Ein Ausflug in den Kreis 1: In Kapseln, auf Türmen und Postkarten - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Hanna Fröhlich

Redaktorin

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16. August 2020 um 08:00

Ein Ausflug in den Kreis 1: In Kapseln, auf Türmen und Postkarten

In einer Kapsel schlafen, die Wendeltreppe des Grossmünsters erklimmen und in der Swiss Chuchi am Hirschenplatz Raclette essen. Der touristischste Kreis der Stadt hat so einiges zu bieten.

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Im Turm gibt es sogar noch beqeme Holzstühle, auf denen es sich prima die Aussicht geniessen (und posen) lässt.

Für diese Serie haben wir alle 12 Stadtkreise besucht, in den Hotels dieser Stadt übernachtet und erkundet, was die Kreise aus den Augen eines Touris so alles zu bieten haben.

Mit Kamera, Sonnenbrille und Trenchcoat bewaffnet, mache ich mich an einem regnerischen Dienstag auf in den Kreis 1 – Für mich DER Touri-Ort dieser Stadt, allen voran, weil seine Kulisse auf jede Zürich-Postkarte gedruckt ist. Mit dem Limmatquai und seinen überteuerten Cafés, dem Lindenhof und vor allem wegen den Zwillingstürmen des Grossmünsters, unserer Hauptsehenswürdigkeit, prägt er das Stadtbild massgeblich. Nur 20 Prozent des Kreises ist Wohnfläche, der Rest wird kommerziell genutzt.

Hallo Kapsel

Die Nacht werde ich im Marmot Capsule Hotel verbringen, welches erst seit kurzem seine Tore oder besser gesagt, Kapseln geöffnet hat. Das Hotel ist von Japan inspiriert, wo das Übernachten auf engem Raum salonfähig ist. Das Ziel des «Marmot» ist an erster Stelle, Tourist*innen überhaupt einen Aufenthalt in Zürich zu ermöglichen: Eine Nacht kostet 40 Franken. Ich brauche einen Moment, bis ich das Hotel an der Schifflände 26 gefunden habe– nach dem dritten Mal um den Block laufen fällt mir das zurückhaltende Logo an der Hauswand auf.

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Am Hechtplatz, neben der Rössli Bar, befindet sich der Eingang zum Hotel.

Erleichtert erklimme ich die Stufen zum Eingang. Ich betrete einen praktisch leeren Raum, dessen Wände in Holz und Grüntöne getaucht sind. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet. Die Person am Empfang führt mich zu meiner Kapsel, meine Sachen muss ich vorher in einem Schliessfach verstauen – ja nicht in der Kapsel lassen – sagt man mir. Denn diese ist, wie ich kurz darauf feststelle, nur mit einem bescheidenen Stoffvorhang vor Blicken geschützt. An der Rezeption empfiehlt man mir an der Limmat laufen zu gehen, oder ins Kunsthaus – das sei nah. Vor der Türe befänden sich ausserdem zahlreiche Restaurants und Cafés. Ich schliesse daraus, dass es im Kreis 1 wohl keine Lonely Planet Geheimtipps braucht, um eine aufregende Zeit zu haben.

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Die Stammbeizen «Bodega» und «Andorra».

Nackenstarre im Grossmünster

Ich entscheide mich, nach 23 Jahren in der Stadt Zürich endlich aktiv diese Hauptsehenswürdigkeit zu besuchen. Ich kann mich vage daran erinnern, während eines Schulausflugs mal hier gewesen zu sein, das ist aber lange her. Beim Eintreten durch die schwere Eichentür habe ich bereits Gänsehaut. Das Kirchenholz knarzt unter meinen Stiefeln, Stimmen hallen gedämpft durch das Gewölbe, die Glasfenster, die von aussen farblos wirken, leuchten im Innern rot. Ich bin eigentlich kein Fan von Kirchen, sie erinnern mich an Beerdigungen und Ablasshandel. Obwohl meine Eltern beide nicht religiös sind, wollten sie im Urlaub oft Kirchen angucken. Das ist irgendwie so ein Ding. Mir war es immer schnell langweilig und viel zu ruhig. In der Luft hing eine Schwermut, die ich nicht ertrug.

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Die Zwillingstürme unserer Hauptsehenswürdigkeit.

Ich setzte mich in einen der erstaunlich bequemen Chorstühle ganz hinten im Schiff, den Blick auf die grossen Glasfenster gerichtet und warte auf meine Schwester, die mich auf den Turm begleiten wird – alleine ist mir das Ganze nicht geheuer. Draussen regnet es in Strömen, in der Kirche herrscht ein gemütliches Ambiente. Die anderen Besucher*innen starren alle wie gebannt an die Decke – so lange, dass ich mir schon Sorgen mache, sie könnten eine Nackenstarre kriegen. Es scheint niemand recht zu wissen, was jetzt genau getan werden soll in diesem grossen heiligen Raum.

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Der «Totentanz» von Harald Nägeli.

