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Von Hanna Fröhlich

Redaktorin

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17. Juli 2020 um 12:50

«Hotmailhotnail»: Was Nailart mit Selbstbestimmung zu tun hat

Ivana und Yvee bieten unter dem Namen «Hotmailhotnail» Nailart an. Tsüri-Redaktorin Hanna Fröhlich war im Studio zu Besuch und sprach mit ihnen über das neue Bild des Nägelmachens und Acryl aus Mazedonien.

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Nailart von «Hotmailhotnail». Bild: zVg

Beim Betreten des Nagelstudios «Hotmailhotnail» im Rothaus an der Langstrasse sind Schleifgeräusche zu hören. In dem kleinen, bunt eingerichteten Raum mit der gelben Wand und dem rosa Neonlicht ist eine handvoll Frauen versammelt. Aus der Ecke leuchtet eine mit Folie beklebte Vitrine, die wie ein Aquarium aussieht. In der anderen Ecke steht unter einem Spiegel ein samtiger Stuhl. Das Schleifgeräusch kommt von einer Maschine, der man an diversen Orten begegnet, unter anderem auch beim Zahnarzt. Damit werden einer Kundin gerade die Acrylnägel abgeschliffen.

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Das Nagelstudio an der Langstrasse ist ein bunter Ort. Bild: Lara Blatter

Jeder Nagel ist mit einem anderen Design, einer anderen Farbe und einer anderen Oberfäche bearbeitet worden: Auf dem einen schimmert eine echte Blume durch den Lack, der andere erinnert an die Haut eines Reptils. Über dem Tisch hängt eine blaue Lampe, die dem Raum eine kosmische Atmosphäre verleiht. Die Lampe zieren Dekoartikel: Falsche Nägel in knalligen Farben und Formen und Plastik Koi-Fische. Darunter wuselt ein Hund geschäftig zwischen den Beinen umher. Ivana und Yvee, die das Nagelstudio führen, tragen beide Masken – wegen Corona – aber vor allem wegen dem Acrylstaub.

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Das Studio ist zu einem Treffpunkt geworden. Bild: Lara Blatter

«Es ist möglich, eine selbstbestimmte, arbeitende Frau zu sein und sich schön machen zu wollen»

Sie haben mit ihren in Zürich noch unüblichen Designs einen Trend in der Zürcher Szene etabliert. Denn ihr Nagelstudio ist kein Nagelstudio, wie man es sich vorstellt. Dahinter steckt eine klare Philosophie. «Noch bis vor einigen Jahren hatte ich Mühe, bewusst mit weiblichen Attributen umzugehen und mich zugleich feministisch engagieren zu können», sagt Ivana.

Der Gang ins Nagelstudio ist noch immer mit einem bestimmten Frauenbild assoziiert.

Ivana

Gemachte Nägel, oder eben der Gang ins Nagelstudio sei noch immer mit einem bestimmten Frauenbild assoziiert oder werden gar belächelt. Sich davon zu lösen, wäre ein schönes Ziel für «Hotmailhotnail», meint Ivana. Es hat etwas von «Sich zurücklehnen» und sich schön zu machen – nicht für sich selbst, sondern für andere. Etwas, was nur für ein bestimmtes Frauenbild ist; Frauen, die sich wohl ausschliesslich mit ihrem Äusseren beschäftigen oder keiner handwerklichen Arbeit nachgehen können. Es hätte diesbezüglich in der letzten Zeit einen Wechsel gegeben: «Diejenigen, die hierhin kommen, hatten vor ein paar Monaten noch ein komplett anderes Bild von Frauen, die sich die Nägel machen. Es ist mir wichtig, dass man sich von diesem Bild löst.» Eine selbstbestimmte, arbeitende Frau zu sein und sich schön machen zu wollen, sei durchaus miteinander vereinbar.

