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Von Rahel Bains

Redaktionsleiterin

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22. Juli 2020 um 14:30

«Es bringt nichts, wenn man Frauen des Images wegen bucht»

Jenny Kamer ist Bookerin beim Club Zukunft und steht manchmal auch selber hinter dem DJ-Pult. Die Zürcherin ist dafür bekannt, Künstler*innen zu entdecken, die kurz vor dem Durchbruch stehen. Ein Gespräch über Quoten-Frauen und einen Job, der gar nicht so «Rock’n’Roll» ist, wie er scheint.

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Jenny Kamer/ Bilder: Elio Donauer

Jenny Kamer ist ein auditiver Mensch. Hört sie ein Lied, das ihr gefällt, beginnt sie zu recherchieren. Sie kann sich über ihr Gehör auch am besten Dinge merken. Das erkennt damals in der Berufsschule auch ein Lehrer. Er lässt sie während des Unterrichts als Einzige in der Klasse auf dem Handy rumdrücken – solange sie wie versprochen zuhört. Jenny schliesst das Fach an der Berufschule für Detailhandel mit Bestnoten ab.

Sie sei «ein spezieller Teenager» gewesen, erzählt die heute 28-Jährige. Ein Skatergirl mit den obligaten DC-Schuhen, das bereits alleine wohnt und nebenbei im Event-Bereich jobbt. «Ich hatte eine grosse Klappe und scheute mich nicht, meine Meinung kundzutun. Das kam dort irgendwie gut an», erinnert sie sich. Mit 17 Jahren führt sie bereits ein mehrköpfiges Team und veranstaltet Partys. Sie, die bis anhin am liebsten Indie-Pop gehört hat, kommt damit zum ersten Mal in Berührung mit House-Musik.

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Mit 20 zieht Jenny nach Zürich und heuert als Junior-Bookerin in einer renommierten Modelagentur an: «Es war wie in der Teufel trägt Prada.» Sie kann es nicht mit sich vereinbaren, magersüchtigen Mädchen sagen zu müssen, dass sie noch mehr abnehmen sollen – und kündigt. Sie beginnt für eine Zürcher, später dann für eine Berliner DJ-Booking-Agentur zu arbeiten. Nach einem kleinen Abstecher zu SRF Virus und hinter die Tresen einer Bar kommt schliesslich ein Jobangebot vom bekanntesten Club für elektronische Musik in der Schweiz, der Zukunft.

Manche Leute haben das Gefühl, ich schlafe jeden Tag bis 12 Uhr.

Jenny Kamer

Einzige Frau im Bookingteam

Seit zwei Jahren ist Jenny dort als einzige Frau fester Bestandteil des Bookingteams. Zusätzlich ist sie für die Personalführung zuständig und Mitglied der Geschäftsleitung. Ihren Job stellen sich die meisten mehr «Rock’n’Roll» vor, als er wirklich ist. Am Wochenende ist sie zwar jeweils im Club unterwegs – manchmal hinter den Turntables, manchmal auch nur operativ hinter den Kulissen – unter der Woche ähnelt ihre Tätigkeit jedoch eher einem klassischen 9 to 5 Job. «Manche Leute haben das Gefühl, ich schlafe jeden Tag bis 12 Uhr», so Jenny.

Clubben? Lieber in Lissabon oder Berlin

Die Nächte in Zürich bedeuten für Jenny oftmals Arbeit. Clubben geht sie darum nicht mehr oft und wenn, dann lieber in Berlin oder Lissabon. «Ich will sehen, was dort gerade so abgeht und wie sich die Stimmung in den Clubs anfühlt.»

Wieder zu Hause muss sie für die Zukunft und ihre dort angegliederte Partyreihe CARA planen, budgetieren und dafür sorgen, dass Acts gebucht werden, die auch die Gäste gut finden. Jenny ist bekannt dafür, Künstler*innen zu entdecken und fördern, die gerade eben noch unter dem Radar des öffentlichen Interesses laufen: «Wenn du das Vertrauen der Gäste erst einmal gewonnen hast, kannst du Künstler*innen buchen, die man vielleicht noch nicht so kennt und ihnen damit den Ruck geben, den sie für den Durchbruch brauchen.»

