Ist der weisse Mann vom Aussterben bedroht? Teil 3 – Urs - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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10. Juli 2019 um 13:00

Ist der weisse Mann vom Aussterben bedroht? Teil 3 – Urs

Wie reagiert der alte, weisse Mann, wenn er mit Fragen zu Rassismus und Sexismus konfrontiert wird? Er fühlt sich angegriffen und bedroht, er verteidigt sich. Katrin Hasler hat der aussterbenden Spezies ein Buch gewidmet, gefüllt mit Interviews. Tsüri.ch publiziert drei gekürzte Gespräche; heute Teil 3 mit Urs.

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Interview: André Moita

Fotos: Djamila Grossman

Dieses Interview ist Teil 3 der Artikelserie zum «weissen Mann». Hier gehts zum Vorwort der Herausgeberin.

Ist der weisse Mann an allem schuld?

Es ist immer eine Frage des Standpunkts. Aus Sicht der ganzen Emanzen sind wir ja an allem schuld. Es braucht aber immer zwei. Das Ganze ist bestimmt auch ein Stück weit genetisch bedingt. In der Steinzeit gab es solche, die Nahrung besorgt haben, und solche, die zuhause geblieben sind und für den Nachwuchs gesorgt haben. So ist diese Trennung entstanden. Ich habe mehrere Diskussionen darüber geführt, ob der Mann die Frau unterdrückt. Ich sehe das nicht so, aber insbesondere die emanzipierten weiblichen Wesen sehen das ja anders. Wenn man sich als weisser Mann identifiziert, ist man sofort ein Sexist, Rassist oder gar Nazi.

Leben wir in einer Empörungsgesellschaft?

Ja, schon lange. Eine empörte Masse lässt sich einfacher instrumentalisieren. Das ist auch vor dem ersten Weltkrieg passiert und auch im Balkankrieg. Heutzutage gehört es vielleicht sogar zum guten Ton, empört zu sein. Ich finde es nicht nötig.

Findet eine Gleichschaltung statt?

Die Frage ist, wo die Gleichschaltung anfängt. Wenn es nur eine uniforme Masse gibt, dann wird es für jene in leitenden Positionen einfacher, alles zu führen. Wenn alle wie Lemminge gleich denken, rennen sie alle in die gleiche Richtung – es gibt ja auch einen Gruppeneffekt. Auch jene, die anders denken, können dem Strom eines Tages nicht mehr widerstehen, wenn er zu stark wird.

Bist du auch ein Lemming?

Jeder Mensch ist zu einem bestimmten Ausmass ein Lemming, da sich jeder in bestimmten Bereichen anpassen muss. Ich kann zum Beispiel bei der Arbeit nicht so fest dagegen rudern. Entscheidend ist eigentlich nicht, ob man ein Lemming ist oder nicht. Es geht darum, wie stark sich etwas mit meiner Persönlichkeit, meinem Ich und meiner Denkweise deckt, und wie weit ich damit leben kann. Wenn ich meine Persönlichkeit komplett abgeben muss, um irgendwo dabei zu sein, muss ich eine Entscheidung treffen.

Bist du zufrieden mit dir selbst?

Wenn man zufrieden ist, dann ist man nicht mehr im Prozess drinnen.

Läuft der Prozess gut?

Er läuft. Früher wurde mir oft vorgehalten, dass man Ziele im Leben haben muss: Man muss, man muss, man muss. Nein! Ein Ziel zu haben ist eine Flucht für Menschen, die vor sich selbst wegrennen möchten. Ich weiss nicht, wo ich in einem oder zwei Jahren sein werde: keine Ahnung.

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Teilst du das Männerbild der 50er vom starken Mann, der arbeitet und das Geld nach Hause bringt?

Das ist die Klischeevorstellung, die man von den 50ern hat. Männer haben tatsächlich mehr gearbeitet und mehr verdient. Nur: Es gibt ja den Spruch, dass hinter jedem starken Mann eine starke Frau steht. Die Rollenverteilung war damals grundsätzlich anders. In der Gesellschaft und in der Beziehung war aber auch damals das Teamwork zentral.

Ist das heute noch ein Thema?

Viele Frauen wollen heute emanzipiert sein, aber sie suchen trotzdem den starken Mann zum Anlehnen. Das macht es heute schwierig. Die meisten Frauen wollen, dass der Mann um sie wirbt. Das hat auch mit Gesellschaftsbildern zu tun. Wenn eine Frau das Gleiche macht, dann gilt sie schnell als Schlampe und der Mann ist der coole Typ.

Was passiert, wenn ein Mann so viele verschiedene Signale bekommt?

Das macht es schwierig. Es verwirrt zum Teil und es macht unsicher, weil man nicht weiss, wie man sich verhalten soll. Wenn ich zurückschaue, kann es insbesondere in jungen Jahren extrem verunsichern.

