Open Data Spezialist Sieber: «Schon die Publikation von Hundenamen führte zu Diskussionen» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von lydia lippuner

Redaktorin

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24. Mai 2018 um 13:06

Aktualisiert 26.01.2022

Open Data Spezialist Sieber: «Schon die Publikation von Hundenamen führte zu Diskussionen»

Bis Ende 2018 will die Stadt Zürich eine Smart City-Strategie erarbeiten. Ein Grundstein dafür ist Open Government Data (OGD): Der offene Zugang zu möglichst vielen Datensätzen der Stadt Zürich. Wir haben bei Marco Sieber – einem Open Data Spezialist der Stadt Zürich – nachgefragt, was die Motivation dahinter ist und welche persönlichen Daten trotzdem noch geschützt bleiben.

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Wenn die Stadt Zürich bis Ende 2018 ihre Smart-City-Strategie erarbeitet, so ist ein zentraler Aspekt, «eine zuverlässige, offene und sichere Dateninfrastruktur» zu schaffen (Smart City? Hier wird's erklärt). Ein Kernstück dieser Infrastruktur ist Open Government Data (OGD): Öffentlich zugängliche Datensätze der Stadtverwaltung. Seit 2012 wird dieser Prozess der Veröffentlichung von behördlichen Daten durch «Open Data Zürich» vorangetrieben und bereits heute sind Hunderte von Datensätzen öffentlich zugänglich. Die Datensätze reichen von «Kinostandorte zwischen 1907 und 2018» über «Hauptsprachen nach Stadtquartier» bis zu «Aktuelle Tiefbauten auf öffentlichem Grund». Marco Sieber ist der Open Data Spezialist im Statistik-Bereich der Stadt Zürich. Im Interview erklärt er Tsüri.ch, wie weit OGD in Zürich bereits fortgeschritten ist, wo ein Umdenken stattfinden muss und welche Daten überhaupt veröffentlicht werden.

Zürich war die erste Stadt in der Schweiz, die Open Government Data (OGD) einführte. Wie kam es dazu?

Das hat direkt mit dem Legislaturschwerpunkt «eZürich» zu tun, dessen Ziel es war, Zürich als IT-Standort zu fördern. Dabei wurden zwischen 2010 und 2014 fast zwei Dutzend Projekte initiiert und umgesetzt. Die Bevölkerung wurde von Beginn an miteinbezogen, indem sie die Möglichkeit hatte, online ihre Ideen zur digitalen Zukunft von Zürich einzureichen. Von den 600 eingegangenen Vorschlägen wurde beispielsweise OGD – also das Publizieren von offenen Verwaltungsdaten, bei denen kein Schutzbedarf besteht – in Windeseile umgesetzt.

Was darf man sich genau unter «Windeseile» vorstellen?

Bereits Mitte 2012 erfolgte die Inbetriebnahme des Open-Data-Katalogs. Auf diesem sind mittlerweile rund 350 maschinenlesbare und vollständig dokumentierte Datensätze aus der Stadtverwaltung unter offener Lizenz zu finden.

Seither hat sich auch in der restlichen Schweiz einiges getan; so publizieren unterdessen Städte wie Genf, Basel und Bern aktiv offene Verwaltungsdaten. St. Gallen, Luzern und Winterthur sind mindestens in den Startlöchern dazu. Auch auf kantonaler Ebene und bei diversen Bundesämtern ist einiges in Bewegung, so sind aktuell auf dem nationalen OGD-Katalog von Opendata.swiss rund 3’500 Datensätze zu finden.

Wie entwickelte sich Open Data seit der Inbetriebnahme, und was veränderte sich?

