins Wasser. 

Julie Delnon: Das Kein Museum hatte von Anfang an einen ephemeren Charakter. Es gab unser Bedürfnis nach nicht-institutionellen Strukturen, es gab diesen Raum; Wir haben die Chance genutzt, von Idee zu Idee gearbeitet – immer prozessorientiert, in der Gegenwart verankert. Wir verabschieden uns nun von diesem Raum, denn er ist auch einschränkend. Damit kommen neue Möglichkeiten.

Mit dieser Illustration kündete das «Kein Kollektiv» seine Denkpause an. (Bild: Wanda Honegger/Kein Museum)

Eure erste Ausstellung im Oktober 2018 war dem Träumen gewidmet, eure letzte im März 2022 drehte sich ums Spielen. Was bedeuten euch diese eher kindlich konnotierten Tätigkeiten?

Carla Peca: Spielen ist dem Experimentieren sehr nah – das Experimentieren ist unsere Forschungspraxis. 2021 war das Spielen sogar unser Jahresthema. Welche Spielregeln gelten? Wie können sie gebrochen werden? Das Regelnbrechen ist unser Strukturanalyse-Tool. Auch auf ästhetischer Ebene gefällt uns das Thema Spiel. Es lässt Interaktion und Partizipation zu. 

Lara Baltsch: Meine Assoziation dazu ist, dass die spielerische Wissensvermittlung nicht nur einseitig stattfindet.

Was hat es mit dem «kein» auf sich?

Carla Peca: Das Wörtchen «kein» ist ein Tool zum Betreiben von Kulturanalyse; durch die Dekonstruktion ergründen wir kulturelle Phänomene. Um herauszufinden, was ein Museum ist, welche Strukturen diesem Konstrukt zugrunde liegen, haben wir es einfach mal verneint.

Lara Baltsch: Dadurch, dass wir uns durch «kein» definieren, lassen wir einen grossen Raum dafür offen, was wir sein können.

Welche Momente auf hoher See sind euch besonders geblieben?

Julie Delnon: Zum Einen die Momente in denen Projekt und Publikum aufeinandertrafen, wie Ausstellungseröffnungen und Werkgespräche. Aber auch die Momente, in denen wir als Kuratorinnen neue Perspektiven einnehmen mussten, zusammen etwas Grosses, etwas Überraschendes möglich machten und die Kunstschaffenden uns signalisierten, dass sie von unserer Arbeit profitieren.

Carla Peca: Für mich ist das Kuratieren wirklich eine der schönsten Arten, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Die Arbeit ist persönlich, inspirierend, sehr intensiv und man kann die Menschen bei einem Prozess begleiten.

«Wir wollen nicht dazu beitragen, dass alle in der Kulturbranche gratis arbeiten.»

Carla Peca, Kuratorin

Was war schwierig in den letzten dreieinhalb Jahren?

Carla Peca: Die stressigen Phasen, in denen die Energie zur Neige ging. Wenn man intensiv zusammenarbeitet, gibt es kurz vor der Ausstellungseröffnung immer Spannungen. An der Vernissage ist dann alles wieder gut.

Lara Baltsch: Konflikte gehören dazu. Wir sind ein neunköpfiges Team, hinzu kommen die Leute von aussen. Verschiedene Charaktere und Vorstellungen treffen aufeinander. Es gibt Diskussionen. Aber dann entsteht etwas.

Carla Peca: Mit den Auseinandersetzungen sind wir gewachsen.

Julie Delnon: Es ist sehr wertvoll, dass wir zu neunt arbeiten. Letzten Herbst haben wir uns einen Workshop zu gewaltfreier Kommunikation bei Empathie Zürich gegönnt.

Carla Peca: Den haben wir dringend gebraucht. Tanja von Empathie Zürich hat uns geholfen, ehrlich miteinander zu kommunizieren und uns einzugestehen, dass wir eine Veränderung brauchen.

Julie Delnon: Wir wollten die Vielstimmigkeit, die unser Programm so bereichert hat, auch in unserer Zusammenarbeit achten. Wir haben gelernt – oder zumindest geübt – in Kontakt und im Gespräch zu bleiben, auch wenn es harzig wird. 

Ist Zürich ein guter Ort, um im Kulturbereich etwas eigenes auf die Beine zu stellen?

Carla Peca: Generell ist in der Schweiz Geld da. In Zürich ist es zwar hart umkämpft, aber es ist möglich ein Projekt vorübergehend zu finanzieren.

Julie Delnon: Langfristig ist es schwieriger. Das wird von der Stadt aber auch so kommuniziert.

Lara Baltsch: Förderungsbeiträge für das Jahresprogramm eines Kunstraumes werden zum Beispiel höchstens dreimal ausgezahlt.

