Journalismus-Krise? Hannes Britschgi und Laura Bachmann sind optimistisch - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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8. April 2022 um 04:30

Der Journalismus in der Krise? Hannes Britschgi und Laura Bachmann sind optimistisch

Die Podcast-Produzentin Laura Bachmann liebt ihren Tiktok Algorithmus und der Ringier-Schulleiter Hannes Britschgi weiss, dass Klicks und Quoten auch mal den Lohn von Journalist:innen bestimmen. Ein Generationengespräch.

Sie steht am Anfang, er am Ende: Laura Bachmann und Hannes Britschgi über die Branche des Journalismus. (Fotos: Elio Donauer)

Vor dem Aufkommen des Internets florierte der Werbemarkt und die Medienlandschaft wurde nicht von wenigen Medienhäusern dominiert. In dieser Zeit lernte Hannes Britschgi das Handwerk. Angefangen hat er 1986 beim Schweizer Fernsehen, wo er unter anderem Kassensturz oder die Rundschau moderierte und leitete. Anfangs der Nullerjahre wechselte der heute 67-Jährige in den Print, als Chefredaktor des Magazins FACTS später dann beim Sonntagsblick. Seit 2011 leitet er die Ringier Journalistenschule und steht jetzt kurz vor seiner Pensionierung – Ende April gibt er die Schulleitung ab. 

Die Branche hat sich unterdessen sehr gewandelt und ist multimedialer geworden. Aufgewachsen mit diesem Wandel ist Laura Bachmann. Sie hat an der ZHAW Kommunikation studiert. Die 25-Jährige arbeitete beim Radio 1 und als Redaktorin bei SRF Kultur. Sie engagierte sich im Vorstand des Podcast Club Switzerland und produziert und moderiert aktuell Podcasts bei Tamedia. 

Lara Blatter: Früher gabe es keine von Twitter getriebene Shitstorms gegen Journalist:innen. Die Einnahmen aus Werbung und Abonnements finanzierten kostspielige Reportagen. Für den Erlebnisbericht über die Orang-Utans Sumatras nach Indonesien fliegen? Kein Problem. Der Beruf genoss ein hohes, fast schon elitäres Ansehen. War früher alles besser?

Hannes Britschgi: Nein. Manchmal habe ich das Gefühl, die Vergangenheit wird verklärt. Aber klar, früher hatte die Branche mehr finanzielle Mittel. Ich wechselte 2001 vom öffentlichen Fernsehen zum Print. Das war damals der Peak der Werbeeinnahmen – ab da ging es abwärts. Es häuften sich Sparprogramme, Entlassungswellen und Zusammenschlüsse von Zeitungen. Das drückt auf die Psyche der Journalist:innen. 

Laura Bachmann: Dass früher vieles besser war, kann ich nur ahnen. Als ich mich dazu entschied, Journalistin zu werden, fragten mich viele aus meinem Umfeld: «Wieso ein Beruf, dessen Branche am Ende ist?» Aber ich glaube nicht, dass die Branche am Ende ist. Und es geht um viel mehr, als um Geld verdienen. 

Britschgi: Dass wir Geld hatten, um Leute nach draussen zu schicken, war früher definitiv besser. Heute wird sehr viel vom Büro aus gemacht.

Bachmann: Nicht nur. Ich habe als Journalistin beim Radio angefangen. Klar, Telefon-Interviews gehören dazu. Ohne nach draussen zu gehen, werden Inhalte leblos und fad. Du brauchst Menschen, die sprechen, Geräusche und Töne. Dasselbe gilt für die Videoproduktion.

«Ich habe das Gefühl, dass wir in den Nullerjahren eine Abzweigung verpasst haben.»

Laura Bachmann

In den Nullerjahren kamen Facebook, Twitter und Youtube auf. Das Internet boomte und wurde für viele zugänglich. Zeitungen hatten plötzlich eigene Internetseiten und konnten viel mehr Menschen erreichen. Was könnte falsch gelaufen sein?

