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19. April 2019 um 09:00

Film «Passion»: Ist ein richtiges Leben im Falschen möglich?

Christian Labharts neuer Film «Passion – Zwischen Resignation und Revolte» porträtiert 60 Jahre menschlichen Irrsinn. Ein Gespräch über seine Beweggründe, die Fehler der 68er und die Gefahren des Kinderkriegens.

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Ein Pool auf dem Dach. Ein Kreuzfahrtschiff in Venedig. Betrunkene auf dem Oktoberfest. Christian Labhart zeigt Bilder, die unangenehm sind, obwohl man sie nicht zum ersten Mal sieht. Lösungen für eine bessere Welt hält er keine bereit. Dafür veranschaulicht er die Parallelität der Ereignisse, eng verwoben mit seiner eigenen Biographie. «Sie ertrinken im Meer – ich sitze im Theater», heisst es an einer Stelle. Im Kontext der europaweiten Klimabewegung wird man das Gefühl nicht los, Labhart versuche die Generationen zu versöhnen. Ob am Ende des Films die Resignation oder der Wunsch nach Revolte überwiegt, bleibt eine Frage des persönlichen Standpunkts.

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Warum hast du auf ermutigende Lösungsansätze verzichtet?

Es gibt ganz viele tolle Filme, die beispielsweise selbstverwaltete Dörfer im Kongo oder Urban Gardening Projekte in New York zeigen. Ich wollte jedoch einen Film über alles machen. Etwas Sperriges. Etwas Politisches. Etwas, das alles umfasst. Nicht nur ein bisschen hier und ein bisschen dort. Das hat natürlich auch mit dem wichtigen Satz von Adorno zu tun – «es gibt kein richtiges Leben im Falschen.» Ich bleibe sehr radikal.

Du bist 1968 selbst auf die Strasse gegangen. Fühlst du dich persönlich angegriffen, wenn Klimastreikende heute behaupten, die Alten hätten es versäumt, unsere Welt zu retten?

Das ist eine ambivalente Geschichte. Viele von uns sind in Institutionen gegangen, ins Parlament, zur SP oder zu den Grünen. Ich finde, das war falsch. Man begibt sich damit in das System und wird von diesem absorbiert. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich mit meinen Positionen auf der Seite stand, wo jetzt die Klimastreikenden stehen. Ich will aber auf keinen Fall ein alter Linker sein, der den Jungen nun heisse Tipps gibt und ihnen auf die Schulter klopft. Zu den Klimademonstrationen gehe ich natürlich trotzdem und manchmal habe ich Tränen in den Augen, wenn die Jungen rufen: «Wem sini Strasse, eusi Strasse. Wem sini Welt, eusi Welt.»

Manchmal frage ich mich, durch welche Kräfte Bewegungen gross werden. Wie viel echte Empörung lag deiner Revolte zugrunde und wie viel Wunsch nach Zugehörigkeit?

Ich war damals 15 Jahre alt und auf dem Weg vom Tanzkurs nach Hause, als ich in meine erste Demonstration geriet. Ich lernte viele Ältere der Bewegung kennen. Irgendwann boten sie mir an, dass ich zu ihnen in die WG kommen könne, sollte ich eine Freundin haben und mit ihr schlafen wollen. Freie Liebe war ein grosses Thema. Und ich dachte mir, wow, die sind so frei und tragen Pelzjacken und langes Haar. Also ja, Zugehörigkeit ist wahrscheinlich ein wichtiger Teil gewesen. Aber es war letztlich die Mischung aus Dabeisein und dem Krieg im Vietnam, der zu dieser explosiven Mischung führte. Und natürlich die Opposition gegen die Eltern.

1968 konnte man mit dem Finger klar auf die Politik zeigen. Vietnam, Atomkraft, Frauenrechte. Beim Klimawandel ist das anders, alle sind Teil des Problems.

Es ist nach wie vor ein Problem des Systems. Du selbst kannst zwar vegan leben und nicht mehr fliegen, aber es braucht einen grundsätzlichen Wechsel. Heute gibt es zusätzlich ein planetarisches Problem, welches – Kapitalismus hin oder her – existiert. Unser Haus brennt, wie Greta richtig sagt. Das ist eine Komponente, die wir 1968 nicht hatten.

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«Du hockst zuhause und redest von Revolution» – soweit ich weiss, sind das die Worte deiner Frau. Wenn 1% der Menschheit so viel besitzt wie der Rest, gibt es genug Benachteiligte, die sich auflehnen könnten. Was hemmt uns?

Das ist die zentrale Frage des Films. Wieso passiert nichts? Warum kommen Abstimmungen wie die Erbschaftssteuer nicht durch? Der Steuersatz auf Nachlässe sollte 20 Prozent betragen, bei einem Freibetrag von zwei Millionen Franken. Und obwohl fast niemand zwei Millionen besitzt, wird die Initiative abgelehnt. Im Film zeige ich den Irrsinn unserer Welt und hoffe, dass die Leute rausgehen und denken: Das ist wirklich Irrsinn, wir müssen etwas machen.