Über der Stadt

Überall sind Schilder mit einer durchgestrichenen Kamera aufgestellt. Auf meine Frage an den Mann an der Kasse, wieso hier keine Fotos gestattet seien, blickt mich dieser stirnrunzelnd an – offensichtlich hält er mich für eine fotosüchtige Touristin, die es sich wieder nicht verkneifen kann. «Personenschutz» sagt er, «es könnte ja sein, dass jemand auf der Flucht vor der Polizei ist und dann plötzlich auf einem Ihrer Fotos auftaucht.» Sobald meine Schwester eintrifft, bezahlen wir je zwei Franken, man wünscht uns einen guten Aufstieg und schwupps befinden wir uns auf einer sehr steilen, sehr engen, steinernen Wendeltreppe. Es gibt kein Zurück. Der Aufstieg lohnt sich aber. Auf dem Weg begegnen wir Sprayereien von Harald Nägeli, der sich auch hier verewigt hat, dann erreichen wir unser Ziel. Wegen Bauarbeiten kann man zwar nicht auf die 50 Meter hohe Plattform, durch die Fenster sieht man aber über die ganze Stadt. Nach ein paar Fotos (die man uns hier oben widerwillig gestattet hat), geht es an den Abstieg, der um einiges angenehmer ist.

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Der Kreis 1 aus 50 Metern Höhe.

Nach dieser kleinen Expedition gibt es zuerst mal einen Kaffee. Dazu gehen wir ins Henrici, das Café im Niederdorf, dessen einladende Terrasse einen geradezu anspringt. Wir trinken den grössten Milchkaffee, den man in dieser Stadt wahrscheinlich findet – sogar mit Schwan-Latte-Art.

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Schwan-Latte-Art im «Henrici».

Exponiert in der Swiss Chuchi

Mein Magen knurrt, es ist wohl Zeit fürs Abendessen. Durch die gepflasterten Gassen des Niederdorfs schlendernd, überlege ich gerade, wo wohl eine Touristin am ehesten essen gehen würde, als ich an der «Swiss Chuchi» am Hirschenplatz vorbeilaufe. Seit Jahren mache ich mich jedes Mal lustig, wenn ich im Sommer an den Fondue-essenden Touris vorbeilaufe und frage mich jedes Mal, was zur Hölle einen dazu bewegt, bei all dieser kulinarischen Auswahl genau hier den Abend zu verbringen.

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Unter der Kuh mit den Schweizer-Fahnen an den Hörnern.

Prompt setzen wir uns an einen der grauen Plastiktische direkt unter die Kuh mit den Schweizer-Fahnen an den Hörnern. Ein hyperaktiver, zu gut gelaunter Kellner kommt an unseren Tisch. Wir bestellen Wein und kriegen darauf einen Weissen aus Zürich, dessen Hauptabnehmer die «Swiss Chuchi» ist. Auf der Karte sind fast ausschliesslich Fleisch- und Käsegerichte zu finden – Veganer*innen-freundlich geht anders. Wir bestellen Raclette. Während dem Essen werden wir von Passierenden misstrauisch gemustert, sie empfinden bei unserem Anblick wohl das gleiche Unverständnis, was auch ich stets verspürte. Das Ganze ist ausserordentlich amüsant. Mit einem bis oben mit Käse und Weisswein gefüllten Bauch, der mich an Skiferien erinnert, mache ich mich auf den Heimweg Richtung Kapsel.

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Raclette im Sommer.

Bargespräche und Schnarchgeräusche

Im Dunkeln zeigt das Niederdorf verschiedene Facetten. Herrscht in der einen Gasse noch Rambazamba, ist es in der nächsten plötzlich totenstill und leer. Vor der Condomeria steht ein Pärchen, welches hitzig das schillernde Angebot im Schaufenster diskutiert. Zwischen «Bodega» und «Andorra» tummelt sich das trinkselige Volk. Die Strecke vom Grossmünster zur Rösslibar ist wie leer gefegt, ich begegne keiner Menschenseele.

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Das Niederdorf bei Nacht.

Nachdem ich im Gemeinschaftsbad des Hotels – von wo aus man gut den Gesprächen der Betrunkenen in der Rösslibar lauschen kann – die Zähne geputzt habe, betrete ich den Kapselraum. Dieser hat sich in der Zwischenzeit gefüllt. Diverse Menschen sind dabei, ihre Kapseln zu beziehen. Man begrüsst sich freundlich. Ich klettere die Leiter zu meinem Bett hoch, ziehe den Vorhang zu und finde mich in einer holzgetäfelten Koje mit einem runden Spiegel an der Wand wieder.

Wer jetzt an Klaustrophobie denkt, keine Sorge, der Vorhang nimmt einem dieses Gefühl. Dafür scheint die ganze Nacht das Flur-Licht durch den Stoff, mein Kapsel-Nachbar schnarcht und als ich um drei Uhr nachts schweissgebadet aufwache, stelle ich fest, dass die Vorhänge zwar Licht durchlassen, aber keine Luft. Schlussendlich schlafe ich um vier Uhr ein – nur um drei Stunden später wieder aufzuschrecken, weil ein Wecker klingelt. Um acht verlasse ich das Hotel, trinke auf dem erwachenden Münsterplatz einen Flat White im Vicafé und überlasse den Kreis 1 wieder sich selbst und seinem Postkartensujet.

Insgesamt ist der Kreis 1 sehr schweizerisch und entsprechend touristisch. Das kulinarische Angebot ist aber vielseitig und an Bars, Kulturangebot und gemütlichen Sitzgelegenheiten mangelt es nicht. Trotzdem fühlt man sich im Kreis 1 stets etwas wie im Museum, da wegen den wenigen Bewohner*innen nicht so das Quartier-Feeling aufkommt.

Bewertungsraster des Kreises (1 bis 5 Sterne)

Instagramability des Hotels *****

Kriminalität des Kreises **

Erschlossenheit mit dem ÖV *****

Grösse des Portemonnaies ****

Kulinarische Auswahl *****

«Lebendigkeit» des Kreises ***

Transparenz: Die Übernachtung im Hotel wurde uns auf Anfrage offeriert.

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