Britschgi: Früher brauchten wir für ein Video ein grosses Team und viel Equipment. Heute kann ich alleine unterwegs sein – ich und mein Handy. Und das ist ja auch toll. Es ist viel niederschwelliger geworden, Inhalte zu generieren. Journalist:innen können sich zusammentun und mit wenigen finanziellen Mitteln etwas erschaffen – sich ihre eigene Stimme kreieren. So sind beispielsweise Medien wie die Hauptstadt, Bajour, Tsüri.ch oder die Republik entstanden. Auch wenn das Businessmodell im Print am zerbröseln ist, ist vielleicht gar nicht so viel falsch gelaufen. 

Bachmann: Das stimmt. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass wir in den Nullerjahren eine Abzweigung verpasst haben. Es ist toll, dass Journalist:in sein, zugänglicher geworden ist. Wir haben eine grosse Disbalance in der Branche. Vieles ist online gratis verfügbar, aber unsere Arbeit und der Aufwand haben sich nicht grundlegend verändert. 

Heute ist es einfacher denn je, Inhalte zu generieren und zu verbreiten. Durch die sozialen Medien und das Internet können eigentlich alle Journalist:innen sein – bloggen, tweeten und eine Internetseite aufziehen. Um die Öffentlichkeit zu erreichen, benötigt es uns nicht mehr. Wofür braucht es uns noch?

Bachmann: Die Flut an Informationen ist riesig, da braucht es Journalist:innen erst recht. Wir müssen das Geschehen einordnen und Quellen prüfen. 

Britschgi: Ein aktuelles Beispiel dazu ist der Krieg gegen die Ukraine. Was macht Russland? Alle unabhängigen Medien werden verboten und unterdrückt. Auf der anderen Seite haben wir den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski, der eine unglaubliche Performance in den sozialen Medien hinlegt. Es braucht uns, um das einzuordnen. 

«Ein paar Feuilletonjournalist:innen gibt es noch, die gar stolz sind, dass sie keine Smartphones haben – aber das ist eine Spezies, die ausstirbt.»

Hannes Britschgi

Gut texten zu können, reicht längst nicht mehr aus, um als Journalist:in Karriere zu machen. Das Anforderungsprofil hat sich radikal geändert. Wie nehmt ihr das war?

Britschgi: Bist du im technischen Bereich nicht fit, hast du keine Chancen im Beruf. Die multimediale Ebene rund um Audios und Videos hat viel mehr Gewicht bekommen. Ein paar Feuilletonjournalist:innen gibt es noch, die gar stolz sind, dass sie keine Smartphones haben – aber das ist eine Spezies, die ausstirbt. 

Bachmann: Das macht vielen auch Angst. Wenn du in grossen Medienhäusern arbeitest und es auf einmal heisst: «Jetzt machst du einen Social-Media-Post zu deinem Text.» Das Anforderungsprofil ist grösser und gleichzeitig muss alles schneller erledigt sein. Neues stösst darum oft auf eine Abwehrhaltung und es blockiert die Redaktionen vor neuen Formaten. 

Britschgi: Ich habe eine interessante Analyse gelesen. Junge Menschen, die mit dem Internet und Handys gross geworden sind, haben kein Problem mit neuen Formaten und der Technik. Und auch die Alten wie ich nicht. Wir haben Zeit und Lust, Neues auszuprobieren. Wir können – müssen aber nicht – auf den Zug aufspringen. Für jene im Mittelfeld ist es schwieriger. Sie sind seit einigen Jahren im Beruf, haben viel Erfahrung und fühlen sich angegriffen.

Nebst vielen neuen Anforderungen, brechen Werbeeinnahmen weg und immer mehr Zeitungen verschwinden. Stellen werden abgebaut. Das kann zusätzlich verunsichern. Wo seht ihr Lösungen?