Ich beantworte das mal nur für die Stadt Zürich, da es sich um eine globale Bewegung handelt. Diese globale Bewegung wurde von Barack Obama zu Beginn seiner Amtszeit lanciert, als eine von vielen Massnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. In der Stadtverwaltung würde ich sagen, dass sich OGD bereits langsam zu einer ’normalen‘ Dienstleistung entwickelt hat. Die Akzeptanz und das Erkennen der Sinnhaftigkeit von OGD ist sicher beträchtlich gestiegen seit 2012. Dadurch, dass es keinen «Zwang» zur Veröffentlichung von OGD gibt, bestehen ziemliche Unterschiede zwischen einzelnen Dienstabteilungen. Das ist aber normal und kommt fast überall vor, wo es Open Data Initiativen gibt, da es sich um einen ziemlich grossen Mentalitätswandel innerhalb der Verwaltung handelt. Wir wollen sowieso lieber überzeugen, statt Zwang anwenden. Zürich hat da sicher den Vorteil, dass sich hier viele sehr gut Ausgebildete aufhalten, die die Fähigkeit haben, mit den Daten entsprechend zu hantieren. Hier gibt es zahlreiche, aktive Communities, mit denen wir sehr gerne zusammenarbeiten. Aktuell sind gerade mehrere Events geplant, wie beispielsweise MakeZurich Vol. II oder der Wikidata Datathon.

Die Verwaltung und die Nutzer*innen werden durch Open Data entlastet. Sind nun die Autor*innen der Information die Verlierer*innen, da ihre Werke für alle und unentgeltlich zugänglich sind?

Wir hören dieses Argument schon ab und zu. Einige denken, dass dadurch der Verwaltung viel Geld verloren geht, da die Daten ja verkauft werden könnten. Der Punkt ist einfach, dass wir in der Verwaltung ja bereits von den Bürger*Innen finanziert wurden. Ohne die Steuereinnahmen, hätten wir die Daten gar nicht erst erheben können. Wieso sollten sie daher nochmals dafür bezahlen? Anders sieht es aus, wenn Dienstleistungen rund um die Daten angeboten werden; dann ist es normal, dass der entstandene Aufwand verrechnet wird.

Was ist die Motivation hinter Open Data?

Seitens Stadtverwaltung sind es vier Punkte: Erstens die Wirtschaftlichkeit. Die Daten, die oftmals mit grossem Aufwand erhoben und nur selten intern verwendet wurden, können nun von der Allgemeinheit mehrfach genutzt und wiederverwendet werden. Zweitens wird damit Innovation und Partizipation gefördert. Aus den Daten können Anwendungen und Dienstleistungen von Dritten erstellt werden, wodurch vor allem gesellschaftlicher Mehrwert entstehen kann. Das heisst, es soll im Alltag helfen, das Leben etwas einfacher zu machen. Ein weiterer Punkt ist die Effizienz. Früher war es bereits schwierig zu wissen, wo welche Daten zu finden sind, was sie überhaupt beinhalten und ob man sie dann auch wirklich verwenden darf. Oftmals musste man dann einen Datennutzungsvertrag mit den Rechteinhaber*innen der Daten abschliessen, was die Nutzung einschränkte und bei der Verwaltung beachtlichen Mehraufwand generierte. Mit OGD ist das nun viel einfacher. Alles, was sich auf dem OGD-Katalog befindet, ist einfach auffindbar, gut dokumentiert und in offener Lizenz verfügbar. Der vierte Punkt ist die Transparenz: Für uns steht das bis jetzt weniger im Vordergrund, aber kürzlich war eine Delegation aus der Ukraine bei uns zu Besuch. Für sie war dieses Thema natürlich sehr wichtig (Anm. d. Red. laut Transparency International war die Ukraine 2017 das korrupteste Land Europas).

Sie sprachen die Effizienz innerhalb der Verwaltung an. Heisst das auch, dass es mit Open Data weniger Leute braucht? Wurden Leute entlassen oder gab es Verschiebungen?

Nein, da kann ich Ihnen kein konkretes Beispiel nennen. Das hätte dann wohl eher mit der Digitalisierung generell zu tun. Es ist ja oft so, dass beispielsweise Datenanfragen einen Zusatzaufwand für die meisten Dienstabteilungen bedeuten und diese eigentlich anderes zu tun hätten. Das heisst, durch OGD sollen sich unsere Kolleginnen und Kollegen nun diesen Aufwand sparen und sich wieder viel mehr auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können. Im Übrigen bietet OGD auch für die Verwaltung selbst einen grossen Mehrwert. Wir hören oft, dass verwaltungsintern ebenfalls Daten vom OGD-Katalog bezogen werden, obwohls sie andernorts ebenso erhältlich gewesen wären.

Welche Daten sind absolute No-Gos für Open Data?

