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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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23. Februar 2017 um 12:02

5 offene Fragen im Zürcher Polit-Krimi – und niemand will sie beantworten

Das Hagenholz-Debakel weitet sich immer mehr zu einem städtischen Polit-Thriller, dessen Pointe bald bekannt werden könnte. Es geht um Macht, verschwundene Dokumente, geheime Untersuchungen und viel Geld aus der Staatskasse.

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Was ist passiert? Über sechs Jahre lief einiges schief beim Umbau des Kehrichtheizkraftwerks Hagenholz. Ende 2015 wurde bekannt, dass das Budget für den Bau aus den Fugen geraten war. Nicht etwa nur, weil die Arbeiten teurer als prognostiziert waren, sondern weil die Mitarbeitenden des ERZ zwischen 2008 und 2014 die Buchhaltung manipulierten. Abklärungen beziffern den überzogenen Kredit auf 14,7 Millionen Franken. Doch damit nicht genug: Wie die WOZ aufgedeckt hat, sind 132 Verträge und Offerten verschwunden, ERZ-Direktor Urs Pauli gab zu Protokoll, diese seien aus Versehen entsorgt worden.

Solche systematischen Verfehlungen in einer städtischen Verwaltung müssen natürlich gründlich untersucht werden. Der zuständige Stadtrat FDP-Mann Filippo Leutenegger organisierte umgehend eine interne Untersuchung und versprach in der NZZ: «Jetzt wird alles gezeigt, was wir zeigen können. Denn wir brauchen das Vertrauen der Stimmbürger.»

Als der Bericht im Sommer 2016 fertig gestellt wurde, beantragte er aber im Stadtrat, dass sowohl ein Bericht der Finanzkontrolle als auch die Ergebnisse der internen Untersuchungen geheim bleiben sollen. Die Zürcher Regierung entschied sich für die Geheimhaltung und damit gegen Transparenz und Klarheit. ERZ-Direktor Pauli wurde nicht entlassen, sondern schriftlich ermahnt, weil Stadtrat Leutenegger keine strafrechtlichen Probleme erkennen konnte.

Doch in einer Demokratie gibt es verschiedene Wege, Licht ins Dunkelzu bringen. Der Gemeinderat setzte eine Sonderkommission ein, um den Fall Hagenholz zu besprechen und verlangte, dass die Berichte öffentlich gemacht werden müssen. Noch diesen Frühling sollen die Ergebnisse aller Untersuchungen der Bevölkerung zugänglich gemacht werden. Das ist dringend nötig. Denn es gibt noch viele offene Fragen, die bisher weder von den Medien, noch von den Politiker*innen öffentlich gestellt wurden:

  1. Warum stimmte der Stadtrat für die Geheimhaltung der Untersuchungsberichte?
  2. Wie können im digitalen Zeitalter 132 Dokumente spurlos verschwinden?
  3. Wie kam die Finanzkontrolle auf die Idee, den Hagenholz-Umbau unter die Lupe zu nehmen?
  4. Was versuchte das Hagenholz-Personal mit der falschen Buchungspraxis zu verschleiern?
  5. Warum ging der zuständige Bereichsleiter nicht wie kommuniziert in Pension, sondern wurde in die kantonale Verwaltung befördert?

Wo sind die Dokumente?

Im 21. Jahrhundert verschwinden keine Dokumente. Dass das ERZ 132 Verträge und Offerten aus Versehen entsorgt, ist unwahrscheinlich. Die Rede ist von zwei Bundesordnern, die schlicht nicht mehr auffindbar seien. Wer in den letzten Jahren an Sitzungen teilgenommen hat, weiss, dass so gut wie jeder Entschluss und jeder Auftrag mindestens in einem digitalen Dokument festgehalten wird. Die Protokolle werden in der Regel an alle Beteiligten verschickt, die Aufträge müssen in einer schriftlichen Form den Firmen übermittelt werden und meistens kommt kurz darauf eine Rechnung ins Haus geflattert. Wie kann es sein, dass Direktor Pauli mit der lapidaren Ausrede, die Dokumente seien versehentlich entsorgt worden, davon kommt? Warum suchen er und seine Mitarbeitenden nicht auf den internen Computern nach den verschwundenen Dokumenten? Warum fragen sie nicht bei den gebuchten Unternehmen nach einer Auftrags- und Rechnungskopie? Mit Verweis auf die laufende Untersuchung drückt sich die Stadt um eine Beantwortung dieser Fragen.

Was soll versteckt werden?

Egal, wo sie heute sind: Warum sind die Dokumente verschwunden? Warum hat ERZ-Direktor Pauli, wie Medien berichteten, eigenmächtig und unter der Hand Aufträge für mehrere hunderttausend Franken verteilt? Was also soll versteckt werden? Das ist die grösste und schwierigste Frage im Fall Hagenholz. Gemäss anonymen Hinweisen aus Leuteneggers Departement seien Aufträge ohne öffentliche Ausschreibungen an Firmen vergeben worden, an welchen ERZ-Mitarbeitende beteiligt sind. Angestellte, die schon vor Jahren die falschen Buchungspraxen in Frage stellten, seien vom ERZ mit einem Maulkorb freigestellt worden, so der Vorwurf aus dem Tiefbau- und Entsorgungsdepartement. Sowohl der Personaldienst, als auch der zuständige Bereichsleiter hätten von dieser Freistellungspraxis gewusst und diese auch unterstützt. Auch zu diesen Fragen: keine Antworten aus der Stadtverwaltung.