Bachmann: Es gibt ja so viele Wege, wie man heute viel Geld machen kann. Ich glaube auch im Journalismus sind neue und kreative Formen gefragt. Viele Podcaster finanzieren ihre Arbeit durch Spenden ihrer Hörer:innen. Auch Sponsoring ist weit verbreitet oder Werbung, die der:die Host persönlich einspricht und gar die Produkte selbst empfiehlt. Das ist aber weniger verbreitet in journalistischen Formaten. 

Britschgi: Die grossen Verlage schreiben gute Zahlen. Klar, das kommt längst nicht alles aus dem Journalismus. 

Bachmann: Aber es wäre doch wichtig, dass wieder mehr Menschen für guten Journalismus bezahlen möchten. Beim Tamedia Podcast «Apropos» haben wir neu seit wenigen Wochen Werbung. Was für uns Macher:innen ein Grund zum feiern war, weil es die Produktion längerfristig möglich macht, hat einige Hörer:innen genervt. Ich glaube, wir sollten vermehrt erklären, wie wir arbeiten und dass hinter einem Produkt viel Arbeit, Zeit und Recherche steckt. Die Abos alleine decken die Kosten meist nicht. Transparenter sein, kann da helfen. So steigt dann auch das Verständnis für unseren Beruf. 

Britschgi: Genau, der höchste Wert im Journalismus ist nicht Geld, sondern Glaubwürdigkeit. Über Transparenz können wir unsere Glaubwürdigkeit, die beispielsweise durch Fake News gelitten hat, zurückgewinnen. 

Bachmann: Transparent sein, heisst auch, ehrlich zu sein. Früher ging man davon aus, dass Journalist:innen neutral sind. Heute ist es ehrlicher, wenn man anerkennt, dass wir alle Menschen mit verschiedenen Backgrounds sind. Das können wir nicht abstellen, sollten uns dessen aber bewusst sein.

Diese Aspekt scheint umso wichtiger, in einer Zeit, wo Journalismus oft an eine Person geknüpft wird. Journalist:innen exponieren sich immer mehr in den sozialen Medien als Gesichter. Wie viele Follower man hat, kann durchaus ein Einstellungskriterium sein. Wie steht ihr dazu?

Bachmann: Ich bin geteilter Meinung. Beim professionellen Podcasten ist es oft Thema, wieviel man von sich als Person preisgibt. Grundsätzlich kann es helfen, um eine Beziehung mit den Hörer:innen aufzubauen und damit auch Vertrauen. Aber die Grenzsetzung von Persönlichem und Beruflichem ist heikel. Wo hört das Journalist:in sein auf und wo fängt es an?

Britschgi: In den Klassen der Ringier Journalistenschule ist das immer wieder Thema. Früher war die Selbstausbeutung cool und sexy. Man war stolz darauf, alles zu geben. Die jungen Journalist:innen machen sich viel mehr Gedanken um ihr Selbstmanagement. 

Cool und sexy sei früher die Selbstausbeutung als Journalist:in gewesen, sagt Hannes Britschgi. Die heutige Generation scheint achtsamer mit sich selbst.

Bachmann: Das stimmt. Die Leute brauchen Einordnung und haben ein hohes Bedürfnis nach News. Aber ganz ehrlich, niemand wartet auf dich und deinen Text, dein Podcast oder dein Video. Es gibt ja bereits eine enorme Flut an Inhalten. Man darf sich auch mal zurücknehmen.

Britschgi: Nur bedingt. Es geht darum, wer zuerst ist. Klar, das ist nicht alles, aber es befeuert die Flut an News. 

Bachmann: Darum muss man sich erst recht überlegen, woran man teilnehmen will. Das Schnelle haben wir ja schon. Wir müssen uns überlegen, wie wir einen Mehrwert bieten und gute Geschichten erzählen können. 

Britschgi: Heute werden Klicks und Quoten viel stärker gewichtet. Das fliesst bis in Leistungsziele ein, die den Lohn oder zumindest den Bonus bestimmen. 

