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Von Conradin Zellweger

Redaktor

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30. März 2017 um 07:46

Hartes Brot: Wie es Ex-Studis auf dem RAV ergeht

Studienabgänger*innen haben es schwer, wenn sie keinen Job finden. Das Regionale Arbeitsvermittlungsamt (RAV) drängt sie Jobs anzunehmen, für die sie überqualifiziert sind. Arbeitslosengeld bekommen die Ex-Studierenden aufgrund der verschärften Bedingungen meist auch nicht. Für diesen Text haben wir Studienabgänger*innen über ihre Arbeitslosigkeit befragt und die Praxis der Arbeitslosenversicherung durchleuchtet.

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«Sie haben mich verarscht», so lautet das konsternierte Fazit von Elena* nach einem mehrmonatigen Kampf gegen das Regionale Arbeitsvermittlungsamt (RAV) und gegen den drohenden Bankrott. «Man hat mich nicht richtig informiert» lautet ihr Vorwurf. Elena hat tagelang Dokumente für das RAV zusammengestellt, Arbeitsbescheinigungen von ihren Nebenjobs verlangt und sich auf lächerlich unrealistische Stellen beworben. «Als ich beim RAV war, habe ich mehr Zeit gebraucht deren Vorgaben zu erfüllen, als mir blieb, um mich für einen ernsthaften Job zu bewerben.»

Die ernüchternde Bilanz nach einem halbjährigen Rodeo-Ritt beim RAV: Elena bekommt keinen Rappen von der Arbeitslosenversicherung ausbezahlt. Einen Job hat sie nicht, die ausgebildete Biologin lebt von ihren Nebenjobs als Kindermädchen, mit welchen sie sich schon während des Studiums knapp finanzieren konnte. «Finanziell hätte es sich für mich mehr gelohnt, wenn ich neben der Stellensuche gar nicht mehr gearbeitet hätte», resümiert Elena.

Frische Studienabgänger*innen werden am stärksten geschröpft

Die Bedingungen für Studierte, die nach dem Studium nicht gleich einen Job finden, sind hart: Bis 120 Tage nach Studienabschluss bekommen sie nichts. Grund sind die sogenannten besonderen Wartetage. (Im Vergleich: Mit einem Monatslohn von über 10'000 Franken bekommt man bereits nach 20 Tagen Arbeitslosigkeit Taggeld).

Dass Studienabgänger auf dem RAV schlechte Chancen auf Taggelder haben, ist auf die Verschärfung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes von 2011 zurückzuführen. Dort wurden die besonderen Wartetage für Studierende eingeführt, um die Schwelle der Anmeldung beim RAV nach dem Studium zu erhöhen. Sogar das Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit, dem das RAV unterstellt ist, bestätigt: «Eine solche Wartefrist kann selbstverständlich belastend sein nach Abschluss der Ausbildung.»

Unendlich komplizierte Berechnungen

Studienabsolvent*innen sind intellektuell auf der Höhe und verstehen komplizierte Sachverhalte, sollte man meinen. Im Gespräch über die Zeit beim RAV wird aber schnell klar: Die Situation, mit der Studienabgänger*innen sich konfrontiert sehen, ist schwierig zu verstehen. Auch für RAV-Berater, wie uns Luca* erzählt: «Die Sache mit den 120 Wartetagen ist mir bis anhin nicht ganz klar und ich glaube, mein Berater versteht das auch nicht immer zu 100 Prozent. Das regelt ja alles die Arbeitslosenkasse.»

Die120 besonderen Wartetage - an sich noch verständlich - sind nicht die einzige Hürde: Oft kommen verkomplizierende Umstände dazu: Bsp. die Nebenjobs, mit denen viele Student*innen sich das Studium finanzieren. Durch die Nebenjobs während und nach der Studienzeit verkompliziert sich die Berechnung des Arbeitslosengeldes und der Wartetage massiv. So sehr, dass es die Student*innen und Berater*innen kaum verstehen.

«Mir war nicht klar, dass Tage, an denen ich teilzeit arbeite, nicht als Wartetage gelten. Aus diesem Grund verzichte ich aktuell auf Teilzeitarbeit und mache es erst, wenn ich bereits Taggelder von der Arbeitslosenkasse bekomme.»

Das Amt für Wirtschaft und Arbeit bestätigt zwar, dass sich Teilzeitarbeit in gewissen Fällen finanziell vorerst nicht lohnt, «da die versicherte Person faktisch länger warten muss, bis sie effektiv in den Genuss von Leistungen der Arbeitslosenversicherung gelangt.» Später könne sich Teilzeitarbeit jedoch auszahlen, da sie allenfalls zu einem höheren Höchsttaggeld führt.