Und dieser Irrsinn wird verursacht durch Mechanismen der Anpassung?

Ja. Zu diesen Mechanismen zählen: Spektakel – zum Beispiel Fernsehshows. Tourismus – die Möglichkeit für 1000 Stutz nach Dubai zu fliegen und einen Wüstentrip mit dem Geländewagen zu machen. Konsum – zu glauben, wenn ich das kaufe, bin ich ein geiler Typ. Religion und Esoterik – die Annahme, dass die innere Zufriedenheit das Wichtigste ist und ich mich nicht mehr auflehnen muss. Das sind die subtilen Mechanismen. Und dann gibt es noch die repressiven. Also wenn du aus der Reihe tanzt – Stichwort Psychiatrisierung. Wenn man Leute ruhig stellt.

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Schwächt das Familienleben das eigene Vermögen, sich aufzulehnen?

Eindeutig. Du bist absorbiert und es ist extrem schwierig, das Aussen noch im Blick zu behalten. Und dann liebst du deine eigenen Kinder auch noch über alles. Jeden Furz, den sie machen, jeden Schritt bestaunst du. Erst 2011, als die Bewegungen in den arabischen Ländern losgingen und unsere Kinder schon älter waren, habe ich gemerkt, wie mein Blick für das Aussen zurückkehrte.

Wenn du nur aus Perspektive der Weltprobleme denkst: Hättest du mehr bewegen können, wärst du niemals Vater geworden?

Ich glaube ja. Und das wäre auch vom Klima her ökologischer gewesen. Und dennoch liebe ich meine Kinder.

Lehrer warst du auch. Welche Rolle übernimmt das Bildungssystem, wenn es darum geht, solidarische Menschen gross zu ziehen?

Das Bildungssystem ist ein Mechanismus der Anpassung. In der zweiten Klasse beginnt das System der Selektion und nach der sechsten ist schon ziemlich klar, wer ins Gymnasium kommt. Selektion und Konkurrenz sind Prinzipien des Kapitalismus. Heute ist es das Prinzip der Schule. Auch wenn es einzelne Lehrer gibt, die es zu durchbrechen versuchen, am Ende des Schuljahres werden knallharte Noten vergeben.

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Ein Zitat von Bertolt Brecht aus dem Film lautet: «Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser. Ach, wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein.» Habt ihr in diesem Punkt versagt?

Eigentlich wollten wir ja eine solidarische Gesellschaft sein. Unsere Utopie ist eine Welt, in der der Mensch dem Menschen ein Helfer ist. Das haben wir leider nicht geschafft. Wir sind zynisch geworden. Verhärtung gekoppelt mit Resignation. Man fängt an sich aufzuregen über diejenigen, die Frösche über die Strasse tragen. Aber das ist eigentlich gemein. Sie meinen es ja gut.

Braucht es Freundlichkeit oder zumindest Empathie auch denjenigen gegenüber, die Leid in unsere Welt bringen?

Ja, sogar Trump ist ein Mensch. Auch er liest seinem Sohn vielleicht Gutenacht-Geschichten vor. Als Mensch hasse ich ihn nicht, das Problem ist seine Funktion. Das ist eine wichtige linke Grundhaltung im Gegensatz zu Rechten, die den Hass auf Flüchtlinge schüren.

14 Jahre nach 1968 hast du die Revolte niedergelegt und bist aufs Land gezogen, um mit Freunden einen Bauernhof zu bewirtschaften. Ein Paradebeispiel für Wohlstandseskapismus, könnte man behaupten.

Ja, wir damals – und leider auch die meisten in der Klimabewegung heute – stammten tatsächlich aus dem Mittelstand oder der Oberschicht. Diejenigen, die schon früh auf den Bau müssen, haben vermutlich gar nicht die Zeit, sich mit Adorno auseinanderzusetzen. Der Schritt aufs Land war ein Mischung aus Resignation und dem Versuch zu schauen, wie es sein könnte. Wir lebten ohne Chef, ohne Bereicherung und alle mit gleichen Gehältern. Alles was wir im Grossen wollten, haben wir dort im Kleinen probiert.

Und wie lautet dein abschliessendes Urteil? Ist ein richtiges Leben im Falschen möglich?

Nein.

«Passion - Zwischen Resignation und Revolte» kommt heute in die Zürcher Arthouse Kinos. Am 20.04. um 17:30 Uhr findet eine Diskussion zwischen Klimaaktivist*innen und mit Christian Labhart im Kino Palace Wetzikon statt.

https://www.passion-film.ch/

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