Carla Peca: Die Idee der Förderung ist es, dass grosse Institutionen Platz machen für die kleinen, aber nicht dass sich die Kleinen institutionalisieren.

Kam euch nie die Idee, aus dem Schifflein ein Kreuzfahrtschiff zu machen?

Lara Baltsch: Uns zu institutionalisieren, war nie das Ziel.

Carla Peca: Aber es war schon ein Thema in Gesprächen.

Julie Delnon: Es hat sich mit der Zeit ergeben, dass wir anfingen, uns mit der Zukunft auseinanderzusetzen: Wie stabilisiert man ein solches Projekt? Wie müsste man es langfristig umbauen? Wie schafft man ein System für Löhne? Kulturprojekte wie dieses sind oft selbstausbeuterisch.

Carla Peca: Am Anfang haben wir alles selbst bezahlt.

Welche Tipps habt ihr für Leute, die selbst einen Off-Space aufziehen wollen?

Lara Baltsch: Ein super Projekt ist der Guide ORGANISIERT EUCH! Der Verein Urban Equipe lud verschiedene Kollektive aus der Kulturszene ein, die ihr Know-how teilten. Daraus entstand ein Handbuch für Leute, die selbst etwas aufbauen wollen.

Carla Peca: Auch sehr interessant ist der OnCurating Space, ein Zürcher Kunstraum der experimentell arbeitet und kurative Praktiken kritisch beleuchtet. Wir waren mal bei der Veranstaltungsreihe «I might be Wrong» eingeladen, wo über die Struggles unabhängiger Kunsträume diskutiert wurde. Wie bekommt man Förderbeiträge? Und an wen gehen diese: Künstler:innen oder Kurator:innen?

«Wir geben nicht nur vor eine Auszeit zu machen, wir machen wirklich eine.»

Julie Delnon, Kuratorin

Was habt ihr für Zukunftspläne an Land?

Carla Peca: Fest steht bisher nur: Wir kommen Anfang 2023 wieder zusammen und schauen weiter. In den letzten Jahren haben wir Strukturen entwickelt die funktionieren, da wollen wir anknüpfen. 

Julie Delnon: Wir wollen flexibler sein, uns keinem Raum verschreiben, der uns unter Zugzwang stellt.

Carla Peca: Und wir wollen nicht mehr alles gratis machen. Es ist wichtig, dass Kulturschaffende bezahlt werden. Wir wollen nicht dazu beitragen, dass alle in der Kulturbranche gratis arbeiten. Wir werden unsere Strukturen überdenken und über Langfristigkeit reden. Aber jetzt machen wir erstmal eine Pause.

Julie Delnon: Wir geben nicht nur vor eine Auszeit zu machen, wir machen wirklich eine. Pausen sind mega wichtig, um neue Ideen zu schöpfen. Vieles wird sich – auch unterbewusst – bei jeder von uns ansammeln. Wir freuen uns schon darauf, das gemeinsam hochzuholen, zu entdecken und neue Pläne daraus zu schmieden.

«Kein Kollektiv»

Das «Kein Museum» wurde die letzten dreinhalb Jahre vom «Kein Kollektiv» betrieben. Das neunköpfige Team experimentierte mit Ausstellungspraktiken und nahm kulturelle Phänomene und aktuelle Debatten unter die Lupe.

Carla Peca, Lara Baltsch, Julie Delnon, Lara Vehovar, Cristiana Stella, Dorothea Deli, Nicole Schmid und Isabella Krayer haben einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund, wie Kunstgeschichte, Kulturanalyse oder Literaturwissenschaften. Sie alle sind als Kulturschaffende selbständig tätig oder sammelten bereits Berufserfahrungen im kulturellen Bereich. Wanda Honegger arbeitet Vollzeit als Grafikerin.

Carla Peca (30) beginnt im Oktober ihr Doktorat in der Geschichte und Theorie der Architektur. Sie hat einen Master in Germanistik und Kulturanalyse und in verschiedenen Zürcher Museen und Galerien gearbeitet. Im September startet sie gemeinsam mit Matís d'Arc des Labels Luhmen d'Arc die Veranstaltungsreihe Critical Fridays, bei der Körper als Medium künstlerischer und ritueller Praktiken im
Fokus stehen.

Lara Baltsch (25) schliesst dieses Jahr ihren Master in Art Education/Curatorial Studies ab und arbeitet am Kunstmuseum Basel sowie am Schauspielhaus Zürich.

Julie Delnon (29) hat einen Abschluss in Philosophie und Kunstgeschichte und arbeitete bereits in der Fondation Beyeler und im Haus der elektronischen Künste (HEK) Basel. Gemeinsam mit Carla Peca kuratiert sie die Ausstellung ex-de-plora des Künstlers Janis Polar zum Thema Klimahysterie, die am 10. Juni im kHaus Basel eröffnet wird.

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