Slogan der Zürcher Arbeitslosenversicherung: «Sympathisch - Rasch - Kompetent»

Auch Selina* wurde gleich nach dem Studium arbeitslos. Während des Studiums arbeitete sie in diversen Teilzeitjobs. Um Leistungen vom RAV beziehen zu können, hätte sie von jedem Arbeitgeber der letzten zwei Jahre Kündigungsschreiben und weitere Dokumente benötigt. «Das war mir zu blöd», sagt Selina. Am meisten störte sie aber etwas anderes: «Die Art und Weise, wie der RAV-Berater mit mir redete. Er hat alles drei Mal gesagt, ich sass auf dem Stuhl, er stand, ca. zwei Meter entfernt und redete auf mich ein.» Ähnliches berichtet Ilona* von ihren RAV-Erfahrungen: «Bei meiner ersten Beraterin bin ich einmal drei Minuten zu spät gekommen, die Beraterin ist ausgeflippt, sie hat mich richtig angeschrien.»

Solche erniedrigenden Behandlungen und verbalen Entgleisungen durch RAV-Mitarbeiter scheinen keine Einzelfälle zu sein. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit will aber nichts von einem solchen Verhalten der RAV-Mitarbeiter*innen wissen. Zu den erwähnten Beispielen nimmt das Amt nur begrenzt Stellung: Die Berater*innen seien alle geschult und auf schwierige Gesprächssituationen vorbereitet. «Dass die "Chemie" zwischen Beratungsperson und Stellensuchendem nicht immer perfekt ist und auch Spannungen vorkommen können, liegt in der Natur der Sache. Falls die stellensuchende Person sehr unzufrieden ist mit der Beratungsperson, kann ein Wechsel der Beratungsperson verlangt werden», so das Amt.

Die Erzählungen der arbeitslosen Studienabsolvent*innen zeigen: von der beratenden Person hängt viel ab. Einige erzählen von sehr sympathischen Berater*innen und guten Erfahrungen. Kompliziert und wenig transparent fanden es aber alle Befragten.

Der Studienabschluss scheint dem RAV nichts wert zu sein

Ilona war noch nicht lange beim RAV angemeldet. Sie hat an der Kunsthochschule studiert. Statt sie dabei zu unterstützen, einen Job in diesem Gebiet zu finden, wurde sie angehalten sich in Spitälern zu bewerben - Ilona hatte als Erstausbildung eine Lehre im medizinischen Bereich absolviert. Nur hat sie mit diesem Job seit etlichen Jahren nichts mehr am Hut. «Ich fand es schade, dass ich keine Zeit bekam, um einen Job zu suchen, der meinem Studienfach entspricht», sagt Ilona. Wenn sie sich nicht auf die medizinischen Jobs bewarb, drohten ihr Abzüge.

Das Amt für Wirtschaft und Arbeit meint dazu: «Mit zunehmender Dauer der Stellensuche sind die Versicherten angehalten, nicht nur in ihrem Wunschbereich nach Arbeit zu suchen, sondern auch in verwandten Tätigkeiten, das heisst, sie müssen den Suchbereich ausweiten.»

Im Fall von Ilona wurde aber vom RAV von Anfang an verlangt, sich auf Stellen im medizinischen Bereich zu bewerben. Geld hat sie wie alle anderen der befragten Studienabgänger*innen bis heute keines bekommen.

Die 120 besonderen Wartetage scheinen in der Praxis dazu zu führen, dass es für Studienabgänger*innen kaum Arbeitslosengelder gibt. Vorher nehmen sie aus Geldnot irgendeinen unterbezahlten Nebenjob z. B. im Service an, wodurch sich die Wartetage weiter verlängern. Oder sie kapitulieren und nehmen einen Job an, der nicht ihrer Ausbildung entspricht.

Zahlen vom Bundesamt für Statistik zeigen: die Arbeitslosenquote ein Jahr nach Studienabschluss ist mit 2,3 Prozent relativ tief. Die Akademiker*innen arbeiten dann aber oft in Jobs, die nicht ihrem Studienabschluss entsprechen. Das ist z.B. bei Geistes- und Sozialwissenschaften bei über 40 Prozent der Bachelorabsolvent*innen der Fall. Ob die fehlende Überbrückungsfinanzierung während der Jobsuche von Studienabgänger*innen dabei eine Rolle spielt, dazu gibt es keine Zahlen.

In dieser Befragung hat sich jedoch gezeigt, dass einige Studienabsolvent*innen aus finanziellen Gründen zumindest vorübergehend Jobs angenommen haben, für die sie eigentlich überqualifiziert wären.

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Infobox

  1. Für diesen Artikel haben wir mit zehn Studienabgänger*innen gesprochen. Alle waren beim RAV angemeldet, einige sind es noch.
  2. Die betroffenen Studienabgänger*innen haben sehr unterschiedliche Erfahrungen mit dem RAV gemacht. Einige gaben an, sehr unter den Bedingungen zu leiden.
  3. Ein Jahr nach Studienabschluss ist die Erwerbslosenquote der Hochschulabsolvent*innen in Zürich mit 2,3 Prozent relativ tief (Statistik vom Bund).
  4. Auch das Kantonale Amt für Wirtschaft gibt an, dass Hochschulabsolvent*innen grundsätzlich eine Zielgruppe sind, die gute bis sehr gute Chancen auf dem Stellenmarkt hat.
  5. Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften zum Beispiel sind jedochein Jahr nach Abschluss nur 56,2 Prozent der Studienabgänger*innen in einer adäquaten Stelle beschäftigt (Zahlen von 2008).

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