Wie eingangs erwähnt, werden ausschliesslich Daten frei verfügbar gemacht, welche keinen Schutzbedarf haben. Der Datenschutz ist dabei ein zentrales Thema. Wir halten uns an die geltenden Datenschutzrichtlinien. Es muss sichergestellt sein, dass keine Rückschlüsse auf Einzelpersonen möglich sind. Daher werden Sie beispielsweise nie Einzeldaten zur Religionszugehörigkeit, zum Einkommen und Vermögen oder die sexuelle Orientierung von Einzelpersonen bei uns finden. Abgesehen davon gibt es Musts: So sollten als offen deklarierte Daten unter einer wirklich offenen Lizenz verfügbar gemacht werden, damit jegliche Nutzung erlaubt ist.

Gab es Daten bei denen es Diskussionen gab, ob diese veröffentlicht werden dürfen?

Es gibt eigentlich fast immer Diskussionen. Wir hatten beispielsweise sogar schon Diskussionen, als es darum ging, Hundenamen zu publizieren. Was wir nicht erwartet hätten. Dabei gibt zwei Möglichkeiten den Datenschutz zu gewährleisten: Einerseits durch Anonymisieren und andererseits durch Aggregieren. Beim Aggregieren summiert man beispielsweise die Werte auf Stadtkreisebene. Wir versuchen stets so detailliert wie möglich zu publizieren, aber dennoch dem Datenschutz zu entsprechen. Bei den Hunden war es nicht möglich, die Daten so kleinräumig wie ursprünglich geplant zu publizieren, da die Befürchtung im Raum stand, dass die Wohnorte der Hundebesitzer in etwa hätten lokalisiert werden können.

Gibt es eine Möglichkeit, die veröffentlichten Daten zu schützen, sodass sie nicht in falsche Hände gelangen?

Nein, einen solchen Schutz hat man nicht. Sind die Daten einmal veröffentlicht, hat man keine Kontrolle mehr darüber.

Doch die Gefahr, dass Leute falsche Informationen verbreiteten, ist mit Open Data nicht grösser geworden als zuvor. Falls trotzdem jemand basierend auf Open Data falsche Informationen verbreitet, kann man verlangen, dass transparent aufgezeigt werden soll, wie diese «Fakten» entstanden sind. Damit hat man, im Gegensatz zu einer losen Behauptung, wenigstens eine Grundlage zum Diskutieren. Im datenjournalistischen Bereich wird das beispielsweise vom SRF-Data-Team vorbildlich gemacht. Sie publizieren sämtlichen Code zu ihren Analysen öffentlich auf Github.

Was passiert mit den Papierarchiven? Werden diese Teil von Open Data?

Die Archive sind schon seit langem im Prozess der Digitalisierung, und es stehen bereits sehr viele historischen Daten und Informationen frei zur Verfügung. Vor allem die ETH Bibliothek, aber auch das unser Stadtarchiv sind bereits aktiv daran, dies zu tun. Zum Beispiel wurden sämtliche Pfarrbücher eingescannt. Jene von 1525-1875 sind auch bei uns verfügbar. Diese Bücher sind deshalb interessant, weil sie früher wie ein Bevölkerungsarchiv verwendet wurden. Man schrieb auf, wer wann geboren und getauft wurde, heiratete oder starb.

Vom 16. Jahrhundert in die Zukunft: Was können wir von Open Data erwarten in den nächsten Jahren?

Wir arbeiten daran, dass in Zukunft alle nicht schützenswerten Daten in optimaler Form für die Allgemeinheit verfügbar gemacht werden. Interessant ist dabei sicher die Smart-City-Strategie, die bis Ende Jahr erarbeitet wird. Open Data sollte dabei als Basis-Infrastruktur gesehen werden. Mit «Smart City» und der Entwicklung des «Internet of things» hoffen wir natürlich ebenfalls, dass viel mehr Echtzeitdaten in guter Qualität als Open Data verfügbar gemacht werden können. Was wiederum für die Datennutzenden sehr interessant ist. So können beispielsweise flächendeckende Luftqualitätsmessungen oder die Belegung aller öffentlichen Parkplätze in Echtzeit verfügbar gemacht werden.

Titelbild: Lydia Lippuner

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