Die Sache mit den Quoten-Frauen*

Jenny ist sich bewusst, dass bei der Anzahl gebuchter weiblicher DJs noch viel Luft nach oben besteht. Trotzdem will sie keine Quoten-Frauen engagieren: «Es geht doch um Gleichberechtigung. Ich achte darauf, dass beide Geschlechter beziehungsweise auch Geschlechter, die sich nicht definieren lassen, berücksichtigt werden.» Dies kann heissen, dass manchmal eine Party veranstaltet wird, an der nur Männer oder nur Frauen auflegen. Einfach, weil es musikalisch gerade passt. Das Wichtigste sei, so Jenny, dass über das ganze Jahr gesehen ausgeglichen gebucht werde. «Es bringt nichts, wenn man Frauen des Images wegen bucht – Frauen, die vielleicht noch nicht bereit sind, öffentlich zu spielen.» Was es brauche sei mehr Raum, Zeit und Ressourcen, um diese bei der Entwicklung zu unterstützen.

Selbst ein DJ, der seit 10 Jahren auflegt, kann sich mal vermixen. Das passiert den Grössten.

Jenny Kamer

Jenny lädt deshalb oft junge Künstler*innen in ihren Club ein. Dann, wenn alle Nachtschwärmer ausgeflogen und die Tanzflächen leer sind. Dort gibt sie ihnen die Möglichkeit, sich langsam an das Handwerk heranzutasten, rät Dinge wie: «Wenn du vor Publikum auflegst, musst du bedenken, wo du dich im Raum befindest. Achte auf die Monitoren, geh mal ein paar Meter weiter nach vorne und spüre, wie sich deine Musik anfühlt.» Ihre Message: «Lasst euch nicht verunsichern. Selbst ein DJ, der seit zehn Jahren auflegt, kann sich mal vermixen. Das passiert den Grössten.»

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«Ich liebe es, alte und neue Musik zu vereinen»

Jenny liebt ihre Arbeit und die damit verbundene Hektik. Die zwangsbedingte Entschleunigung durch den Lockdown tut ihr anfangs zu ihrer eigenen Überraschung zwar gut, nach drei Wochen hält sie es aber fast nicht mehr aus: «Ich bin eine Planerin und planen ist etwas, das ich im Moment schlicht nicht kann. Wenn mein Leben ein Kartenhaus wäre, dann hätte Corona zuerst reingeblasen und jetzt noch einmal so richtig reingekickt.» Sich in Selbstmitleid zu suhlen ist aber nicht ihr Ding: «Ich mache das, was ich kann. Suche neue Musik und Künstler*innen, nehme Gigs wahr, die stattfinden dürfen und tausche mich international mit DJs und Booker*innen aus.»

Melodiöse Songs mit Charakter, das sind Jennys Favoriten. «Man darf die Roots nicht vergessen. Alles hat irgendwo seinen Ursprung und ich versuche das zu respektieren.» Das merkt man auch an ihren DJ-Sets: «Ich will nicht, dass man die alten Sachen vergisst, aber Neues auch nicht schlecht machen. Ich liebe es, beides zu vereinen.» Egal ob die Tanzfläche voll ist oder nicht, ob die Leute tanzen oder lieber einfach nur zusammenstehen, solange «der Vibe» stimmt, ist Jenny zufrieden. Ihr Ziel: «Ich will einfach, dass die Leute die beste Zeit haben. Das ist für mich das Schönste überhaupt.»

Portraitserie – Frauen des Nachtlebens
Das Nachtleben gilt als Männerdomäne – zu Recht: Der Frauenanteil in den Bar- und Club-Berufen ist sehr gering. Wir haben sieben Frauen getroffen, die die Nächte in der Stadt prägen. Die Frage «Was magst du am Zürcher Nachtleben, was nicht?» haben wir jeder gestellt. Ansonsten haben wir mit ihnen über Platten, Wein und den Alltag fernab der Nacht geplaudert.

1. Zarina Friedli – Kollektiv F96
2. Zinet Hassan – DJ Verycozi
3. Nathalie Brunner – DJ Playlove
4. Jenny Kamer – DJ und Bookerin Zukunft
5. Timea Horváth – Selekteurin Gonzo
6. Vera Widmer – Besitzerin Playbar
7. Valentina – DJ MS HYDE und Veranstalterin Konzerte Bar3000

Was magst du am Zürcher Nachtleben?

«Ich bewege mich in einem Mikrokosmos und habe in meinem direkten Umfeld einen grossen musikalischen Austausch – das finde ich sehr schön. Ich bin von tollen Menschen umgeben und erhalte Support. Ich habe auch das Gefühl, dass meine Arbeit in vielen Bereichen Früchte trägt.»

Und was nicht?

«Mich nervt es, dass die Leute in Zürich judgy sind. Dass manche mehr gegeneinander arbeiten und missgünstig sind, anstatt sich zu unterstützen. Ich wünsche mir, dass die Leute offener, toleranter und loyaler werden und sich gegenseitig mehr supporten. Wir sitzen am Ende doch alle im gleichen Boot. »

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