Was soll diese Beförderung?

Um genau diesen Bereichsleiter geht es in diesem Abschnitt. Oder genauer: um den ehemaligen Geschäftsbereichsleiter der Kehrichtheizkraftwerke der Stadt Zürich, Christoph Zemp. Von 2008 bis 2015 war er für rund 120 Mitarbeitende zuständig, übernahm 2012 zusätzlich als Mitglied der Geschäftsleitung von Entsorgung + Recycling Zürich die Verantwortung für die Fernwärme und nahm Platz im Verwaltungsrat der Zürcher Abfallverwertungs AG, welche teilweise der Stadt Zürich gehört. Zemp befand sich also sowohl operativ als auch strategisch in einer mächtigen Position und wird von den Verfehlungen beim Umbau des Hagenholz gewusst haben. Schliesslich war er genau für dieses Hagenholz verantwortlich. Mit Hinweis auf die laufenden Untersuchungen des Gemeinderats, will die Stadt über Zemps genaue Rolle beim Debakel keine Auskunft geben.

Eine Woche bevor die WOZ einen geheimen Bericht leakte und das Ausmass der Veruntreuungen bekannt wurde, trat Zemp am 2. Juni 2015 aus dem Verwaltungsrat aus, obwohl er noch für drei weitere Jahre von den Aktionären gewählt gewesen wäre. Einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen streitet Zemp auf Anfrage ab. Für das Debakel mitverantwortliche Personen seien pensioniert worden, hiess es aus Leuteneggers Kommunikationsabteilung. Doch Zemp ging nicht in Pension. Christoph Zemp wechselte per 1. September 2015 in einen Direktorenjob bei der kantonalen Verwaltung. Nicht in irgendeine Position: Als neuer AWEL-Chef führt Christoph Zemp das Aufsichtsorgan über weite Teile des städtischen ERZ. Ausgerechnet jener Mann, der während der Zeit der überzogenen Gelder und verschwundenen Dokumente für das Hagenholz verantwortlich war, ist nun in der Karriere- und Macht-Leiter weiter nach oben gestiegen. Das AWEL und Zemp sehen darin keinen Interessenkonflikt. Auf Anfrage bestätigen sie zwar die «Aufsichtspflicht des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft über fachspezifische Tätigkeiten in einigen Teilbereichen des ERZ (Abfall, Abwasser und Gewässer)». Allerdings stehe das ERZ nicht unter der Oberaufsicht von Christoph Zemp und Regierungsrat Markus Kägi spreche ihm das volle Vertrauen aus. Zudem habe der Stellenwechsel nichts mit dem Hagenholz-Debakel zu tun.

Was untersucht die Finanzkontrolle?

Die Finanzkontrolle hat eine schier unlösbare Aufgabe: Sie muss den gesamten städtischen Haushalt überwachen. Also auch Rechnungen und Buch- und Kassenführung. Oder kurz gesagt: Die Finanzkontrolle prüft, ob die Politik und Verwaltung mit den Steuergeldern gesetzeskonform umgehen. Zürich hat eine Bilanzsumme von zwölf Milliarden Franken, da ist es logisch, dass die Finanzkontrolle nicht sämtliche Bewegungen überprüfen kann. Also muss sie selektionieren: Einerseits ist in der Gemeindeordnung definiert, was kontrolliert werden muss, andererseits können die Kontrolleur*innen selber Schwerpunkte setzen oder sie kriegen Hinweise aus der Bevölkerung oder Verwaltung.

Wie ist die Finanzkontrolle auf das Hagenholz aufmerksam geworden? Zufall? Bekam sie einen Tipp? Warum erst jetzt? Die Finanzkontrolle, so Direktor Franco Magistris, führe «ihren gesetzlichen Auftrag gestützt auf eine Mehrjahresplanung durch und legt selbstständig das jährliche Prüfprogramm, das Prüfgebiet und den Prüfinhalt fest.» Die Revision im Fall Hagenholz habe im Rahmen der schwerpunktemässig durchgeführten Prozessprüfung stattgefunden.

Was will der Stadtrat?

Trotz angekündigter totaler Transparenz machte FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger plötzlich einen Rückzieher: Statt in die Offensive, ging er sofort in Deckung. Sowohl der Bericht der Finanzkontrolle als auch die interne Untersuchung wurden als geheim klassifiziert. Auf Anfrage begründet der Stadtrat diesen Schritt mit dem Datenschutz: Es befänden sich Daten privater Personen in den Berichten, weshalb diese nicht veröffentlicht werden dürfen. In solchen Fällen ist es üblich, die fraglichen Passagen einzuschwärzen, den Bericht aber trotzdem zu veröffentlichen. Erst ein SVP-Vorstoss im Gemeinderat zwang den FDP-Politiker im Herbst 2016 zur Offenlegung der Berichte. Allerdings nicht sofort, sondern erst mit der Analyse der Sonderkommission. Diese Kommission hat zwar keine richterlichen Befugnisse wie sie eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) hätte, doch immerhin ist sie unabhängig vom ERZ und dem Tiefbau- und Entsorgungsdepartement. Dem Vernehmen nach wird die Kommission ihre Arbeit im Frühling, eventuell bereits im März, beendet haben. Dann sollen alle Berichte über das Hagenholz-Debakel publiziert werden, so das Versprechen von Leutenegger.

Titelbild: Screenshot/Instagram

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