Bachmann: Das ist problematisch. Wenn wir uns nur noch an Klickzahlen messen – dann tun wir unseren Job nicht. Doch es ist die Realität. Was aber geklickt wird, heisst nicht gleich guter Inhalt…

Britschgi: …und was nicht angeklickt wird, ist nicht gleich gut. Das hiess es früher bei schlechten Quoten im Fernsehen: «Wir machen halt Qualitätsjournalismus und keine Unterhaltung.»

Bachmann: Quatsch. Es gibt ja auch Qualitätsjournalismus, der unterhaltet. Es wäre wichtig, dass wir unsere Erzählweise an dem orientieren, was die Menschen auch konsumieren, statt uns voll dagegen zu wehren. Qualitative Inhalte sollten wir einfach und attraktiv erzählen.

Du hast ja vergangenen Dezember ein Podcast zu den Pandora Papers gemacht. Die Papers enthüllten einen grossen Skandal, doch die Erschütterung blieb aus. 

Bachmann: Genau, das war unser Eindruck. Die Pandora Papers waren eine riesige Recherche und die Menschen – so wie ich es wahrnahm – waren ziemlich gleichgültig. Darum haben wir uns dazu entschieden, eine Podcast-Serie zu machen, wo wir die Fakten herunterbrechen und das Geschehen spannend und nahe an den Menschen erzählen.

«Wer eine gute Geschichte erzählen kann – ob früher oder heute – den:die braucht es.»

Hannes Britschgi

Britschgi: Darum geht es. Das Internet ist der Kanal. Aber konsumieren wollen die Leute Geschichten, Porträts und Reportagen, die bewegen. Wer eine gute Geschichte erzählen kann – ob früher oder heute – den:die braucht es. Wer riecht den Trend? Wer sieht Themen, die Leute begeistern? Das machen nicht Computer. Das ist die wahnsinnige Kreativitätsmaschine – unser Hirn. 

Wie seht ihr die Zukunft des Journalismus?

Bachmann: Wir sollten von jungen Menschen lernen, beobachten auf welchen Plattformen sie sich bewegen und offen für neue Formate sein. Zum Beispiel liebe ich Narrative-Podcast Serien, in der auch die Ich-Perspektive platz findet und mich die Reporter:innen mitnehmen. Zu viel «Ich» ist aber auch problematisch. Wir müssen dem Publikum vertrauen, dass es sich seine Meinung bilden kann und vorsichtig mit eigener Wertung sein.

Britschgi: Demnächst gebe ich die Leitung der Ringier Journalistenschule ab. Ich bin neugierig, was ich im Journalismus noch erleben werde. Ich könnte mir vorstellen, dass die zukunft stark von Nischen bestimmt sein wird. Jene, die die Nase dafür haben, braucht es.

Apropos neue Formate. Seid ihr auf Tiktok?

Britschgi: Ja. Auch diese Quelle benutze ich.

Bachmann: Yes! Aber nur als Zuschauerin. Ich mag die Mischung aus Blödsinn, Tanz und Trends. Ich bin grosser Fan meines Algorithmus und brauche die App zum Spass und zur Unterhaltung. Tiktok ist sehr vielfältig und quasi das Zuhause von kreativer Informationsvermittlung. Es tummeln sich beispielsweise Physiker:innen, Psycholog:innen oder Töpfer:innen am selben Ort und erklären dir ihre Welt – einfach, niederschwellig und fesselnd. Auch Journalist:innen und Medienhäuser haben unterdessen Accounts, wo sie losbrechen von bekannten Genres und gerade eine neue Art von Erzählen miterfinden. Spannend! 


Fokusmonat Journalismus

Der Journalismus kriselt, wir reden darüber! Während des Monats April setzen wir uns intensiv mit dem Journalismus auseinander. Dabei beleuchten wir Themen wie die Gleichstellung im Journalismus, die Rolle von Diversität im Journalismus bei der Integration (und inwiefern es sie überhaupt gibt) und die Grenzen zwischen Klimajournalismus und Aktivismus. Im Rahmen des Fokusmonats finden eine Pitch-Night sowie drei thematische Podiumsveranstaltungen statt. 

Alle Infos findest du auf tsri.ch/journalismus


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