Deshalb hat das Nagelstudio auch flexible Öffnungszeiten und fast immer Abends geöffnet. Damit alle Zeit haben, um vorbeizukommen. Sich abends die Nägel zu machen, ist ein spezielles Gefühl. Draussen an der Langstrasse herrscht reges Treiben: Immer wieder fährt die Polizei durch, man hört Schreie, wenn zwei Langstrassenbewohner*innen sich streiten. Ab und an kommt jemand rein und erkundigt sich nach den Öffnungszeiten und freien Terminen. Aber sehr oft kommen Leute herein, die für mehrere Stunden bleiben, eine Flasche Wein mitbringen oder einfach ihre Neuigkeiten erzählen. Dadurch wird ein Raum geschaffen, in dem man sich wohlfühlt und alle willkommen sind. Ab und zu kommen auch Männer zur Nagelverschönerung. Der Frauenanteil überwiege aber klar, sagt Ivana.

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Je ausgefallener, desto besser: Modellierte Nägel von Yvee. Bild: Lara Blatter

Sechs Tage die Woche im Studio

Die Nägel werden gefeilt und geputzt, parallel dazu kann man sich schon Gedanken zu den Farben machen: Von Glitzer bis Matt, von Mint bis Pink stehen alle erdenklichen Töne zur Auswahl. Das Brainstormen über das Muster und das Design der Nägel ist ein Spass. Beide Betreiberinnen des Studios sind sehr kreativ und es mangelt nicht an Ideen. Jede*r kann für sich selbst entscheiden, wie sie oder er ihre Nägel haben möchte. Ob natürlich oder fake, lang oder kurz, ausgefallen oder unauffällig – die Nägel werden zum Schmuck und so Teil der Identität.

Wie so oft in der Mode steckt auch hinter dem Nägelmachen, der Maniküre und dem Acryl eine lange Geschichte. Nägel haben schon 500 Jahre vor Christus eine Rolle gespielt, Männer und Frauen haben sie bemalt und haben sich je nach Kultur damit von anderen abgegrenzt. Gewisse Farben waren zum Beispiel nur den Reichen vergönnt. Kleopatra im alten Ägypten hat sich die Fingernägel rot gefärbt. Diese Farbe durfte dann niemand anders tragen, sie hatte sozusagen das Patent auf rote Nägel.

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Ivana im Fenster des Nagelstudios im Rothaus. Bild: Lara Blatter

«Oft fragen uns die Leute, was wir denn sonst noch so machen», sagt Ivana. Als sei es klar, dass das wohl nicht ihre Hauptbeschäftigung sein kann. Das Nagelstudio ist für die beiden ein temporäres Projekt. Trotzdem arbeiten sie zurzeit fast sechs Tage die Woche dort. Auch hier wird der gesellschaftliche Stand des Nägelmachens sichtbar: Obwohl ein grosser Ansturm auf das Nagelstudio herrscht, müssen sich Ivana und Yvee dafür rechtfertigen, dass das auch ihre Hauptbeschäftigung sein könnte.

Wie alles begann

Von der Kundschaft kennen sie etwa die Hälfte, Smalltalken müssen sie trotzdem immer. Das ist Teil dieses Geschäfts: Was aber mit der Zeit eben auch anstrengend werden kann. Deshalb konzentrieren sie sich oft einfach auf die Arbeit. Ivana hat sich das Nägelmachen an ihrer linken Hand beigebracht. Als sie letzten Herbst in Mazedonien war, um einen Dokumentarfilm zu drehen, hatte sie die Restposten Acryl von einem Nagelstudio abgekauft. So begann alles. Ihre Nägel musste sie nach dieser Tortur lange schonen. Denn die Entfernung der Acrylnägel ist ein Prozess: Zuerst werden die Nägel gefeilt, dann mit Aceton in Alufolie eingeweicht, danach nochmal abgefeilt. Die Hände sehen nach diesem Prozess ein bisschen aus wie ein Streuselkuchen, übersät mit Staub. Trotzdem gibt es Frauen, die alle zwei Wochen kommen, um ihre Nägel zu erneuern.

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Schöne Nägel für alle. Bild: Lara Blatter

Ivana findet es wichtig, dass dieser Trend in Zürich angekommen ist – wie so oft später als in anderen Städten. Es ist wichtig, weil sich schön zu machen als Frau* okay sein sollte. Denn Kunstwerke auf den Nägeln zu tragen, hat viel mit Selbstbestimmung zu tun.

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