Viele Frauen wollen heute emanzipiert sein, aber sie suchen trotzdem den starken Mann zum Anlehnen.

Ist es dir wichtig, dass du als starker Mann wahrgenommen wirst?

Es geht nicht darum, wie man wahrgenommen wird, sondern es geht darum, wie man ist.

Ist es dir wichtig, ein starker Mann zu sein?

Grundsätzlich hängt es von der Situation und dem Umfeld ab. Klar, ich denke, dass meine Generation sehr stark von den damaligen Stereotypen geprägt ist. Diese Stereotype hört man auch von Frauen: Der Mann darf keine Gefühle zeigen.

Ist dieses Männerbild Teil von dir?

Früher war es das: Man hat keine Gefühle gezeigt. In vielen Bereichen komme ich immer noch so rüber, das funktioniert relativ gut. Aber es gibt Situationen, in denen es absolut berechtigt ist Gefühle, zu zeigen. Das macht Stärke aus. Man muss dazu stehen können und nicht alles verdrängen.

Siehst du den Mann als das stärkere Geschlecht?

Nein, aber er ist anders. Jeder hat seine Stärken. Das klingt jetzt sehr blöd, aber das hat ja irgendwie seine Berechtigung. Es gibt ja zwei Geschlechter und sie sind unterschiedlich. Es ist schön, wenn Frauen Lastwagen fahren und davon leben können. Ich finde es nicht schlimm, aber was ich als Mann persönlich bei den heutigen Frauen vermisse und was mir an den 50ern ganz gut gefällt, ist das Feminine und das Weibliche. Wenn man heute die Jugendlichen anschaut, dann sind sie entweder extrem aufgedonnert oder sie sind Mannsweiber.

Was ist für dich feminin?

Viele sagen, dass es ein Klischee ist, aber es ist so: Der Mann läuft als Mann herum und die Frau als Frau.

Haben die Frauen an Persönlichkeit verloren?

Ja. Wir haben alle an Persönlichkeit verloren. Jeder, der anfängt, seine Persönlichkeit zu leben, gilt in der Gesellschaft als Exote – egal, ob es ein Punk oder ein Skin ist. Ich denke, dass dies problematisch ist. Genauso wie Männer an Persönlichkeit verloren haben, haben es auch die Frauen.

Spielt der Feminismus in dieser Entwicklung eine Rolle?

Es ist definitiv eine treibende Kraft. So wie man die Hardcore-Machos auf der einen Seite hat, hat man die Hardcore-Emanzen auf der anderen Seite und sobald sie ins Extreme gehen, wird es schwierig.

Wenn ein Feminist auf der Strasse Spenden sammeln würde, würdest du ihm Geld geben?

Für mich spendet auch niemand.

Aber bist du für oder gegen den Feminismus?

Dass es eine Gleichstellung gibt, ist sicherlich nicht schlecht. In der heutigen Gesellschaft ist das Anforderungsprofil anders als in der Steinzeit. Aber wenn man anfängt zu sagen, der weisse Mann ist an allem schuld – solange man sich in dieser Polemik bewegt –, ist es sinnlos.

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Wer wird mehr diskriminiert – Frauen oder Männer?

Im Moment wird der Mann von allen Seiten angegriffen und ist an allem schuld. Wenn ich an meinen Sohn denke, der gerade 21 geworden ist, dann ist es für ihn vielleicht sogar schwieriger als für meine Tochter. Die Gesellschaft wirft den heutigen Männern etwas vor, worauf man als Person überhaupt keinen Einfluss hat. Die Rollenverteilung war früher einfach so. Uns in der Gegenwart damit zu belästigen, finde ich absolut falsch.

Wer hat es schwerer: dein Sohn oder deine Tochter?

Es kommt darauf an. Wenn meine Tochter auf Araber stösst, dann hat sie es sicherlich schwieriger als mein Sohn.

Wer wird in der Schweiz mehr in die Mangel genommen?

Das ändert sich sehr schnell. Als Mann sieht man sich heute eher in der Opferrolle.

Was ist weiblich? Ich koche.

Machst du etwas, das typisch weiblich ist und worauf du stolz bist?

Es fällt mir spontan nichts ein. Was ist weiblich? Ich koche. Es gibt mehr männliche Profiköche als weibliche. Es gibt definitiv mehr Frauen, die nähen, aber auch ich nähe manchmal. Aber sagen wir so: Man muss sich irgendwie über Wasser halten. Entweder mache ich das Zeug selbst – und so Sachen gehören auch mal dazu – oder ich kaufe die Dienstleistung ein. Das ist auch eine Möglichkeit.

Du schämst dich also nicht zu sagen, dass du nähst?

Ich brauche niemanden, der Knöpfe für mich annäht. Das haben wir ja auch bei den Pfadfindern gelernt.

Vernissage des Projekts ist am 11. Juli ab 19 Uhr im cc-café!

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